Durch die Coronavirus-Pandemie hat sich das kirchliche Leben drastisch verändert. Dadurch sind auch wieder alte Fragen zur Sakramententheologie aufgetaucht, meint Marianne Schlosser. In ihrem Gastbeitrag setzt sie sich intensiv mit der Frage auseinander, welche Bedeutung die Sakramente im Leben der Kirche haben und welche Probleme gerade während der Corona-Krise deutlich geworden sind. Schlosser ist Universitätsprofessorin für Theologie der Spiritualität an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und Trägerin des Ratzinger-Preises

CNA Deutsch veröffentlicht ihren Beitrag in voller Länge (hier geht es zu Teil 2).

Sakramente in Zeiten von Corona

von Marianne Schlosser

Im Februar 2020 wurde das letzte Dokument der Internationalen Theologischen Kommission (CTI), erarbeitet im Quinquennium 2014-2019, von Papst Franziskus approbiert. Bislang ist es auf Spanisch (Original-Sprache) und in englischer Übersetzung veröffentlicht

Der mehr als 70 Seiten umfassende Text befasst sich mit der "wechselseitigen Zuordnung von Glaube und Sakramenten in der sakramentalen Heilsordnung". Dieses Verhältnis von Glauben und Sakramenten theologisch genauer in Augenschein zu nehmen, hatte einen sehr konkreten Grund: die beunruhigende Feststellung, dass an vielen Orten der Weltkirche dieses Verhältnis als gebrochen erscheint, mit gravierenden Auswirkungen auf das Leben der Kirche.

Angesichts der Reaktionen auf die Corona-Krise im Raum der Kirche, möchte man das letzte Dokument der CTI als "zur rechten Zeit" gekommen bezeichnen – beginnen derzeit doch die "wunden Stellen", welche das CTI-Dokument anspricht, gerade das Sakrament der Eucharistie betreffend, sich zu entzünden, jedenfalls dort, wo nicht bereits ein taubes Gefühl eingetreten ist: Groß ist die Verunsicherung betreffend den Sinn der katholischen Lehre und Praxis, man kann den teilweisen Verlust des Verständnisses für einzelne Sakramente wie auch für das sakramentale Wesen der Kirche selbst nicht übersehen. Welche Bedeutung hat die Feier der Sakramente im Leben der Kirche und des einzelnen Gläubigen, in Theorie und Praxis?

Verfolgt man nur ein wenig die öffentlichen und halböffentlichen Wortmeldungen von Theologen und Theologinnen, Bischöfen und Gläubigen aller Stände, so springt einem die Polarisierung von Positionen ins Auge, die sich zum Teil auch in der Wortwahl niederschlägt. Schafft sich der Zwang zum social distancing in verbal-digitaler Distanzlosigkeit Luft?     

Da war von "Geistermessen" die Rede; eine "Eucharistie-Fixierung" katholischer Gläubiger wurde beklagt; man stritt um die möglicherweise gesundheitsschädlichen Wirkungen des Kommunionempfangs. Statt des sakramentalen Empfangs wurde nun die vormals kaum geschätzte, fast völlig aus dem Bewusstsein verschwundene "geistliche  Kommunion" angeraten. Livestream-Gottesdienste, von vielen begeistert empfohlen, wurden von anderen mit Zurückhaltung betrachtet. Die einen erwarteten von der neu zu entdeckenden "Hauskirche" eine Zunahme an spirituellem Leben, die anderen freuten sich an "kreativen Gottesdiensten", die als Gewinn aus der Krise beibehalten werden sollten. Und immer noch dauern Maßnahmen an, deren Zielsetzung nur bejaht werden kann, deren Verhältnismäßigkeit und Nutzen aber doch einer Begründung harren.

Verständlich, dass angesichts der wochenlangen Anspannung, auch mancher Enttäuschung und empfundener Hilflosigkeit, die Besonnenheit vielerorts "ausverkauft" ist. Es geht im Folgenden keineswegs darum, zivilen oder kirchlichen Autoritäten die Verantwortung oder die Kompetenz abzusprechen, Maßnahmen gegen die Ausbreitung einer Pandemie zu ergreifen. Vielmehr sollen einige Fragen in den Blick genommen werden, die zwar in der letzten Zeit aufgeworfen wurden, uns aber sicher länger beschäftigen werden: Fragen, die nicht durch "Corona" entstanden, sondern nur offenbar geworden sind. 

Mut zur Seel-Sorge… - oder "Systemrelevanz"?

Manche Gläubige sind verstummt. Andere fragen leise oder auch laut und mit einiger Bitterkeit, ob der kirchliche Lockdown nötig gewesen sei, ob die lange Funkstille und die darauf folgende Tendenz zur Überregulierung von Klugheit zeugen, und ob nicht mehr Mut des Klerus wie der Bischöfe hätte erwartet werden dürfen – wie früher zu Zeiten von Pest und Typhus-Epidemien.

Freilich, auch zu Zeiten der Pest waren nicht alle mutig. Sonst hätte sich beispielsweise nicht der Kapuzinerorden besonders im Gedächtnis der Leute eingeprägt, weil sie eben furchtlos auch zu den Erkrankten gingen, in der Gewissheit in Gottes Hand zu sein, "ob wir leben oder sterben". Nicht wenige Seelsorger haben dabei ihr Leben gelassen – wie auch der junge Jesuit Aloisius von Gonzaga.

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Um gerecht zu sein, muss man zumindest zwei Aspekte berücksichtigen. Zum einen schien niemand in unseren Breiten auf eine solche Herausforderung gefasst: Dass wir trotz aller unserer medizinisch-technischen Kompetenz gegen dieses bestimmte Virus einfach noch kein Gegenmittel haben.

Angesichts einer realen, sehr ernsten, nicht in allen Dimensionen einzuschätzenden Gefahr, welche nicht viel Zeit zum Überlegen lässt, ist eine "Vollbremsung" ziviler und kirchlicher Autoritäten nur zu verständlich. Auch wenn man im Nachhinein vielleicht, um im Bild zu bleiben, eine "Intervall-Bremsung", soll heißen: die Auswahl von Maßnahmen, für klüger gehalten hätte. Immerhin hat mittlerweile ein Politiker wie Bodo Ramelow (in "Christ & Welt") öffentlich zugegeben, er habe seine eigenen Vorschriften übertreten, indem er an der Beerdigung einer Nachbarin teilnahm – alles andere sei ihm "unmenschlich vorgekommen". Ramelow fügte hinzu, heute frage er sich, ob die Verordnung "in allen Punkten richtig war oder ob es nicht möglicherweise noch andere Lösungen gegeben hätte".

Noch in einem anderen Punkt unterscheidet sich unsere Situation gravierend von der Zeit der Pestepidemien. Auch Priester, die gern ihr eigenes Leben einsetzen würden, fürchteten, selbst ein Risiko für die Gläubigen zu sein, gerade für die Älteren und Geschwächten. Wie sollte das nicht den Mut dämpfen? Auch jedem Gläubigen wurde täglich in Erinnerung gerufen, es sei die größere Nächstenliebe, sich nun von anderen fernzuhalten, um niemanden zu gefährden.

Das stimmt – zum Teil. Und es ist gut, zu lernen, dass Distanz eine Weise der Nächstenliebe sein kann, auch zu anderen Zeiten. Denn zur Nächstenliebe gehört nicht nur Nähe, sondern auch Ehrfurcht. Wir haben Verantwortung für andere, denen wir vielleicht unbefangen "zu nahe treten".

Aber bevor man skrupulant wird, sollte man sich bewusst machen, dass wir als Menschen kontingent sind: Wir können weder uns selbst 100%ig – in diesem Fall vor Ansteckung – schützen, noch können wir 100%ig verhindern, dass wir ein Risiko für andere sind. Das gilt zum Beispiel auch für den Straßenverkehr.

Daher ist hier mit der Tugend der Klugheit die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zu stellen: Welches Risiko für welches Gut kann und darf man eingehen? Und da ist es erlaubt zu vergleichen:

Ist derzeit das Risiko einer Infektion anlässlich der Sakramentenspendung größer als beim Kauf einer belegten Semmel in der Bäckerei (samt Dialog mit der Verkäuferin, mit MNS natürlich), oder eines Gelato am Eisstand? Ist das Risiko einer Dreiviertelstunde Verweildauer in einer Kirche (bei Mindestabstand von zwei Metern) größer als fünf Stunden in einem Mehr-Personen-Büro zu sitzen (Mindestabstand ein Meter)? Ist es ein verhältnismäßig zu großes Risiko, einen Menschen im Altenheim zu besuchen und die Krankenkommunion zu bringen, als ihm monatelange Isolation zuzumuten? Ist es angemessen, die Kranken-Sakramente auf die Sterbe-Situation zu beschränken – wenn die Krankensalbung doch idealerweise "beizeiten" gespendet werden soll, solange der Kranke bei Bewusstsein ist, und dasselbe für die Krankenkommunion gilt (CIC c.922)?

Diese Fragen scheinen nicht so einfach zu beantworten, oder mittels flächendeckender Verbote zu "lösen" – die im übrigen auch weniger harsch und abweisend hätten formuliert werden können.

Erwacht aus dem Schock, sollte man nun versuchen, aus der „Prüfung“, wie die Krise auch genannt wurde, etwas zu lernen.

Man konnte mehrerlei beobachten – und auch das gehört zu einer gerechten Sicht. Zahlreiche Priester haben innerlich gelitten, das weiß ich aus Gesprächen, und sie  haben alles versucht, um ihren Gläubigen in dieser Zeit zur Seite zu stehen. Mancherorts wurden rasch und kreativ Maßnahmen ergriffen, wie z.B. eine Plexiglas-Scheibe im Beicht-Zimmer zu installieren, eine Idee, die man sich in Apotheken hatte abschauen können. Priester haben die alten Leute ihrer Gemeinde, die sie nicht mehr besuchen konnten, regelmäßig angerufen, oder sind – wie früher bei den Flurprozessionen – betend mit dem Allerheiligsten durch die Straßen ihrer Pfarrei gepilgert. In manchen Kirchen wurde täglich zur Anbetung eingeladen … Nicht wenige, Priester wie Laien, mussten erleben, dass sie wegen Geringfügigkeiten, die niemanden gefährdeten, betreffend Gottesdienst und Sakramentenspendung denunziert wurden – eine sehr beunruhigende Erfahrung, die einem zu denken gibt.

Andernorts schienen die Rolläden geschlossen, als sei Betriebsurlaub. Kein Bild, kein Ton, monatelang – außer, vielleicht, für Internetnutzer.  

Man wird sich realistisch auch die Frage stellen müssen, welche gesellschaftliche Relevanz der Seelsorge in unseren Ländern tatsächlich derzeit und in Zukunft eingeräumt wird. Mit "System-Relevanz" können wir nicht wirklich punkten. Seelsorge hat die menschliche Person im Blick, deren Wert und Bestimmung nicht mit dem irdischen Leben endet. Seelsorge ist nicht nur Unterstützung zu einem gelingenden Leben hier auf Erden. Sie trägt zur Bewältigung von Krisen bei, ja, aber das ist nicht ihr einziger "Nutzen" und nicht einmal der erste.

Wie kann man aber das präsent halten in einer Gesellschaft, in der von 100 katholisch Getauften nicht einmal 10 "praktizieren", also mit der Kirche einigermaßen verbunden leben? Rechnet man diese längst bekannten Zahlen auf die Gesamtbevölkerung um, so ist man eher überrascht, dass es noch Einrichtungen (auch in nicht-kirchlicher Trägerschaft!) gibt, in denen Personal wie Leitung der Seelsorge aufgeschlossen gegenüber stehen. Doch wie sollte man zum Beispiel in einem Krankenhaus oder Pflegeheim, in dem es zwar einen Friseur und eine Cafeteria gibt, aber keinen Raum für ein seelsorgliches Gespräch, Verständnis erwarten können, dass einem Patienten oder seinen Angehörigen die Krankensakramente wichtiger sind als noch eine weitere medizinische Maßnahme mit zweifelhaftem Nutzen?

Das alles ist lange bekannt. Welche Konsequenzen müssen wir ziehen? Es könnte einem das ein oder andere einfallen …

Das eingangs erwähnte Dokument der CTI "Die Wechselbeziehung zwischen Glaube und Sakramenten" legt dringend eine Erneuerung beziehungsweise Vertiefung des sakramentalen Denkens nahe. Glaube ist die Antwort auf die Offenbarung Gottes, die sich "vermittelt" ereignet: in der Heilsgeschichte, gipfelnd in Jesus Christus, dem menschgewordenen Wort Gottes, der selbst das "Ursakrament" des Heiles ist. In ihm gründen die einzelnen Sakramente der Kirche, die selbst "Grundsakrament", "Zeichen und Werkzeug" des von Christus gewirkten Heiles ist. Wie die Offenbarung sakramentale Struktur hat, da sich Gott nicht in der wortlosen Innerlichkeit des einzelnen Subjekts, sondern im Wort seiner Gesandten und in seinen Taten in der Geschichte offenbart, so enthüllen umgekehrt die sakramentalen Zeichen nur im Horizont des Beziehung zu diesem Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist, ihren Sinn.

Dem entgegengesetzt sind Formen rituell-magischen Missverständnisses, als seien die Sakramente etwas, was gewissermaßen selbsttätig vor Unglück bewahre;  oder die umgekehrte Auffassung, entscheidend sei einzig die persönliche Überzeugung des Einzelnen, Sakramente dagegen seien nur etwas Äußerliches, eine nicht notwendige Zutat zum Glaubensleben. Das rechte Verhältnis zwischen Glauben und sakramentaler Praxis wird auch verletzt durch eine in unseren Ländern weit verbreitete Haltung: Man empfängt manche Sakramente (noch) aus familiärer Tradition und Gewohnheit, wie Taufe, Firmung, Ehe, oder auch die heilige Kommunion – wenn es sich ergibt, dass man an Hochfesten oder Begräbnissen zum Gottesdienst geht –, ohne dass man den Glauben der Kirche teilen müsste oder ihre Weisungen im eigenen Leben eine größere Rolle spielten. 

Lässt nun die in Corona-Zeiten verfügte lapidare Anordnung, dass Taufen und Trauungen nicht stattfinden beziehungsweise auf unbestimmte Zeit verschoben werden müssen, etwa darauf schließen, dass mittlerweile sogar von kirchlichen Stellen der Unterschied zwischen der Feier des Sakramentes einerseits und der sie begleitenden zivilen Festlichkeit andererseits nicht mehr gesehen wird?   

Diese Situation erfordert eine Erneuerung der Sakramentenkatechese: die Nähe des Guten Hirten, der sich seinen Gläubigen durch den Dienst der Kirche zuwenden will, soll wieder ins Bewusstsein gerufen werden. Ob seelsorgliche und katechetische Bemühungen dann Frucht bringen, liegt nicht nur in unserer Hand. Aber wenn wir den Eindruck erwecken, als sei uns selber nicht so wichtig, was wir doch als wesentlich glauben, dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir nicht ernst genommen werden.  

Im Folgenden sollen einige Fragen in den Blick genommen werden, die in den vergangenen Wochen besonders hervortraten, und die vor allem das Eucharistieverständnis betreffen. 

Kann der Kommunionempfang "krank machen"?

Als von verschiedenen Seiten gegen das Verbot der Kommunionspendung in der bisherigen Praxis geltend gemacht wurde, der Empfang der heilige Kommunion könne doch nicht "krank machen", gingen die Wogen hoch. Wer solches zu äußern wagt, ist schnell als naiv oder gar abergläubisch gebrandmarkt.  

In der Tat, legt man die klassische Transsubstantiationslehre zugrunde, so kann man nicht ausschließen, dass sich auf den Akzidentien des Brotes (oder Weines), die ja bestehen bleiben, ein Virus halten könnte. Nebenbei bemerkt, kann dies wohl genauso gut auf einem Plastik-Handschuh haften. Die Akzidentien behalten ihre Eigenschaften, zum Beispiel auch die Möglichkeit, zu verderben, wie Wein zu Essig werden kann (nota bene: sie bezeichnen allerdings dann nicht mehr die Präsenz Christi, sobald sie erkennbar nicht mehr zum Essen/ Trinken geeignet sind).

Wer an Zöliakie leidet, wird glutenarme Hostien erhalten. Und wenn jemand eine große Menge des konsekrierten Weines zu sich nähme, hätten die Akzidentien des Weines normalerweise die unerfreuliche Folge der Berauschung.

Aber die Sache ist nicht gänzlich simpel. Im einem Schlussgebet der Messfeier, nach der Kommunion, heißt es: "Du hast uns das Brot des Lebens gereicht, damit wir an Leib und Seele gesunden…" – und zahlreiche Gebete, aus den verschiedenen liturgischen Traditionen, zurückgehend bis in die Patristik, sprechen unbefangen von den heilvollen Wirkungen des Sakraments auf Leib und Seele

Wir empfangen die Sakramente als Menschen, die leibhaft leben. Reine Geister brauchen keine Sakramente. Das Heil Gottes kommt in den Sakramenten vermittelt durch etwas Sichtbares, Hörbares, Fühlbares, teilweise durch Handlungen, die mit einer Materie verbunden sind (Salben, Essen, Waschen). Die innere Gnade ist nicht mit dem Zeichen identisch, sondern wird durch das Zeichen auch verhüllt, das darf man nicht vergessen. Zugleich aber ist das Heil, das Gott schenkt, nicht einfach "leib-los", als hätte es mit dem leiblichen Leben nichts zu tun. Die gläubig gefeierte Krankensalbung kann zum Beispiel eine Besserung oder Heilung des körperlichen Leidens zur Folge haben.

Nicht wenige Heilige haben erfahren und bezeugt, dass der Empfang der heiligen Kommunion durchaus Auswirkungen auf die leibliche Verfassung des Empfängers haben kann. Bekanntlich hing die Nahrungslosigkeit einiger Heiliger (Caterina von Siena, Niklaus von der Flüe) mit dem Empfang der heiligen Kommunion zusammen. Teresa von Avila bekennt, dass sie sich des Öfteren nach dem Empfang der heiligen Kommunion auch körperlich gestärkt fand – und sie ist nicht die einzige. Diese Wirkungen gehen freilich nicht von den Akzidentien des bisschen Brotes aus! Sie sind eine – und keine notwendige – Auswirkung der gläubigen Begegnung mit Dem, der der Erlöser von Leib und Seele ist.

Dass es sich nicht um eine "magische", von der Disposition des Empfängers unabhängige Wirkung handelt, bezeugt der Apostel Paulus, gewissermaßen in umgekehrter Blickrichtung: Er warnte, dass das gedankenlose Essen – "ohne den Leib des Herrn von gewöhnlicher Speise zu unterscheiden" (1 Kor 11,29f.) – das "Gericht" Gottes nach sich ziehe; und er hielt es nicht für unwahrscheinlich, dass solches Verhalten auch leibliche Auswirkungen habe, nämlich die "vielen Schwachen und Kranken und bereits Entschlafenen" in der Korinther Gemeinde – worin Paulus einen Umkehr-Ruf beziehungsweise die "Zurechtweisung Gottes" sieht.

Die erste Wirkung der heiligen Kommunion – die res sacramenti – ist die tiefst-mögliche Vereinigung mit Jesus Christus, der als der Auferstandene das wahre Leben ist (und das ist mehr als das körperliche, aber nicht weniger!). Als "Anteil-Haben" am Lebendigen Herrn ist diese Speise "Arznei zum ewigen Lebe": "pharmakon tes athanasias". Die Kirche hat seit frühester Zeit (Ignatius von Antiochien, Irenäus von Lyon) daran festgehalten, dass das sakramentale Essen Unterpfand der leiblichen Auferstehung sei (vgl. dazu die Ausführungen von J. Ratzinger, JRGS 11, 345-348.).

Das "Leben", das Christus gibt, ist nicht ein "Etwas", eine "Kraft" o.ä., sondern besteht in der Beziehung zu ihm. Kurz und treffend sagte Joseph Ratzinger:

"Man kann den Herrn nicht essen wie ein Stück Brot. Man muss ihn empfangen."

Empfangen heißt begegnen, heißt: die andere Person aufnehmen – und mehr noch: sich von Ihm aufnehmen lassen. Jemand ist umso "lebendiger", je tiefer seine Beziehung zu Christus ist, also: je heiliger er ist, und je mehr er von der Liebe Christi durchformt ist. Und wer "in Ihm" ist, der "kann nicht sterben", selbst wenn sein irdisches Zelt abgebrochen wird, das "der Tempel des Heiligen Geistes war" (wie die Begräbnisliturgie betet).

Die zweite Ebene der Wirkung ist die tiefere "Einverleibung(incorporatio) in den geheimnisvollen Leib Christi, den er sich bereitet, die "communio sanctorum": zugleich "Gemeinschaft im Heiligen", den Gütern des Heiles, wie "Gemeinschaft der solchermaßen Geheiligten".

Die Vereinigung geschieht im Zeichen des Essens: der äußere Vollzug drückt aus und bewirkt (sofern jemand die richtige Disposition hat), was auf der Ebene der unsichtbaren Gnade geschieht. Man könnte sogar – wie es etwa Albertus Magnus, wohl im Anschluss an Augustinus, ausgedrückt hat – umgekehrt sagen: Christus selbst „isst und trinkt den Gläubigen“; Er zieht diesen in Sein Leben hinein, in den „Weinstock“, der Er selbst ist. Augustinus beschreibt in seinen Bekenntnissen (VII, 10,16), er habe Christus sagen hören: Ich bin das Brot des Starken. Nicht du wirst Mich in dich verwandeln – wie es bei gewöhnlicher Speise der Fall ist – sondern du wirst in Mich hineinverwandelt werden. Die Speise ist stärker als der, der sie isst.

Sakramentale Kommunion und geistliche Kommunion

Nachdem die sakramentale Kommunion nur mehr sehr eingeschränkt möglich war, wurde allerorten die "geistliche Kommunion" empfohlen. Manchen ist diese noch vertraut; anderen eher fremd. Immerhin wurde vor nicht allzu langer Zeit der Vorschlag geistlicher Kommunion für Gläubige, die "rechtlich gehindert sind" in der katholischen Kirche das Sakrament zu empfangen, mit Verständnislosigkeit, ja mit Empörung zurückgewiesen.

Geistliche Kommunion ist die Vereinigung mit Christus in Glaube und Liebe, eingedenk dessen, was er "für mich" getan hat, willens mit ihm verbunden zu leben, in der Hoffnung "auf das unverlierbare Heil" (1. Hochgebet), die nie endende selige Gemeinschaft im Himmel.

Die sakramentale Kommunion – der Empfang des Sakramentes – ist dann fruchtbar, wenn sie mit eben dieser geistlichen Haltung verbunden ist, also wenn Christus in Glaube, Hoffnung und Liebe empfangen wird, und der Gläubige sich Ihm als seinem Erlöser übereignet, so dass Er immer bestimmender werde für sein Leben.

In der Frage, ob die geistliche Kommunion nicht das Eigentliche sei, so dass die sakramentale Kommunion weniger wichtig sei, ist das Konzil von Trient sehr klar: Der Herr gab sein Leben als Lösegeld für uns, und er gab uns sein Fleisch zu essen: "ad manducandum". Daher sollen die Gläubigen so leben und so im Glauben gegründet sein, "dass sie dieses überwesentliche Brot häufig empfangen können" (panem supersubstantialem frequenter suscipere possint: sessio XIII De eucharistia cap. 8). Das ungewöhnlich klingende Adjektiv "überwesentlich" ist die wörtliche Übersetzung des griechischen Adjektivs epi-ousion, womit im neutestamentlichen Text des Vaterunser das "tägliche"(!) oder unbedingt notwendige Brot derer bezeichnet wird, die Gott in Christus ihren "Vater" nennen dürfen. Im darauf folgenden Canon 8 verwirft das Konzil die Behauptung, es genüge generell "das geistliche Essen": anathema sit!

Was gibt also das Sakrament "mehr" als die geistliche Vereinigung? Sakramente, so heißt es in der Liturgiekonstitution SC n. 59, sind Zeichen des Glaubens – das heißt, sie setzen Glauben voraus, sind keine automatisch-wirksamen Riten –, sie stärken und nähren aber auch den Glauben.

Ein anderes Beispiel kann das verdeutlichen: Die vollkommene Reue (lat. "contritio"; "contritus" heißt in etwa: durch und durch "zerrieben", erschüttert) tilgt auch eine schwere Sünde – weil die vollkommene Reue aus der Liebe zu Gott stammt, und nicht aus Furcht oder Scham. Mit anderen Worten: Die vollkommene Reue ist ohne besondere Gnade nicht möglich, da eine "Liebe, welche die Furcht vertreibt", nur vom Heiligen Geist kommen kann. Wer solch eine Reue hat, steht in der Gnade (und wird alles tun, womit er seine Liebe zu Gott und der Kirche ausdrücken kann), während der Normalfall von Reue (vom Konzil von Trient "attritio" genannt: die Erschütterung hat den Menschen ergriffen, aber nicht durch und durch) wohl eher ein Gemisch aus Furcht, Sich-selbst-Übelnehmen und echter Reue angesichts der Güte Gottes ist. Der Empfang des Bußsakraments nun gewährt die objektive Zusage der Vergebung, auch wenn die Reue "unvollkommen" und das Vertrauen schwach ist. In seiner Demut schenkt Gott, hörbar im Zuspruch der Absolution, "durch den Dienst der Kirche", die ganze Befreiung, selbst wenn von Seiten des Menschen die Voraussetzungen jämmerlich defizient sind. Ja: Die unvollkommene, oft ambivalente Reue wird gerade durch die im Sakrament geschenkte Vergebung "geläutert", befreit von der übermäßigen Selbstbezogenheit, und von Dankbarkeit durchformt. 

Ähnlich bei der heiligen Kommunion. Sie ist die tiefste Vereinigung mit Christus, die auf Erden möglich ist. Die sakramentale Gegenwart Christi und seine Zuneigung zu dem, der ihn empfangen will, ist unabhängig von der Intensität des Glaubens oder gefühlter Innigkeit. Genau gesagt: die sakramentale Gegenwart ist unabhängig von der subjektiven Gläubigkeit des Empfängers wie auch des Zelebranten; die Wandlung geschieht "ex opere operato", wenn der Priester den Auftrag Christi an seine Kirche vollzieht, weil Christus selbst dann diese Wirkung verbürgt.

Hält jemand, gestützt auf den Glauben der Kirche, an der Realität der Gegenwart fest, so stärkt das Sakrament seinen Glauben an die Liebe Christi, der sich nicht scheut, in der demütigen Gestalt des Brotes das Leben derer zu werden, die ihn zu sich bitten – unabhängig von deren fühlbarer Ergriffenheit, Glaubenskraft oder geistiger Konzentration. Der hier geschenkte "Trost" (das Wort bezeichnet kein Gefühl, sondern eine Wirklichkeit, auf die man sich stützt, der man "traut") ist objektiv, die Vereinigung wirklich, auch wenn sie im seelischen Empfinden nicht eingeholt würde. Anders gesagt: Das Sakrament ist die höchstmögliche "Garantie", dass unser Vertrauen, unsere Sehnsucht, unsere Bitten nicht ins Leere gehen.

Zu kommunizieren, sagte Juan de Avila, heißt die Bestätigung erhalten, "dass Christus am Kreuz an dich gedacht hat". Romano Guardini und Teresa von Avila haben in ihren Autobiographien die geistliche Wirkung der bleibenden Realpräsenz beschrieben. Hier betet man im Raum der Erhörung, wo die Bitte im Herzen aller unserer Anliegen erhört ist: die Bitte um die Liebe, die stärker ist als der Tod (Joseph Ratzinger). – Bei der geistlichen Kommunion oder auch beim inneren Gebet "in der Gegenwart Gottes" dagegen hängt viel mehr von der persönlichen Sammlung und Intensität der geistigen Akte ab. In der geistlichen Kommunion zu verharren, ist gewissermaßen eine der Früchte des gläubig empfangenen Sakraments.

Mit dem Geheimnis der Eucharistie wird man jedenfalls nicht so schnell "fertig". Vorbildlich nobel hat dies Bonaventura ausgedrückt – an einer der wenigen Stellen, wo er von sich selbst spricht. Er vertrat bekanntlich und durchaus begründet ein anderes Erklärungsmodell für die Wirksamkeit der Sakramente als etwa Thomas von Aquin. Nach längerem Abwägen der Gründe schloss er mit den Worten:

"Ich verstehe diese andere Ansicht nicht ganz. Aber ich weiß und verstehe doch gut, dass Gott mehr tun kann, und auch in den Sakramenten mehr tut, als wir verstehen können." 

Messfeier und Sakrament

Wozu soll man die heilige Messe feiern, wenn keine Gläubigen physisch zugegen sein können? Ist das nicht ein Rückfall in überholte Vorstellungen, nur ein Ausdruck der privaten Frömmigkeit eines Priesters? Und wozu sollte man die Eucharistie mitfeiern, wenn man nicht die heilige Kommunion empfangen kann?  

Die Eucharistiefeier ist ein Lob-Opfer (1. Hochgebet). In der Form des Gebetes vollzieht die Kirche den Auftrag Christi, seiner Hingabe an den Vater (Opfer) für das Heil der Vielen zu "gedenken" und eben damit diese Hingabe heute gegenwärtig werden zu lassen, um sich selbst immer wieder neu mit Ihm zu verbinden. Das einmalige Geschehen des Sterbens und der Auferstehung Jesu ist kein Ereignis wie alle anderen Ereignisse, so dass man sich daran nur als an etwas Vergangenes erinnerte,  sondern ein Geschehen, das seine Wirkung ("Versöhnung und Heil") auf alle Zeiten ausdehnt: Der Auferstandene ist Alpha und Omega, der "neue Adam", eschatologischer Bezugspunkt für alle Menschen, Völker und Nationen. Die Kirche stellt dem Vater ihren Erlöser ("das Lamm") vor Augen, im Bewusstsein, einzig von Ihm her zu existieren: Als der Leib Christi wird sie aus der Teilnahme an seiner Hingabe aufgebaut. Die Kirche nimmt dabei Teil an der universalen Fürbitte Christi, "der beim Vater immerdar für uns eintritt", und betet bei jeder Eucharistiefeier auch für diejenigen, die nicht anwesend sind, für das Heil der Vielen, die berufen sind, ja um das Heil der ganzen Welt (vgl. Papst Paul VI., Mysterium fidei, n.33)

Darum ist die Mitfeier der hl. Messe nie ein passives Zuschauen, auch kein rein passives Empfangen der Gnade (im Unterschied zur reformatorischen Auffassung), sondern ein "Eingehen" in und "Mitgehen" mit Christi Gebet: "Durch ihn, mit ihm und in ihm,…" (Doxologie). Sie ist die höchste Form der Gottesverehrung und eine Quelle der Gnade, auch dann, wenn man nicht sakramental kommuniziert.

Ebenso ist auch die Feier in kleinstem Kreis (oder im äußersten Notfall des Priesters allein, c.906) nie eine Privat-Angelegenheit, sondern die intensivste Weise der Fürbitte, in der Vereinigung mit Dem, dessen Leben und Sterben ein einziges Gebet war. Es gibt keine "Privat-Messe"; jede Eucharistie-Feier ist von ihrem Wesen her "öffentlicher" Gottesdienst, ein Handeln Christi und der Kirche, selbst dann wenn keine Gläubigen physisch anwesend sind.

Ob es allerdings angemessen oder zulässig ist, die Versperrung der Kirchentüre während der Messfeier anzuordnen – nicht um Ungläubige, sondern Gläubige fernzuhalten! –, steht auf einem anderen Blatt. Auch nicht-sakramentale Handlungen haben Zeichenfunktion. Man möchte meinen, es hätte doch andere Möglichkeiten gegeben, "Massenansammlungen" bei einer Messfeier zu verhindern – gerade wenn man die jetzigen durchschnittlichen Zahlen von Mitfeiernden sieht.

So richtig es ist, dass die Eucharistiefeier kein Mahl ist, so richtig ist es, dass sie konstitutiv ein Mahl enthält. Darum muss zumindest der Priester kommunizieren. Und umgekehrt ist es streng verboten, das Sakrament außerhalb einer Messfeier zu konsekrieren (CIC c.927). Man kann Messopfer und Sakrament nicht trennen. Zwar ist die Mitfeier der heiligen Messe auch dann ein Gnadengeschehen, wenn man nicht sakramental kommuniziert, doch widerspricht ein genereller Ausschluss der Gläubigen von der Kommunion offensichtlich dem Sinn der Einsetzung dieses Sakramentes. Die Kommunionspendung als solche zu untersagen oder den Kommunionempfang Gläubigen, die kommunizieren wollen und können, zu verweigern, steht im Widerspruch zu CIC c. 912: "Jeder Getaufte, der rechtlich nicht daran gehindert ist, kann und muss zur heiligen Kommunion zugelassen werden."

Im Fall einer Pandemie müssen andere Weisen gefunden werden, die das Ansteckungsrisiko minimieren, etwa die Möglichkeit, außerhalb der Eucharistiefeier zu kommunizieren, wie es c.918 vorsieht:

"Es wird mit Nachdruck empfohlen, dass die Gläubigen in der Feier der Eucharistie selbst die heilige Kommunion empfangen; wenn sie jedoch aus gerechtem Grund darum bitten, ist sie ihnen außerhalb der Messe zu spenden; dabei sind die liturgischen Riten zu beachten."

Nebenbei bemerkt: Angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder einmal vom "Recht der Gemeinde auf Eucharistie" die Rede war – weitgehend ohne dass diese Forderung und die damit verbundenen weitreichenden Vorschläge auf entschiedenen Widerspruch von Bischöfen gestoßen wären – reibt man sich die Augen: Wie passt das alles nun zum Verbot der Messfeier mit Gläubigen und/oder der Kommunionspendung?

Zur Fortsetzung: Teil 2 von "Sakramente in Zeiten von Corona"