Vielen Menschen, ob gläubig oder nicht, gilt Johannes Paul II. noch heute als der Philosoph auf dem Stuhl Petri. Geschuldet ist dies nicht nur seinen Schriften, die er als Gelehrter in Krakau verfasst hat, sondern auch der großen Enzyklika „Fides et ratio“, die am 14. September 1998 publiziert wurde. Dort bezeichnet der heilige Papst Glaube und Vernunft als die „beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt“. Über Wahrheit wurde bereits vor über zwanzig Jahren – in Theologie wie Philosophie – nicht nur diskutiert, sondern der objektive Wahrheitsbegriff ist in beiden Disziplinen auch diskreditiert und relativiert worden. Johannes Paul II. erinnert an die Grundfragen des Menschen: „Wer bin ich? Woher komme ich und wohin gehe ich? Warum gibt es das Böse? Was wird nach diesem Leben sein? … Es sind Fragen, die ihren gemeinsamen Ursprung in der Suche nach Sinn haben, die dem Menschen seit jeher auf der Seele brennt: von der Antwort auf diese Fragen hängt in der Tat die Richtung ab, die das Dasein prägen soll.“

Werden diese Fragen heute noch ernst genommen? Bisweilen scheint es so zu sein, als ob Kirche und Theologie nicht einen ernstzunehmenden Dialog suchen, sondern sich hermetisch gegenüber der Wahrheitsfrage abschotten und stattdessen den Winden des Zeitgeistes folgen. Johannes Paul II. bekräftigt, dass die Kirche sich an Jesus Christus zu orientieren habe, damit also einen „Dienst an der Wahrheit“ notwendig leisten müsse. Die Philosophie gehöre zu den „vornehmsten Aufgaben der Menschheit“, mit ihr ist die Theologie verbunden. Die Philosophie zeige, „daß das Streben nach Wahrheit zur Natur des Menschen gehört“: „Es ist eine seiner Vernunft angeborene Eigenschaft, sich nach dem Ursprung der Dinge zu fragen, auch wenn sich die nach und nach gegebenen Antworten in einen Horizont einfügen, der die Komplementarität der verschiedenen Kulturen, in denen der Mensch lebt, deutlich macht.“

Aber Philosophie genügt nicht, selbst wenn sie – besonders für Johannes Paul II. selbst – eine große Bereicherung darstellt: „Die dem menschlichen Geist eigentümliche Fähigkeit zum spekulativen Denken führt durch die philosophische Betätigung zur Ausbildung einer Form strengen Denkens und so, durch die logische Folgerichtigkeit der Aussagen und die Geschlossenheit der Inhalte, zum Aufbau eines systematischen Wissens. Dank dieses Prozesses wurden in verschiedenen kulturellen Umfeldern und in verschiedenen Epochen Ergebnisse erzielt, die zur Ausarbeitung echter Denksysteme geführt haben. Dadurch war man im Laufe der Geschichte immer wieder der Versuchung ausgesetzt, eine einzige Strömung mit dem gesamten philosophischen Denken gleichzusetzen.“ Zugleich stellt er fest: „Ganz offenkundig tritt jedoch in diesen Fällen ein gewisser »philosophischer Hochmut« auf den Plan, der Anspruch darauf erhebt, die aus seiner eigenen Perspektive stammende, unvollkommene Sicht zur allgemeinen Lesart zu erheben. In Wirklichkeit muß jedes philosophische System, auch wenn es ohne jegliche Instrumentalisierung in seiner Ganzheit anerkannt wird, dem philosophischen Denken die Priorität zuerkennen, von dem es seinen Ausgang nimmt und dem es folgerichtig dienen soll.“

Eine Philosophie, die sich von der Bindung an oder der Ausrichtung auf Gott hin löst, verfällt dem Säkularismus und wird zu einer Apologie des Relativismus, etwa in Fragen der Ethik, wenn Argumentationsstrategien vorherrschen und der Mensch als Maß aller Dinge auftritt. Die Verbindung von Vernunft und Glaube ist nicht nur zu begrüßen, sie ist auch notwendig. Die Kirche sehe „in der Philosophie den Weg, um Grundwahrheiten zu erkennen, welche die Existenz des Menschen betreffen“ und betrachte diese „als unverzichtbare Hilfe, um das Glaubensverständnis zu vertiefen und die Wahrheit des Evangeliums allen, die sie noch nicht kennen, mitzuteilen“. Ebenso eindeutig aber positioniert sich Johannes Paul II. gegen die Versuchungen auf dem Feld des Denkens. Der Positivismus ist eine große Gefahr. Bedrohlich erscheint der Relativismus, in dem der Mensch und seine subjektiven Meinungen glorifiziert werden: „Die moderne Philosophie hat das Fragen nach dem Sein vernachlässigt und ihr Suchen auf die Kenntnis vom Menschen konzentriert. Anstatt von der dem Menschen eigenen Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis Gebrauch zu machen, hat sie es vorgezogen, deren Grenzen und Bedingtheiten herauszustellen. Daraus entstanden verschiedene Formen von Agnostizismus und Relativismus, die schließlich zur Folge hatten, daß sich das philosophische Suchen im Fließsand eines allgemeinen Skeptizismus verlor. In jüngster Zeit haben dann verschiedene Lehren Bedeutung erlangt, die sogar jene Wahrheiten zu entwerten trachten, die erreicht zu haben für den Menschen eine Gewißheit war.

Die legitime Pluralität von Denkpositionen ist einem indifferenten Pluralismus gewichen, der auf der Annahme fußt, alle Denkpositionen seien gleichwertig: Das ist eines der verbreitetsten Symptome für das Mißtrauen gegenüber der Wahrheit, das man in der heutigen Welt feststellen kann.“ Dieses Misstrauen ist weit verbreitet, und es hat in den letzten 25 Jahren noch zugenommen, mit irritierenden und gefährlichen Folgen, die bis hin – man denke an die ideologischen Formen der Gendertheorie – ur Auflösung des christlichen Menschenbildes führen. Johannes Paul II. bekräftigt die „Notwendigkeit des Nachdenkens über die Wahrheit“ und beruft sich dabei auf das Zweite Vatikanische Konzil: „Die Wahrheit zu bezeugen ist also eine Aufgabe, die uns Bischöfen übertragen wurde; ihr können wir uns nicht versagen, ohne das Amt, das wir erhalten haben, zu vernachlässigen. Durch neuerliche Bekräftigung der Glaubenswahrheit können wir dem Menschen unserer Zeit wieder echtes Vertrauen in seine Erkenntnisfähigkeiten geben und der Philosophie eine Herausforderung bieten, damit sie ihre volle Würde wiedererlangen und entfalten kann.“ Dass die Bischöfe Zeugnis für die Wahrheit ablegen – das wünschen sich Weltchristen heute in aller Welt.

Die bisher bei CNA Deutsch veröffentlichten Geistlichen Betrachtungen zu den Enzykliken von Johannes Paul II. im Überblick.

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