„In ein paar Stunden würden wir diesen Joseph Ratzinger, inzwischen der emeritierte Papst Benedikt XVI., zu einem Gespräch treffen, und wir ahnten, dass es die letzte Begegnung mit ihm sein würde.“

Aus den Worten von Markus Lanz und Manfred Lütz bezüglich ihrer Begegnung mit Benedikt XVI. am 30. April 2018 entspross der Titel des vorliegenden Buches. Die beiden Autoren ahnten an jenem Montagmorgen wohl nicht, dass ihr berühmter Gesprächspartner noch weiter knapp vier Jahre unter den Lebenden weilen sollte.

Da ihr Buch „Benedikt XVI. – Unser letztes Gespräch“ nur wenige Tage nach dem Tod des früheren Papstes am 31. Dezember 2022 erscheinen konnte, klingt der Titel nicht nur höchst aktuell; auch für den Verlag scheint der Veröffentlichungstermin wie ein genialer Coup.

Das vorliegende, keine hundert Seiten umfassende Werk, besteht aus drei Teilen: Sowohl der Fernsehmann und Fotograf Markus Lanz als auch der Psychiater Manfred Lütz tragen mit je eigenen Beiträgen zum Buch bei.

Lanz und Lütz stellen fest: „Je größer die Persönlichkeit, je dramatischer die Geschichte, desto bescheidener kommt sie meistens daher.“ Für sie war Ratzinger bzw. Benedikt „aus diesem Holz geschnitzt“. Er sei ein stiller, bescheidener und beeindruckender „Zeuge eines ganzen Jahrhunderts“, aber doch „anders als die meisten, darüber auch zur Jahrhundertfigur geworden“. Seine „wahre Größe“ hätten manche erst erkannt, „als er von seinem Amt zurücktrat“:

„Wie sehr muss einer mit sich im Reinen sein, der einen solchen Schritt tut?“

Professor Ratzinger, so erfahren die Leser des Buches, sei „fast immer“ „der jüngste, der spannendste, der interessanteste Hochschullehrer“ gewesen. Als junger Theologe sei er geradezu ein „Shootingstar der Theologie“ gewesen, um den sich die „renommiertesten theologischen Fakultäten“ gerissen hätten.

Die Autoren finden einen klaren Unterschied zwischen ihm und einem anderen jungen weltweit bekannten deutschsprachigen Theologen, Hans Küng: „Küng schrieb am Ende seines Lebens drei dicke Bände über sein eigenes Leben, Papst Benedikt schrieb am Schluss drei Bände über Jesus von Nazareth. Das allein sagt schon manches.“

Das Buch von Lanz und Lütz ist kein Interviewbuch, wie es der Titel mutmaßen lassen könnte. Die Autoren erzählen aus ihrem Gedächtnis von einer Begegnung, das sie als „ganz konzentriert auf ein existenzielles Gespräch“ mit dem zurückgetretenen Papst bezeichnen.

Manfred Lütz konfrontierte darin den Papst mit seinem Image in Deutschland, wo man ihn als „Panzerkardinal“ angesehen hatte, und wollte wissen, ob ihn das verletzt habe. Benedikt betonte, er habe damit nie etwas anfangen können. Die Aussage sei außerdem absurd. Der Psychiater Lütz stellt fest, es sei zu spüren gewesen, „dass es ihn dennoch getroffen“ habe.

Zahlreiche Themen kommen zur Sprache, auch diejenigen, die in Deutschland in Bezug auf die Kirche diskutiert werden. Im Verlauf der Begegnung stellt Markus Lanz dem Papst die Frage, was er „gefühlt“ habe, als er, frisch gewählt, auf dem Weg zur Loggia war, um sich den Gläubigen zu zeigen und den Segen zu spenden.

„Papst Benedikt macht eine lange Pause, atmet tief durch und antwortet dann, er habe dort einfach gestanden und alles über sich ergehen lassen.“ Es habe ihn „vor allem bewegt, was er sagen würde, wenn er gleich auf den Balkon hinaustrete. Es habe eigentlich gar keine Zeit gegeben, um wirklich etwas zu reflektieren.“

Lanz wollte noch weiter wissen, was Benedikt dachte, als ihm „klar geworden sei, was dieses Amt wirklich bedeutet“. Darauf sagte ihm der emeritierte Papst, er könne da keinen Moment nennen, „diese Frage habe ihn eigentlich das ganze Pontifikat hindurch bewegt. Denn er sei ja zweifellos jemand, der für eine so gewaltige Aufgabe nicht geeignet sei. Es sei ja im Grunde genommen völlig absurd für einen Mann von 78 Jahren, noch einmal etwas ganz Neues von dieser Dimension zu beginnen. Aber dann habe er die Aufgabe auch gerne angenommen und das getan, was getan werden musste.“

In seinem eigenen Beitrag berichtet Manfred Lütz von seinen zahlreichen Begegnungen mit Kardinal Ratzinger, bei denen es um die verschiedensten Themen gegangen sei, auch über solche, die gerade bei einem Psychiater immer wieder ein Thema sind, wie Pädophilie, Missbrauch oder die Frage des Hirntodes.

Lütz stellt fasziniert fest: „Auch wenn wir uns ein Jahr lang nicht gesehen hatten, knüpfte er stets bei unseren Gesprächen präzise da an, wo wir vor einem Jahr aufgehört hatten. Ich habe in meinem ganzen Leben nie einen Menschen mit einem auch nur annähernd so brillanten Gedächtnis erlebt wie Joseph Ratzinger und wohl auch nie jemand so Gescheites …“

Der eigene Beitrag von Markus Lanz ist besonders deswegen interessant, weil er gut ein Dutzend Seiten benötigt, um endlich zur Erzählung seiner ersten Begegnung mit Kardinal Ratzinger zu kommen. Doch diese wenigen Seiten haben es in sich. Er berichtet darin von weltweiten Reisen und Begegnungen mit Mönchen und Nonnen. Lanz suchte die Begegnung mit diesen Menschen und konnte viel über sie erfahren.

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Von einem dieser Mönche, von dem er wissen wollte, wie dieser „sein Lebensgefühl“ beschreiben würde, bekam er die ihn irritierende Antwort: „Ich bin tot für die Welt, und die Welt ist tot für mich.“ Dabei lächelte der Mönch „und wirkte ganz und gar nicht gequält, sondern auf seltsame Weise heiter und frei“.

Über Papst Benedikt schreibt Lanz: „Ich habe für meine Arbeit viele Menschen getroffen und befragt. Bei keinem stimmte das mediale Bild, die Klischees und Vorurteile, die über ihn in der Öffentlichkeit existieren, mit dem tatsächlichen Bild überein. Doch es gibt nicht viele, bei denen mediale Überzeichnung und Realität so sehr auseinanderklafften wie bei Joseph Ratzinger. Der brillante, aber vermeintlich kalte Denker, der angebliche Wächter der reinen Wahrheit und Lehre war in der persönlichen Begegnung mit mir – und nur darüber kann ich berichten – ein anderer.“

„Vor allem drei Begriffe sind es, die mir immer wieder in den Sinn kommen, wenn ich über diesen außergewöhnlichen Menschen nachdenke oder von ihm lese: demütig, warmherzig, bescheiden. Kein Kirchenfürst. Das genaue Gegenteil davon.“

„Was wichtig ist? Er hat es ganz präzise beschrieben in jener Predigt vor dem Konklave, das ihn zum Papst machte.“ Lanz spürt dabei die „direkte Verbindung zu den Mönchen in der Wüste“: „Alle Menschen wollen eine Spur hervorbringen, die bleibt. Aber was bleibt? Das Geld nicht. Auch die Gebäude nicht; ebenso wenig die Bücher. Nach einer mehr oder weniger langen Zeit verschwinden alle diese Dinge. Das Einzige, was bleibt, ist die Seele, die Liebe und die Geste, die das Herz zu berühren vermag.“

Markus Lanz, Manfred Lütz: Benedikt XVI. – Unser letztes Gespräch; Kösel-Verlag 2023; 96 Seiten; 18 Euro; ISBN 9783466373161

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