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Um eine Philosophie des Guten: 13. Moore und das Humesche Gesetz

Der schottische Philosoph David Hume in einem Portrait von Allan Ramsay

Das 1903 erschienene Buch “Principia Ethica” von G. E. Moore löste eine metaethische Diskussion aus, die bis heute anhält. Mit “metaethisch” ist gemeint: Es geht dabei nicht im inhaltliche Fragen einer normativen Ethik. Man sucht nicht die Antwort auf die eine der drei klassischen Fragen Kants: “Was soll ich tun?” Sondern es geht um die Frage nach der Bedeutung der Worte “sollen” und “gut”. Eine Schlüsselstellung nimmt in dieser Diskussion der schon in der letzten Folge genannte “naturalistische Fehlschluss” ein. Es ist von entscheidender Bedeutung, exakt zu verstehen, was damit gemeint ist, um all die vielen Verwirrungen und Sackgassen, in die die Diskussion geraten ist, zu durchschauen und zu vermeiden.

Moore selber hat den Begriff geprägt. Er spricht von “naturalistic fallacy”. Barbara Merker merkt dazu im einschlägigen Eintrag in der Enzyklopädie Philosophie (Band 2, Hamburg 2010, S. 1722-1724) zurecht an, dass dieser Ausdruck besser mit “Naturalistischer Irrtum” als mit “Naturalistischem Fehlschluss” übersetzt wird. Denn tatsächlich handelt es sich nicht um einen Schluss, sondern um einen Irrtum, nämlich um die unberechtigte Identifizierung der Bedeutung des Wortes “gut” mit dem, was Moore eine natürliche Eigenschaft nennt. Dieser Irrtum ist verwandt, aber nicht identisch mit dem Humeschen Gesetz. Dieses verbietet, von einem bloß faktischen Sein auf ein Sollen zu schließen, oder anders ausgedrückt: Aus rein deskriptiven Sätzen kann man keine normativen Schlussfolgerungen ziehen. Diese auf David Hume zurückgehende Einsicht wurde und wird oft benutzt, um moralische Scheinbegründungen zu entlarven. Allein aus der Tatsache, dass etwas ist, kann man nicht folgern, dass es auch sein soll. In der Evolution z.B. gilt das Gesetz des survival of the fittest. Unter Pflanzen und Tieren verhält es sich so, manchmal auch unter Menschen. Aber daraus kann man nicht folgern, dass das moralisch richtig ist. Der Sozialdarwinismus kann sich noch so sehr auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Evolutionsbiologie berufen: Diese Erkenntnisse beschreiben Tatsachen, aber man kann aus ihnen keine Normen folgern. Die “normative Kraft des Faktischen” existiert nicht. Es handelt sich bei der “normativen Kraft des Faktischen” um einen Ausdruck, den der Staatsrechtler und Rechtspositivist Georg Jellinek (1851-1911) geprägt und gegen die Idee des Naturrechts in Stellung gebracht hat. In der Ethik ist das Humesche Gesetz weitgehend anerkannt, seine Kenntnis und Anwendung gilt als Kennzeichen eines philosophisch aufgeklärten Geistes. Auch unter Biologen hat sich das Humesche Gesetz so weit herumgesprochen, dass es unter ihnen kaum noch jemanden gibt, der es ignoriert. In der modernen Theologie sieht es anders aus. In der Nachkonzilszeit sprach man plötzlich ungeniert von der “normativen Kraft des Faktischen”, um die Lehre der Kirche auszuhebeln: Karl Rahner von der “normativen Kraft des faktischen Glaubens”, Wilhelm Korff von der “normativen Kraft faktisch gelebter Überzeugungen”. Das war vor einigen Jahrzehnten. Die Methode ist geblieben, die Sprache hat sich gewandelt. Inzwischen spricht man von der Lebenswirklichkeit, an die sich die Lehre anpassen müsse: Das faktische Verhalten weicht von den Normen ab? Um so schlimmer für die Normen! Sie müssen den Tatsachen angepasst werden! Das ist Ignoranz des Humeschen Gesetzes in Reinkultur.

Im Vergleich zu solchen Anwendungsfeldern des Humeschen Gesetzes bewegt sich Moores Naturalistischer Fehlschluss auf einer Metaebene. Obwohl Moore der Schöpfer des Ausdrucks ist, wird ihm dieser Ausdruck immer wieder entwendet, indem er auch auf das verwandte Humesche Gesetz angewandt wird. So schreibt Merker in dem schon erwähnten Lexikonartikel: “In Abweichung von G. E. Moore, dem Erfinder des Ausdrucks ‘naturalistic fallacy, wird in der Philosophie unter einem Naturalistischen Fehlschluss zumeist der Fehler bezeichnet, aus bloßem Sein ein Sollen abzuleiten.”

Peter Schaber meint sogar, dass exakt das, wofür Moore den Ausdruck “naturalistic fallacy” geprägt hat, keiner sei: “Wer einen solchen ethischen Naturalismus vertritt, begeht - anders als man meinen könnte - keinen naturalistischen Fehlschluss. Hier wird kein Sollen aus einem Sein abgeleitet. Die These lautet vielmehr: Ausdrücke wie ‘gut’ und ‘richtig’ haben denselben Referenten wie rein deskriptive Ausdrücke. Es liegt also keine Ableitung vor und deshalb läuft man auch nicht Gefahr, einen Fehlschluss zu begehen” (Schaber, Zur Debatte um den Moralischen Realismus, in: Fischer/Grotefeld/Schaber, Moralischer Realismus, Stuttgart 2004).

Die sonst so gerne miteinander identifizierten Thesen von Moore und Hume werden hier von Schaber gänzlich voneinander getrennt. Das liegt daran, dass Schaber der Vertreter eines (schwachen) Naturalismus ist und sich natürlich den Vorwurf eines Verstoßes gegen das Humesche Gesetz vom Leibe halten will.

Eberhard Schockenhoff dagegen wirft wie die meisten Ethiker beides zusammen. Er bringt als Beispiel für einen naturalistischen Fehlschluss die von Bruno Schüller angeführte Meinung Epiktets von der Pflicht des Mannes zum Bartwuchs, weil dieser das natürliche Unterscheidungsmerkmal des Mannes von der Frau sei. “Die biologische Tatsache des Bartwuchses wird hier unmittelbar mit der Erkenntnis einer sittlichen Norm gleichgesetzt” (Schockenhoff, Grundlegung der Ethik, Herder 2007, S. 451). Auch wenn hier tatsächlich von einer biologischen Tatsache auf eine Norm geschlossen und damit gegen das Humesche Gesetz verstoßen wird, so befinden wir uns hier doch auf einer anderen Ebene als jene, die Moore mit seiner naturalistic fallacy im Auge hat. Es ist von äußerster Wichtigkeit, beide Ebenen klar auseinanderzuhalten, um sofort zu erkennen, wann das Argument des naturalistischen Fehlschlusses missbraucht wird. Schockenhoff warnt zurecht vor einer Scheinargumentation, die den naturalistischen Fehlschluss als Totschlagargument gegen jeden, etwa naturrechtlich inspirierten Versuch anführt, die Moral mit der Wirklichkeit in Verbindung zu bringen. (Unter seiner Betreuung wurde sogar eine Dissertation mit dieser Stoßrichtung fertiggestellt: Alexis Fritz, Der naturalistische Fehlschluss. Das Ende eines Knock-Out-Arguments, Fribourg 2009). Tatsächlich wird uns der Durchblick in dieser Frage befähigen, besser die Haltlosigkeit der Argumente zu durchschauen, die katholische Theologen gegen die Naturrechtslehre im allgemeinen und gegen die einschlägige Bundestagsrede Papst Benedikts im besonderen vorbringen, um ihn des naturalistischen Fehlschlusses zu verdächtigen.

Die Serie "Um eine Philosophie des Guten" erscheint alle 14 Tage am Dienstag um 9 Uhr bei CNA Deutsch. 

Die bisherigen Folgen im Überblick:

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