01 Oktober, 2018 / 2:00 PM
Als ich vor einigen Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe als Erzieherin gearbeitet habe, war ich beruflich oft im Amtsgericht in Köln. Auf dem gleichen Flur wie das Familiengericht, befand sich auch das Büro für Kirchenaustritte. Jedes Mal, wenn ich dort war, saßen Menschen vor diesem Büro, um aus der Kirche auszutreten. Jedes Mal war ich erstaunt über die Menge der Menschen und rechnete mir in meiner Wartezeit aus, wie Viele aufs Jahr gerechnet dort durchschnittlich sitzen. Gleichzeitig beobachtete ich die Leute, die dort saßen und stellte fest, dass es eine bunte Mischung war aus Menschen, die unsicher wirkten, andere die schon anhand ihres Äußeren etwas revoluzzermäßiges an sich hatten und wieder andere, die irgendwie gleichgültig wirkten und nur hofften schnell dran zu kommen.
Alles in allem herrschte eine merkwürdige Stimmung vor diesem Büro und ich fragte mich, ob nur ich diese so wahrnahm oder ob diese auch von den Wartenden gleichermaßen empfunden wurde. Ich hätte gerne einige der Menschen gefragt, was sie zu dem Austritt bewegt oder hatte manchmal den Impuls so was wie "Kehre um" in die Menge zu rufen…aber verwarf diesen provokanten Gedanken auch gleich wieder. Ich hatte auch lustige Ideen, wie mich als Nonne verkleidet unter die Wartenden zu mischen und gespannt auf Reaktionen zu warten. In jedem Fall regten diese Menschen bei mir irgendeinen Tatendrang aus, den ich beherrschen musste.
Natürlich ist die Entscheidung für oder gegen die Kirche ein freiheitlicher Akt. Dennoch frage ich mich manchmal, ob ich nicht wirklich irgendwie hätte aktiv werden müssen, ob das nicht meine christliche Pflicht gewesen wäre oder ob es in Ordnung ist, die Menschen gewähren zu lassen. Vermutlich wäre ich schneller aus dem Amtsgericht geflogen, als ich hätte gucken können, wenn ich zur Tat geschritten wäre und Menschen angesprochen hätte.
Nun holten mich diese Erinnerungen gestern bei strahlendem Sonnenschein an einem gewöhnlichen Mittwochnachmittag ein. Ich bereitete gerade Brei für die Kleine zu, als ich eine WhatsApp Nachricht aus der Verwandtschaft erhielt mit der Info, dass ein lang gehegter Plan endlich in die Tat umgesetzt wurde und sie heute aus der Kirche ausgetreten sind!
Ich las diese Nachricht mehrmals, war ein wenig verwirrt, dachte kurz an einen Scherz und ärgerte mich dann über die Art und Weise so etwas Wichtiges mitzuteilen. Oder empfanden die Verwandten den Austritt nicht als wichtig, sodass sie an WhatsApp als Kommunikationsmedium gar nichts unpassendes fanden?
Ich musste meine Gedanken ordnen und rief meine Eltern an. Die waren überrascht, da sie noch gar nicht ihre WhatsApp Nachrichten gelesen hatten und waren hauptsächlich sauer. Einig waren wir uns darüber, dass mit diesem Schritt ein Bruch in der Familie statt gefunden hat. Kann man sich noch frohe Weihnachten wünschen? Zur Kommunion der Kinder einladen?
Eigentlich nicht mehr…oder ist das unchristlich, die Verwandten jetzt auszuschließen? Bei Festen wie Weihnachten und Kommunion verbinden sich Religion und Familie, diese Tradition zu durchbrechen, ist irgendwie auch eine Ansage. Aber haben diejenigen, die ausgetreten sind, nicht den Bruch begangen?
Vielleicht hilft ein Blick in die Bibel: Na klar, Jesus war oft in der Situation mit Menschen wie dem "ungläubigen Thomas" oder Saulus umzugehen, Gleichnisse wie die vom "verlorenen Sohn" oder dem "barmherzigen Samariter" nicht zu vergessen. Jesus war immer den Menschen zugewandt, hat nie die Kommunikation abgebrochen und hat immer in der Überzeugung gehandelt, dass diejenigen, die sich entfernt haben, wieder in die Mitte geholt werden müssen.
Ok, dachte ich…wenn das so ist…dann kann ich ja jetzt endlich Zeugnis ablegen, so wie ich es vor vielen Jahren auf dem Flur des Amtsgericht geplant hatte. Es geht nicht um aufdringliche Mission oder um Vorwürfe, sondern einzig und allein um das öffentlich machen meines Glaubens. Ich werde eine Weihnachtskarte verschicken, die neben Frohen Weihnachtswünschen auch Segenswünsche fürs neue Jahr enthält und ich werde beten für die Verwandten und für alle, die sich von der Kirche abgewendet haben, dass sie wieder "nach Hause" kommen.
Diese Einladung für die Kirche und für die Menschen zu beten, spreche ich an sie alle aus. Neugierig habe ich geschaut, welche Tagesheiligen am 26.September, dem Tag an dem ich die Nachricht zum Kirchenaustritt erhalten habe, Namenstag haben und um deren Fürsprache ich bitten könnte: Papst Paul VI, der bereits selig gesprochen und dieses Jahr am 14.10. heilige gesprochen werden soll, habe ich gefunden und er hat folgendes in seiner Schlussrede des Zweiten Vatikanischen Konzils gesagt:
"Für die katholische Kirche ist niemand fremd, niemand ausgeschlossen, niemand fern. Diesen Unseren universellen Gruß richten Wir auch an Euch, Menschen, die Ihr Uns nicht kennt; Menschen, die Ihr Uns nicht versteht; Menschen die Ihr Uns nicht für Euch nützlich, notwendig und freundlich glaubt; und auch an Euch, Menschen, die Ihr, für sich denkend so Gutes zu tun, Uns anfeindet! Ein aufrichtiger Gruß, ein besonderer Gruß, aber voll von Hoffnung; und heute, glaubt es, voller Wertschätzung und Liebe."
Das Blog "Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter" mit Elisabeth Illig erscheint jeden Montag bei CNA Deutsch. Alle bisherigen Blogposts finden Sie hier im Überblick.
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