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Die Beichte des Kardinals. Zwischen Petrus und Satan

Ausschnitt aus dem Originalplakat zum italienischen Film "E venne un uomo" (Es kam ein Mensch).

Es ist der Patriarch von Venedig, den man durch die Gassen der Lagunenstadt gehen sieht. Bekleidet mit einem Regenmantel, darunter ein schwarzer Zivilanzug mit schwarzer Krawatte, auf dem Kopf ein Hut, von dem die Regentropfen herunterperlen. Ein ungewöhnliches Bild. Die Szene des Films spielt irgendwann in den Jahren zwischen 1953 und 1958. Angelo Giuseppe Kardinal Roncalli sieht aber darin so gar nicht aus, wie man ihn kennt. Keine gedrungene Gestalt, kein kahler Charakterkopf, keine markante Hakennase. Stattdessen schlank und mit vollem schwarzen Haar. Es ist heller Tag. Die Menschen hasten geschäftig durch das vom heutigen Kreuzfahrttourismus noch weit entfernte Venedig. Sie tuscheln untereinander. Der Kardinal schreitet unerkannt und bedächtig daher. Die Kamera ist auf sein Gesicht gerichtet, das sich in milder Neutralität dem Beobachten hingibt.

So agiert er übrigens im ganzen Film. E venne un uomo – "Es kam ein Mensch", so lautet der Titel eines bescheidenen und deswegen auch fast verschollenen Kinofilms, für den James-Bond-Produzenten Harry Saltzman 1965 den tiefgläubigen Regisseur Ermanno Olmi gewinnen konnte, unter dessen Händen ein international unbekannt gebliebenes filmisches Meisterwerk entstand. Eine Hommage an Papst Johannes XXIII., die Verfilmung seines Lebens von der Kindheit und Jugend im bergamaskischen Sotto il Monte bis hin zu seiner Zeit als Patriarch von Venedig und zu seinem Pontifikat als Nachfolger Papst Pius’ XII. von 1958 bis 1963. Das Besondere an E venne un uomo ist, dass Olmi seinen Hauptdarsteller, den Oscar-Preisträger Rod Steiger, nicht als Roncalli verkleidet, um ihn Johannes XXIII. in einem klassischen Biopic spielen zu lassen, sondern ihn als schauspielerischen Mediator einsetzt, der die Worte des Papstes zwar spricht oder an seiner Stelle agiert, seine Person aber nur vermittelt, ohne sich mit ihr zu identifizieren.

Eine von vielen berührenden Szenen des Films ist die Begegnung Roncallis mit einem seiner Priester in Venedig. Er trifft ihn bei seinem Gang durch die verregneten Gassen. Der in einen Regenmantel gehüllte Schauspieler-Stellvertreter entdeckt den Priester, der in beschmutzter Soutane, unrasiert und offensichtlich auch alkoholisiert in einem bedauernswerten Zustand am Rand eines Kanals steht. Bedrückt und am Ende, wie es scheint. Rod Steiger, der Mediator, legt ihm den Arm um die Schulter und nimmt den gescheiterten Priester, stellvertretend für den Kardinal, mit in sein Palais. Dort führt er ihn in die Kapelle, legt dem verwahrlosten Mitbruder die violette Stola um und kniet vor ihm nieder, um bei ihm, dem Versündigten, zu beichten. "Sehen Sie", sagt der Kardinal zu seinem Priester, "zu welch erhabenem Dienst wir berufen sind!"

Eine starke Szene, in der unübersehbar deutlich wird, was das Priestertum ist und welches Verhältnis zwischen Amt und Person des Priesters besteht. Der heruntergekommene Priester, der in all seiner Armseligkeit und Sündhaftigkeit, besudelt durch menschliches Versagen und dadurch allermoralischen Glaubwürdigkeit beraubt, in der Gosse erwischt wurde, wird zum objektiven Gefäß für die Gnade Gottes. Der Kardinal erteilt dem gescheiterten Priester eine nachhaltige Lehre, wenn er vor dem niederkniet und bei ihm beichtet, der ganz offensichtlich weit mehr gesündigt hat als er selbst. Der Gefallene wird moralisch geheilt durch die Erinnerung, dass Gott in ihm bei der Weihe Wohnung genommen hat, und dass er deswegen diese Wohnung zu jedem Zeitpunkt in Ordnung halten muss, wenn er durch sein heiliges Amt selbst heilig werden will.

Dennoch – und das spricht ebenso aus der Szene – Gott bindet sich nicht an die moralische Qualität des geistlichen Amtsträgers, sondern will – unabhängig vom sittlichen Zustand des Priesters – in den Sakramenten wirken. Dichter als in dieser Szene des bei einem versündigten Priester beichtenden Kardinals kann wohl kaum das fokussiert werden, was als Grundstruktur des Apostolischen Amtes angesehen werden muss und auch als Grundzug im Wesen der Kirche: dass Gott, der Heilige, Seine Gnade in menschliche Gefäße gießt, um sie an die Menschen weiterzugeben. Und dass diese Gefäße durchaus unheilig und bis zur Unkenntlichkeit verschmutzt und beschädigt werden können, niemals aber unfähig werden, den Trank auszuschenken, den Gott in den Sakramenten für das Leben der Welt bereithält.

Unzweifelhaft ist schon die bloße Erinnerung an diese Wahrheit heute eine Provokation für alle, denen sich der Begriff der Heiligkeit der Kirche nicht erschließt. Die in einer "heiligen Kirche" zwangsweise einen systemischen Denkfehler und daher eine grandiose Heuchelei erblicken. Eben weil sie glauben, die Heiligkeit, von der hier die Rede ist, bekunde die persönliche Makellosigkeit der einzelnen Christen in der Kirche – ihrer Geistlichkeit zumal. Und die deswegen in Häme und Zynismus verfallen, ob des Missverständnisses, die Kirche erhebe den Anspruch, ein Verein fehlerfreier Menschen zu sein, der nun nach der medialen Razzia als großer Bluff, schlimmer noch, als gigantischer krimineller Betrug hochgegangen ist. Die Un- und Doppelmoral, derer viele in der Kirche überführt wurden, die eigentlich einmal Authentizität versprochen hatten, wiegt schwer auf den Seelen derer, die ihr Vertrauen in die Kirche nun verspielt sehen. Die Schäden, die entstanden sind, sind fraglos riesig. Und viele fragen sich nicht mehr nur insgeheim, ob Christus Seine Zusage, dass die Kirche von den Pforten der Hölle nicht wird überwältigt werden könne, vielleicht zurückgezogen hat. Wobei – was hatte es denn genau mit der Zusage der Machtlosigkeit der Hölle gegenüber der Kirche auf sich? Was hat Christus denn eigentlich versprochen, als Er die Kirche auf den Felsen Petri gründete mit der Verheißung, dass diese Gründung nicht mehr würde zerstört werden könne?

Es erschließt sich sehr schnell, wenn man die berühmte Stelle aus dem Matthäus-Evangelium nicht aus ihrem Zusammenhang reißt. Denn nachdem in Matthäus 16,18 f. Petrus zum Felsen der Kirche gemacht und ihm mit den Schlüsseln des Himmelreichs die Binde und Lösegewalt über die Ewigen Dinge überantwortet worden war, nennt Christus ihn wenige Augenblicke später in Matthäus 16,23 "Satan". Denn Petrus lehnt sich gegen Ihn auf und will nicht einsehen, dass der Messias nur dann ein Erlöser ist, wenn Er für die Welt leidet und stirbt. Dieses allzu Menschliche im eben noch zum ersten Papst berufenen Apostel wird von Christus gnadenlos offengelegt: "Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen."

Damit ist etwas Wichtiges über das Wesen der Kirche und des Apostolischen Amtes ausgesagt. Einerseits regelt Christus Seine Stellvertretung durch die Bindung an das Amt des Petrus. Andererseits gibt Er ihm diese Vollmacht nicht als persönliche Macht. Christus will durch Petrus den Menschen den Himmel aufschließen. Petrus selbst ist dazu als Person aber gar nicht in der Lage. Im Gegenteil, die Begrenztheit seiner Fähigkeiten – in diesem Fall sein menschliches Räsonieren – erhält eine barsche Abfuhr. Dennoch soll und kann er "Fels" sein, und das heißt Dienstnehmer Christi. Der Sohn Gottes setzt Seine Menschwerdung im Amt menschlicher Apostel fort. Sie sind fortan stets im Spagat zwischen ihrer amtlichen Vollmacht und ihrer persönlichen Ohnmacht. Schon in der Geburtsstunde des Petrusamtes steht der erste Papst bereits zwischen Fels und Satan. Fels ist er als Schlüsselverwalter der Erlösung, Satan ist er als Mensch, der mit seiner Schwäche genau dieses Erlösungsgeschehen diskreditiert.

Diese Unterscheidung zwischen Objektivität und Subjektivität des Apostelamtes ist also gerade kein Freibrief für die Inhaber dieses Amtes, ihre Lebensführung zu einer Parallelwelt werden zu lassen. Aber es ist ein Anker, den Christus offensichtlich in Ansehung der menschlichen Makel dessen, den er zum obersten Apostel berufen hatte, in der Welt Gottes befestigt, um die Vermittlung Seines Heils und Seiner Gnade nicht von der moralischen Tauglichkeit der Vermittler abhängig zu machen. Die unnachahmliche Inszenierung der Beichte des Kardinals bei seinem gefallenen Priester bringt dies auf den Punkt: Die Pforten der Hölle – selbst wenn sie von denen geöffnet werden sollten, die eigentlich die Schlüssel zum Himmel in der Tasche haben – werden die Kirche – und das heißt Christus – nicht überwältigen. Auch wenn die Seele der Amtsträger noch so beschmutzt ist, die Gewänder, in die Christus sie durch die Weihe gehüllt hat, sind und bleiben (!) rein. Sie sollen ja gerade den Priester und Bischof als Person verschwinden lassen. "Ein Priester am Altar hat kein Antlitz, und die Arme, die den Herrn erheben, sind ohne Schmuck noch Staub. Denn wen Gott reden heißt, den heißt er schweigen, und wen sein Geist entzündet, der erlischt", lässt Gertrud von le Fort in ihren "Hymnen an die Kirche" die Seele im Dialog mit der Kirche sagen. "Deine Diener tragen Gewänder, die nicht alt werden [...] Deine Weihen sind wie große Zeichen von Feuer auf den Stirnen, niemand kann sie auslöschen. Denn das Maß deiner Treue ist nicht Menschentreue, und das Maß Deiner Jahre fasst keinen Herbst."

Eine heilige Messe, zelebriert von einem schlechten Priester, vermittelt dieselben Gnaden wie die heilige Messe des heiligen Pfarrers von Ars. Und die Absolution des persönlich schwer schuldigen Priesters ist eine Absolution selbst im höchst skandalösen Fall des moralischen Auseinanderdriftens zwischen dem faktischen Lebenswandel des Hirten und dem, was er sein und leben soll.

Diese Zusammenhänge werden in der aktuellen Aufgeregtheit um die decouvrierten Sünden von Priestern und Bischöfen gerne unterschlagen, weil sie oft geeignet erscheinen, die Diskussion noch mehr anzuheizen. Es ist eben schwer, auf die Objektivität des Amtes zu verweisen, ohne sich dem Verdacht auszuliefern, die Sünden der Amtsträger herunterzuspielen. Dennoch ist es ist notwendig, auf die Dimension der unzerstörbaren Heiligkeit der Kirche hinzuweisen, um klarzustellen, dass es inmitten des Sumpfes, in dem die Kirche gegenwärtig zu versinken droht, eine Hoffnung gibt – besonders für die vielen Treuen, die augenblicklich schier verzweifeln zwischen Enttäuschung über die Kirche und der Liebe zu Christus, von dem sie wissen, dass Er ohne Kirche nicht zu haben ist. Die Sünden der Glieder der Kirche he werden nie die ewige und heilige Kirche in die Tiefe des Todes ziehen, wie es der "Malström", der aus nordischen Sagen bekannte mythische Meeresstrudel, mit allen macht, die sich in seine Nähe wagen. Denn die Todsünde kann nur den Einzelnen in die Hölle bringen, nicht aber Christus, der in Seiner Kirche lebt.

Die Heiligkeit der Kirche liegt in dem, was der Mensch an ihr schlichtweg nicht zerstören kann. So wie es der berühmte Dialog zwischen Napoleon und dem Unterhändler Papst Pius VII., Kardinal Consalvi, in den Konkordatsverhandlungen des Jahres 1801 treffend zum Ausdruck bringt. Eines Tages verlor Napoleon die Geduld und provozierte Consalvi mit der Frage: "Ist Ihnen klar, Eminenz, dass ich Ihre Kirche jederzeit zerstören kann?" Die Antwort des Kardinals ist später als das "Consalvi-Paradoxon" in die Kirchengeschichte eingegangen: "Ist Ihnen klar, Majestät, dass nicht einmal wir Priester das in achtzehn Jahrhunderten fertiggebracht haben?"

Auf den Punkt gebracht, beschreibt dieser Dialog nichts anderes als den Glauben an die Unüberwindlichkeit Gottes, die sich in der Unzerstörbarkeit Seiner Heilswege niederschlägt. Der Glaube an eine "heilige Kirche" ist unbestritten auch der Glaube an die Kirche der Sünder, in der Gott wirkt. Wobei mit Recht die Frage gestellt wird, weshalb sich viele in der Kirche hinreißen lassen, derart durch ihren persönlichen Lebenswandel das zu verraten, was ihnen unverdient anvertraut wurde. Die Antwort liegt sicher nicht zuletzt in der allgemeinen Resistenz gegen die Wahrheit und in einer geistigen und kulturellen Verwirrung im Umgang mit dem Heiligen. Die grandiose Begriffsverwirrung in der Theologie der letzten Jahrzehnte, der Verrat am Bekenntnis zu Jesus, dem Christus, und an der Verbindlichkeit Seiner Weisungen, die Relativierung der Gültigkeit einer ungeschichtlichen und deswegen unwandelbaren Wahrheit, die Loslösung von der darin liegenden nichtautonomen Moral und nicht zuletzt die Auflösung und soziologisierende Profanierung der tradierten liturgischen Form, die der lebendigen Wahrheit kultische und damit prägende Gegenwart verlieh, mit anderen Worten die Schmähung des Heiligen im Denken, Handeln und Beten ist der tiefste Grund, weshalb das verborgene Teuflische, das gegenwärtig an den Tag kommt, so mächtig werden konnte. Wo Gottes Wahrheit nicht mehr heilig ist und als solche geglaubt wird, ist das Unheilige im Handeln kein Tabu mehr. Allein larmoyante Bußbekundungen werden nichts nutzen, um wieder eine "heilige Kirche" zu sein und zwar eine objektive und eine subjektive. So wie es die ersten Christen waren. Stark und im Widerstand gegen den Verfall des damals ebenso hedonistischen Zeitalters. Im Widerstand! Und nicht in der Integration der "Lebenswirklichkeit" der dekadenten römischen Gesellschaft in das eigene Glaubensbekenntnis! Man ging stattdessen in das Martyrium für die Wahrheit und Heiligkeit des ganz Anderen.

Womöglich werden auch heute allein die Märtyrer dies beweisen können: Dass es eine Kirche gibt, deren Heiligkeit die Sünden ihrer Glieder nicht vernichten können. Der abgründige Malström der Todsünde zieht mit Sicherheit viele in die Tiefe der Hölle, sobald sie sich zu weit über die Reling des Schiffes der Kirche lehnen. Das Boot selbst aber wird nicht kentern. Weil Christus in ihm ist. Auch wenn Er zu schlafen scheint.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Vatican-Magazins.

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