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Kardinal Kurt Koch zum Fest St. Michael und dem Ernstfall des Glaubens

Kardinal Kurt Koch
Kardinal Kurt Koch bei der Tagung der Ratzinger-Schülerkreise am 28. September 2019
Der Erzengel Michael mit dem "Wahren Bild" Gottes im Schweißtuch Christi, russisch, 16. Jahrhundert.

CNA Deutsch dokumentiert die Predigt von Kardinal Koch heute, am 29. September 2019, dem Fest des heiligen Erzengels Michael, in der Kirche der schmerzhaften Gottesmutter im Campo Santo Teutonico neben dem Petersdom in Rom zum Abschluss der Tagung des Ratzinger-Schülerkreises exklusiv und mit freundlicher Genehmigung.

"In der neutestamentlichen Lesung schreibt der heilige Paulus an seinen treuen Mitarbeiter Timotheus, der ihn auf verschiedenen Missionsreisen begleitet hat, in dem Paulus gleichsam sein "alter ego" gesehen hat und der gemäss der Mitteilung des Eusebius in seiner "Kirchengeschichte" der erste Bischof von Ephesus gewesen ist. Im Brief des Paulus finden sich deshalb viele klare Aussagen über die Ausübung des Amtes in der Kirche. Sie lassen sich lesen wie eine verdichtende Zusammenfassung des Symposiums, das von den beiden Schülerkreisen von Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. organisiert worden ist und gestern unter dem Titel "Aktuelle Herausforderungen des kirchlichen Weiheamtes" stattgefunden hat. Der erste Brief des Paulus an Timotheus ist dabei so reich an Perspektiven über Leben und Sendung des Amtes in der Kirche, dass ich nur wenige Aspekte herausgreifen kann.

Amt um Gottes willen

Die erste und wichtigste Perspektive ist bereits im Namen enthalten. Timotheus ist ein griechischer Name und bedeutet "Der Gott ehrt". Paulus spricht seinen Mitarbeiter deshalb an erster Stelle als "Mann Gottes" an. Damit ist die elementarste Sendung des Weiheamtes in der Kirche angezeigt: Es steht im Dienst Gottes und hat ihn zu verkünden und den Menschen nahe zu bringen, damit Gott die Ehre gegeben wird, zunächst im Gottesdienst und dann im alltäglichen Leben, gleichsam in der Liturgie nach der Liturgie. Der Amtsträger wird deshalb mit Recht als "Theologe" bezeichnet. Wenn er diese Ehrenbezeichnung beim Wort nimmt, dann ist der Theologe ein Mensch, dessen einziges Thema, das ihn wirklich interessieren muss, die Wirklichkeit Gottes ist, und der dann freilich im Erkennen dieses einen Themas Gottes berufen ist, alle Wirklichkeit mitzuerkennen, und zwar in ihrer Bezogenheit auf Gott, also "sub specie aeternitatis Dei". Der Theologe ist berufen, die Welt von Gott her zu sehen, Gott zu den Menschen zu tragen und die Menschen in eine persönliche Gottesbeziehung hinein zu führen.

Darin besteht die besondere Aktualität des kirchlichen Weiheamtes in der heutigen Zeit, die sich nicht durch eine intensive Gottsuche auszeichnet, die vielmehr an jenem Phänomen leidet, das Papst Benedikt XVI. als "Schwerhörigkeit Gott gegenüber" diagnostiziert und das darin besteht, dass wir Menschen heute so viele verschiedene Frequenzen in den Ohren haben oder gar die Ohren zugemacht haben, dass wir die leise Stimme Gottes kaum mehr hören können. In dieser Zeit besteht die besondere Aufgabe des Amtes in der Kirche darin, den Menschen zu helfen, in ihrem Leben Gott wieder zu entdecken, und zwar nicht irgendeinen Gott, sondern den Gott, der uns sein persönliches Gesicht in seinem eigenen Sohn, in Jesus von Nazareth, gezeigt hat. In der heutigen Zeit ist das Amt in besonderer Weise berufen, die elementarste Lektion des christlichen Glaubens neu zu lehren: das Leben in der Gegenwart Gottes; alles andere folgt daraus. In einer sehr schönen Weise hat der Kirchenvater Irenäus betont, das christliche Leben bestehe im Kern darin, sich an Gott zu gewöhnen, genauso wie sich Gott in seiner Menschwerdung an uns Menschen gewöhnt hat.

Der Zentralität Gottes im Leben der Kirche kann der Amtsträger aber nur dienen, wenn er selbst mit Gott lebt. Darauf machen uns die Erzengel aufmerksam, deren wir im liturgischen Jahr in dieser Zeit gedenken. Denn ihre Namen enden mit dem Wort "El", was Gott bedeutet: Micha-El heisst "Wer ist wie Gott"; Gabri-El heisst "Meine Kraft ist Gott", und Rafa-El bedeutet "Gott heilt". Wie Gott in die Namen und damit in das Wesen der Erzengel eingeschrieben ist und wie ihr Wesen im Stehen vor Gott und im Dasein für Gott besteht, so ist auch der Amtsträger nur dann ein "Mann Gottes", wenn in seinem Tun, vor allem in seinem sakramentalen Handeln Gott selbst eingeschrieben ist.

Die Amtsträger sind deshalb berufen, wie Engel zu leben. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass sie aufhören würden, Menschen und damit Sünder zu sein; wir Amtsträger selbst wissen es gewiss besser. Damit ist vielmehr gemeint, dass das Wesentliche der Engel darin besteht, dass sie Anbetende sind und als solche vor Gott stehen. In die Weise der Engel treten die Priester vor allem ein, wenn sie die Heilige Eucharistie als den höchsten Anbetungsakt der Kirche feiern und mit den Worten des eucharistischen Hochgebetes danken, "dass du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen".

Verkündigung und Feier des ewigen Lebens

Von daher zeigt sich im Brief des heiligen Paulus an Timotheus eine zweite Perspektive für das Weiheamt in der Kirche von selbst: "Ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen worden bist." Denn wer Gott sagt, sagt auch Ewigkeit und ewiges Leben. Beides gehört unlösbar zusammen, wie Jesus in seinem Abschiedsgebet im Johannesevangelium sagt: "Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen, und Jesus Christus, den du gesandt hast" (Joh 17, 3). In der Einstellung zur Glaubenswirklichkeit des ewigen Lebens geht es um das ureigene Lebensprogramm von uns Christen. Dass es sich dabei um das Zentrum des christlichen Glaubens handelt, wird dann verständlich, wenn wir die einzig mögliche Alternative bedenken, die ich bewusst zugespitzt formuliere: Wenn es keine Aussicht auf ein ewiges Leben gibt, dann bleibt nur die Möglichkeit, sich mit der Endlichkeit der Welt tapfer oder resigniert abzufinden oder sich als Dauernörgler am "real existierenden Leben" zu gebärden.

Bei der Aussicht auf das ewige Leben bei Gott handelt es sich um den entscheidenden Ernstfall des christlichen Glaubens. Dies führt uns Jesus mit seinem unmissverständlich klaren Gleichnis vom reichen Prasser und vom armen Lazarus im heutigen Evangelium vor Augen. Jesus stellt sich dabei kompromisslos auf die Seite des Armen, was man bereits daran ablesen kann, dass nur er einen Namen hat. Während der Prasser anonym bleibt, wird der Arme mit seinem Namen bezeichnet, und zwar mit einem sehr schönen: Lazarus ist eine Abkürzung für Eleasar, was bedeutet: "Gott hilft ihm." Mit diesem Namen ist die verheissungsvolle Botschaft verbunden, dass Gott denjenigen nicht vergisst, der von den Menschen vergessen wird, und dass derjenige, der in den Augen der Menschen nichts wert ist, in den Augen Gottes äusserst wertvoll ist. Dass die irdische Ungerechtigkeit von der jenseitigen Gerechtigkeit ins Lot gebracht wird, zeigt sich freilich nur im lichtvollen Ausblick auf das ewige Leben.

Erst im Jenseits, in dem jene Wahrheit offenbar wird, die bereits im Diesseits Bestand hat, sieht dies selbst der reiche Prasser ein, wenn er Vater Abraham bittet, er solle Lazarus zu seinen Brüdern senden, um sie zu warnen. Doch die Antwort von Vater Abraham ist eindeutig: "Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht." Wenn sie dem Wort Gottes in der Heiligen Schrift nicht glauben, werden sie auch einem, der vom Jenseits kommen wird, nicht glauben.

Diese Antwort ist sehr hart, und es scheint keinen Ausweg mehr zu geben – es sei denn, wir lesen das Gleichnis mit den Augen Jesu selbst. Wenn wir hinter der Gestalt des Lazarus, "dessen Leib voller Geschwüre" ist und der bedeckt von Wunden vor der Tür des reichen Prassers liegt, Jesus, der "voll Blut und Wunden" am Kreuz hängt und dem Spott der Menschen preisgegeben ist, erkennen, dann dürfen wir mit Papst Benedikt XVI. in Jesus den wirklichen Lazarus sehen, der auferstanden ist; und wir dürfen wahrnehmen, dass Er Derjenige ist, der nun doch gekommen ist, um uns zu sagen, wie es um das ewige Leben steht: "Er, der Gekreuzigte und Auferstandene, ist der wahre Lazarus: Ihm, diesem grossen Gotteszeichen, zu glauben und zu folgen, lädt das Gleichnis uns ein, das mehr ist als ein Gleichnis. Es spricht von Wirklichkeit, von der entscheidenden Wirklichkeit der Geschichte überhaupt."

Wenn wir dies wirklich glauben, versteht es sich von selbst, dass das Weiheamt in der Kirche keine wichtigere Aufgabe hat als diese: Den Menschen die Augen für das ewige Leben zu öffnen. Der Priester steht im Dienst des ewigen Lebens, wenn er es in die Mitte seiner Verkündigung stellt, und zwar in der Überzeugung: Wer über das Leben nach dem Tod des Menschen nichts zu sagen hat, hat überhaupt nichts Relevantes zu sagen. Der Priester ist vor allem berufen, die Gegenwart des ewigen Lebens schon jetzt zu feiern, und zwar in der Liturgie der Sakramente: Bereits in der Taufe wird das Tor zum ewigen Leben geöffnet, indem der Christ die entscheidende Wende in seinem Leben nicht erst in seinem Tod, sondern in seiner Taufe, der zweiten Geburt zum ewigen Leben wahrnimmt. Damit der Christ auf diesem Weg bleibt, auch wenn er von diesem Weg immer wieder abkommt, bietet ihm die Kirche das Sakrament der Beichte an. Wenn der Mensch sich auf den letzten Weg vom irdischen ins jenseitige Leben begibt, begleitet ihn die Kirche mit dem Sakrament der Krankensalbung. Vollends in der Feier der Eucharistie beten wir, dass "uns das ewige Leben zuteil wird", und feiern wir bereits das ewige Leben mitten in der Zeit und wird uns die kostbare Medizin der Unsterblichkeit, das "pharmakon athanasias" geschenkt. Dass auch der Liebesdienst der Diakonie an den armen und bedürftigen Menschen eine Vorerfahrung des ewigen Lebens sein will, ruft uns das heutige Evangelium in Erinnerung.

Treuhänder eines Anderen sein

Das kirchliche Weiheamt steht ganz im Dienst der Verkündigung der Gegenwart Gottes und seines ewigen Lebens. Dies soll der Amtsträger mit seinem Leben und Wirken bezeugen, wie Paulus an Timotheus schreibt, dass er für das ewige Leben "vor vielen Zeugen das gute Bekenntnis abgelegt hat". Mit dem Wort "Bekenntnis" wird zum Ausdruck gebracht, dass der Priester nicht aus sich selbst redet und nicht aus seinem Eigenen heraus handeln kann, sondern im Dienst eines Anderen steht. Anders kann es sich gar nicht verhalten, wie vor allem bei der Feier der Sakramente sichtbar wird. Die schönen und tiefen Worte "Ich taufe Dich", "Ich spreche Dich los von Deinen Sünden", "Dies ist mein Leib" kann der Priester unmöglich in seinem eigenen Namen sprechen; er würde sich masslos übernehmen und damit als lächerliche Figur dastehen. So reden kann der Priester vielmehr nur, wenn er von Christus berufen ist, solche Worte in seinem Namen auszusprechen und mit dem "Ich" Christi zu sprechen und "in persona Christi" zu handeln, wie es die kirchliche Tradition ausgedrückt hat.

Damit ist eine dritte Perspektive für das kirchliche Amt angesprochen, die Papst Benedikt XVI. in der Homilie in seiner eigenen Bischofsweihe mit eindringlichen Worten über die Sendung des Bischofs zum Ausdruck gebracht hat und die uns als Zusammenfassung dienen kann: "Der Bischof handelt nicht im eigenen Namen, sondern er ist Treuhänder eines anderen, Jesu Christi und seiner Kirche. Er ist nicht ein Manager, ein Chef von eigenen Gnaden, sondern der Beauftragte des anderen, für den er einsteht. Er kann daher auch nicht beliebig seine Meinungen wechseln und einmal für dies, einmal für jenes eintreten, je nachdem, wie es günstig erscheint. Er ist nicht da, seine Privatideen auszubreiten, sondern er ist ein Gesandter, der eine Botschaft zu überbringen hat, die grösser ist als er."

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Was Joseph Ratzinger vom Bischof gesagt hat, dass er nicht für sich steht, sondern für Den einsteht, den er repräsentiert und in dessen Namen er spricht und handelt, gilt für jeden Amtsträger. Sei er Priester, Bischof oder Papst – er ist eben nicht "Chef", sondern er ist und bleibt immer "Vikar", Stellvertreter Christi: nur Vikar, aber wirklich Vikar Christi. Die hohe Würde, in den Sakramenten mit dem Ich Christi sprechen zu dürfen, muss deshalb mit der Demut, Vikar Christi zu sein, zusammengehen. Nur in dieser Grundhaltung kann sich der Priester als Vikar Christus zur Verfügung stellen, um den unsichtbar gegenwärtigen und an seiner Gemeinde handelnden Herrn den Sinnen der Gläubigen zu erschliessen. Nur wenn er seine eigene Person zurücknimmt, um für Christus durchsichtig zu werden, dient er der "Erscheinung des Herrn" im Leben der Kirche und nicht der "Epiphanie" des eigenen Ich.

Dazu ermahnt Paulus seinen Mitarbeiter Timotheus damals und gewiss auch die Amtsträger heute: "Erfülle deinen Auftrag rein und ohne Tadel, bis zum Erscheinen Jesu Christi, unseres Herrn, das zur vorherbestimmten Zeit herbeiführen wird der selige und einzige Herrscher…. Ihm gebührt Ehre und ewige Macht. Amen"

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[1]  Homilie in der Eucharistiefeier mit den beiden Schülerkreisen von Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. in der Kirche des Pontificio Collegio Teutonico in Rom  am 29. September 2019.

[2]  Benedikt XVI., Predigt auf dem Freigelände der Neuen Messe in München-Riem am 10. September 2006.

[3]  J. Ratzinger – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung (Freiburg i. Br. 2007) 258.

[4]  J. Ratzinger, Der Bischof ist ein Christus-Träger. Predigt bei der Bischofsweihe im Münchener Liebfrauendom am 23. Juli 1977, in: K. Wagner und A. H. Ruf (Hrsg.), Kardinal Ratzinger. Der Erzbischof von München und Freising in Wort und Bild (München 1977) 36-40, zit. 37.

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