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Die Renaissance der Hauskirchen

Professor Dr. Stefan Heid ist Kirchenhistoriker. Der Priester der Erzdiözese Köln ist unter anderem Direktor des Römischen Institutes der Görres-Gesellschaft.
In der Zeit des "isolamento forzato", der zwangsweisen Einsperrung zuhause, werden auch viele pastorale Überlegungen an gestellt, wie das Kirchesein aufrecht erhalten werden kann. Da reichen die Vorschläge vom häuslichen Bibellesen bis zum Bastelkurs. Aber auch die "Hauskirchen" werden wiederentdeckt. Hier müsste m.E. ein neues Nachdenken einsetzen, um nicht Rezepte vorzuschlagen, die so kein wirkliches biblisches Fundament haben. Sicher, der Franziskanerpater und Exegeseprofessor Hans-Josef Klauck hat in München stark das Konzept der Hauskirchen vertreten und großen Anklang gefunden.  

Es war der faszinierende Gedanke, dass sich Kirche aus Hauskirchen aufbaut. Und es muss wie ein Gottesfrevel wirken, wenn man dieses Bild in Frage stellt. Noch kühner muss die Behauptung wirken, dass sich Hauskirchen im Neuen Testament gar nicht nachweisen lassen. Natürlich haben sich auch im 1./2. Jahrhundert Christen in Häusern versammelt und nicht unter der Brücke gewohnt. Natürlich haben sie auch in Häusern gebetet und zusammen die Hl. Schrift gelesen, jedenfalls muss man das annehmen. Aber die Vorstellung von regelrechten häuslichen "Gemeinden" mit Eucharistiefeiern im privaten Familienkreis, also die Vorstellung von "Kirche" im Kleinen, ist so weder in der Apostelgeschichte noch bei Paulus zu finden.

Nicht einmal das Wort "Hauskirche" gibt es dort. Diese Wortprägung ist eine heutige Erfindung, die sich im griechischen Text des Neuen Testaments nicht nachweisen lässt. Die Einheitsübersetzung übersetzt Apg 2,46 so: "(Die Christen in Jerusalem) verharrten einmütig im Tempel und brachen in ihren Häusern das Brot". Der griechische Text sagt aber nur: "sie ... brachen im Haus (kat'oikon) Brot". Da ist nur von Brotverteilung und gemeinsamem Mahl in einem Haus die Rede, das der Versammlung im Tempel gegenübergestellt wird. Alles andere ist Interpretation. Niemand weiß, was mit dem "Brechen des Brotes" wirklich gemeint ist. Es kann damit einfach das gemeinsame Mahl gemeint sein; von Eucharistie steht da jedenfalls nichts.

Im Übrigen setzen die Apostelgeschichte und Paulus immer eine einzige, alle Christen einer Stadt umfassende Gottesdienstgemeinde voraus, also das, was man heute als die "Ortskirche" bezeichnen würde. Das ist die "Kirche Gottes" (1 Kor 11,22), von der Paulus, die Apostelgeschichte und etwa die Johannesoffenbarung sprechen. Diese "Kirche" trifft sich ausdrücklich nicht in einem Privathaus oder gar in mehreren Privathäusern. Denn Paulus kennt z.B. in Korinth nur einen einzigen Gottesdienst und fordert die, die sich dort nicht richtig benehmen können, auf: "Wer Hunger hat, soll zu Hause essen" (1 Kor 11,34). Beim Gottesdienst ist man also gerade nicht "zuhause".

Nirgends in der Apostelgeschichte lässt sich ein in verschiedene Hausgemeinden zerfallendes Christentum nachweisen. Im Gegenteil: Die Einheit des Gottesdienstes aller Christen eines Stadtgebiets wird stets betont (Apg 2,44). Warum ist das relevant? Weil Hauskirchenphantasien bei aller guten, frommen Absicht doch klar vom biblischen Text wegführen. Es gab nie Privatliturgie, sondern immer nur die apostolische Gemeinschaftsliturgie. Es mag sehr plausibel klingen, dass das Christentum klein, im familiären Kreis angefangen habe. Aber das ist letztlich moderne Vorstellung.

Aus der ganzen Missionsarbeit des Paulus wissen wir, dass zwar die Missionare in Privathäusern reicher Leute logiert haben, aber die Eucharistie war nicht der Privatbesitz reicher Leute, die sich "Hauskirchen" leisten konnten. Das früheste Christentum war nicht in der Hand der Reichen. Natürlich mochte jemand einen großen Saal zur Verfügung stellen, diesen aber für alle, nicht nur wenige Auserwählte! Gottesdienst war inklusiv-städtisch, nicht exklusiv-privat. Die Eucharistie wurde in jedem Fall von "der ganzen Kirche an demselben Ort" (1 Kor 14,23), d.h. von allen Christen der Stadt, gemeinsam gefeiert, offenbar in einem großen Saal, jedenfalls gerade nicht in den privaten "Wohnungen", die "zum Essen und Trinken" dienen (1 Kor 11,22).

Der von Paulus bei dieser Gelegenheit beschriebene Gottesdienst von Korinth ist eminent öffentlich. Zahlreiche Personen nehmen daran teil, die zusammen viele Geistesgaben, Charismen, mitbringen, so viele, dass sich die Teilnehmer sogar regelrecht "auf den Geist" gehen. Paulus sagt aber nicht: Wer hier nicht zufrieden ist, wer hier stört, der kann sich bitte eine andere Hauskirche aussuchen, die liberaler oder konservativer ist, und dort weitermachen. Nein, denn es gibt keine Hauskirchen, sondern nur die eine Kirche Gottes vor Ort, und die muss sich zusammenraufen. Paulus sagt auch nicht: Wir sind jetzt zuviele hier, das geht nicht mehr gut mit so vielen Leuten, auf, gründen wir einen neue Hauskirche mit einem zweiten und dritten "Tisch des Herrn"! Nichts dergleichen, denn es darf nur den einen "Tisch des Herren" und "Kelch des Herrn" geben! Die Ortsgemeinde muss zusammenbleiben. Deshalb blieben die Misstände im Gottesdienst von Korinth nicht in einem privaten Zirkel verborgen, sondern werden von Paulus in einem öffentlichen, von vornherein zur Veröffentlichung bzw. zum öffentlichen Vortrag bestimmten Brief (dem 1. Korintherbrief) schonungslos allen mitgeteilt.

Eucharistie war eben immer öffentlich, nie eine Privatangelegenheit. Eucharistie war immer inklusiv, nicht exklusiv, nämlich für alle Christen einer Stadt bestimmt. Sie wurde immer an einem einzigen Altar gefeiert; niemand durfte einen anderen Altar aufstellen, egal wie viele Christen es in einer Stadt gab (damit kam man allerdings spätestens im 4. Jahrhundert an eine Grenze).

Gerade für die neutestamentliche Zeit wird überdeutlich, dass die gemeinsame Eucharistie apostolisch autorisiert sein musste. Paulus beginnt seine strengen Mahnungen zur rechten Gottesdienstordnung (1 Kor 9-11) ausgerechnet mit den Worten: "Bin ich nicht ein Apostel? ... Wenn ich für andere kein Apostel bin, bin ich es doch für euch. Ihr seid ja im Herrn das Siegel meines Apostelamtes". Da ließ Paulus nicht mit sich spaßen. Eucharistie war schon gar nicht in das eigenmächtige Belieben von Familienvätern und -müttern, Hausherren und -damen gelegt. Wer die Paulusbriefe sorgfältig liest, besonders den 1. Korintherbrief und den fundamentalen Römerbrief, der merkt sehr schnell, dass einfach alles auf die apostolische Autorität ankam, die ein zentral-hierarchisches Konzept vorgab.

Und was ist mit der berühmten "Hauskirchenformel" bei Paulus? Schall und Rauch! Eine solche Hauskirchenformel ist eine Erfindung der Exegese. Sicher, Paulus grüßt oder lässt Grüße ausrichten an und von einer "ekklesia kat'oikon". Ohne hier in nähere Ausführungen eintreten zu können, so kann man aber doch sagen, dass dieser Ausdruck nichts anderes meint als die "Versammlung im Haus" (nicht "Hauskirche"), und zwar ohne jeden Zusammenhang zu Gottesdiensten oder religiösen Veranstaltungen. Es handelt sich auch nicht um eine stabile, sesshafte Institution, sondern um eine zeitweise Versammlung. Paulus benutzt hier das Wort "ekklesia" im ganz gewöhnlichen griechischen Sprachgebrauch für "Versammlung". Das hat nichts mit der "Kirche Gottes" zu tun, von der er sonst spricht. 

Eine "Versammlung im Haus" erwähnt Paulus immer nur bei seinen Grüßen am Ende seiner Briefe (Röm 16,5; 1 Kor 16,19; Kol 4,15; Phlm 1f). Er hat damit immer etwas ganz Bestimmtes im Auge, nämlich sein Missionsteam. Paulus war kein armer Mann, auch kein Einzelkämpfer. Sondern er war als Missionar von Stadt zu Stadt mit einem großen Team an Missionaren und Missionarinnen unterwegs. Wenn er etwa seinen dicken Römerbrief schrieb, brauchte er dazu ein ganzes Logistikunternehmen und sehr viel Geld: für Stenographen, Reinschreiben, Organisatoren von Papyrus oder Pergament, Boten, usw. Zu seinen Teams gehörten daher auch die superreichen Aquila und Priscilla.

Nicht alle, aber viele Mitglieder seiner Teams nennt er in seinen Briefen namentlich. Diese Mitarbeiter, die äußerst flexibel waren und viel reisen mussten, waren entweder bei ihm (Röm 16,23: "Es grüßt euch Gaius, der mich und die ganze Ekklesia [in Korinth] gastlich aufgenommen hat") oder gingen seinen Reisen voran. So reisten Aquila und Priscilla, die sowohl in Rom als auch in Ephesus ein Haus besaßen, ihm mit einem ganzen Team nach Rom voraus (sie werden alle in Röm 16,1ff genannt), um seine dortige Missionsreise vorzubereiten (Röm 16,5). Typisch ist nun, dass sich die Teams aus praktischen Gründen in einer Stadt nicht auf mehrere Hotels verteilten, sondern möglichst zusammenblieben. Deswegen wohnten sie für die Zeit ihrer Mission in der Stadtresidenz - dem "Haus" - eines reichen Gönners. In Ephesus und Rom war es das "Haus" des Aquila und der Priscilla, in Korinth war es das "Haus" des Gaius. 

Alle Grüße, die Paulus in seinen Briefen ausrichtet oder ausrichten lässt, beziehen sich auf genau diese Teams, die er als "Versammlung im Haus" bezeichnet. Das ist also eine ganz pragmatische Sache, die sich aus der Missionsorganisation des Paulus ergibt und die mit "Hauskirchen" gar nichts zu tun hat. Mit dem Martyrertod des Paulus in Rom hört diese Missionsmethode auf. Das erklärt auch, weshalb in der gesamten frühchristlichen Literatur ausschließlich Paulus viermal von der "Versammlung im Haus" spricht. Niemand sonst tut das und niemand sonst in der ganzen frühen Kirche ist je darauf gekommen, aus den Grüßen des Paulus in seinen Briefen "Hauskirchen" herauszulesen.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Vatican Magazin.

Von Prof. Dr. Stefan Heid ist 2019 das bahnbrechende Buch "Altar und Kirche. Prinzipien christlicher Liturgie" erschienen.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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