Paris, 03 Juli, 2023 / 7:00 AM
Die Johannesgemeinschaft — französisch Communauté Saint Jean, abgekürzt CSJ — hat am 26. Juni die Ergebnisse einer internen Untersuchung systematischen sexuellen und geistlichen Missbrauchs an zahlreiche Menschen vorgestellt.
Der Missbrauch wurde systematisch vom charismatischen Gründer eingeführt, dem 2006 verstorbenen Pater Marie-Dominique Philippe. Doch sexuelle Gewalt verübten dutzende weitere Täter.
Der 800 Seiten umfassende Bericht — hier der volle Wortlaut —trägt den Titel "Verstehen und Heilen: Ursprünge und Analyse des Missbrauchs in der Johannesgemeinschaft".
Dem Report zufolge sind seit Gründung der Gemeinschaft vom heiligen Johannes im Jahr 1975 mindestens 167 Menschen missbraucht worden.
Die Täter waren 72 Brüder der Gemeinschaft. Das sind etwa 8 Prozent aller Brüder, die der Gemeinschaft seit ihrer Gründung angehörten.
In einer Pressemitteilung erklärte die Gemeinschaft, dass die meisten Vorfälle gegen erwachsene Frauen verübt wurden, im Rahmen der geistlichen "Begleitung" der Opfer.
Der Missbrauch reichte von "unangemessener" Ansprache bis hin zur körperlichen Vergewaltigung.
Der Bericht ist das Ergebnis einer dreijährigen Untersuchung, die in Auftrag gegeben wurde, nachdem beim Generalkapitel 2019 der Bericht einer ersten Kommission veröffentlicht worden war, die den strukturellen Aspekt des Missbrauchs in ihrem Institut in Verbindung mit ihrem Gründer aufgezeigt hatte.
Die Gemeinschaft der Brüder vom Heiligen Johannes wurde 1975 im schweizerischen Freiburg gegründet.
Die Ordensgemeinschaft ist ein Zweig der Familie des Heiligen Johannes, zu der zwei weitere kontemplative Zweige für Frauen sowie Laienmitglieder, die so genannten Oblaten, gehören.
Der Orden zählt heute etwa 422 Brüder und etwa 100 Priester in Ausbildung, die auf etwa 50 Priorate in der ganzen Welt verteilt sind.
Die einzige Niederlassung im deutschsprachigen Raum befindet sich in Marchegg, Niederösterreich.
Es ist das dritte Mal in diesem Jahr, dass der Name Marie-Dominique Philipps in Berichten auftaucht, in denen es um Missbrauch von Macht und geistlicher Autorität befassen, der in einst jungen, dynamischen katholischen Gemeinschaften zu Tage getreten ist.
Brüder und Dominikaner
Der erste in dieser Reihe war der im Januar veröffentlichte Bericht über die Organisation L'Arche. Darin wird das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs beleuchtet, den ihr Gründer, Jean Vanier, unter dem Einfluss seines Mentors, Pater Thomas Philippe, verübt hat.
Pater Thomas war Bruder von Marie-Dominique Philippe.
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Die beiden Brüder, beide Dominikaner, standen damals im Mittelpunkt einer umfassenden Studie, die der Predigerorden in Frankreich in Auftrag gegeben hatte, um die institutionellen Mechanismen zu verstehen, die jahrelang ein System des Missbrauchs ermöglichten, obwohl der Vatikan bereits in den 1950er Jahren Sanktionen gegen sie verhängt hatte.
Bereits damals hatten die beiden Männer Fälle von sexuellem Missbrauch im Rahmen der geistlichen Begleitung legitimiert.
Die Sanktionen der damaligen kirchlichen Autoritäten, die eine abweichende Theologie als Grundlage für die Rechtfertigung des Missbrauchs ausgemacht hatten, wurden schnell unter den Teppich gekehrt, so dass sie den meisten Mitgliedern der Johannes-Gemeinschaften und auch Papst Johannes Paul II. unbekannt blieben, dessen freundschaftliche Beziehung zu Marie-Dominique Philippe die Legitimität und den Nimbus angeblicher Heiligkeit des Täters noch verstärkt hatte.
Entstehung einer "kleinen Sekte"
Der neue Bericht, der zehn Jahre nach den ersten Enthüllungen über Philippe veröffentlicht wurde, ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen den Brüdern vom Hl. Johannes und verschiedenen externen Experten, die eine theologische, historische und psychologische Herangehensweise an das Thema gewählt haben.
Der Bericht analysiert insbesondere die Art und Weise, wie Begriffe wie "Freundschaft", "Barmherzigkeit" und "Vereinigung mit Gott" in privaten Kontexten verwendet wurden, um missbräuchliches Verhalten zu rechtfertigen.
Aufgedeckt wird auch das Ausmaß des Einflusses der Familie Philippe: Die Schwester der Brüder, Cécile Philippe, und ihr Onkel Thomas Dehau, beide ebenfalls Dominikaner, sind ebenfalls in der Untersuchung involviert.
"Was hier sehr wichtig ist, ist die Tatsache, dass es sich nicht um isolierte Individuen handelt, sondern um eine ganze Familie, die als 'gute Katholiken' galten, die eine zutiefst dysfunktionale Erziehung in einem geschlossenen Umfeld erhielten und die sich Anhänger gesucht haben, an die sie ihre Perversionen weitergegeben haben", sagte Pater Elias Leyds, seit 1987 Mitglied der Gemeinschaft St. John und Gründer von EWTN in den Niederlanden.
Pater Elias Leyds fügte hinzu, dass diese Mechanismen durch die gemeinschaftliche Dimension verstärkt wurden, die das Entstehen einer "kleinen Sekte" begünstigte.
"Viele Menschen in diesem Umfeld konnten sich nicht vorstellen, was da vor sich ging, auch ich nicht, obwohl ich lange als Gefängnisseelsorger gearbeitet hatte und dachte, ich hätte alles gesehen und gehört", sagte er.
Für Leyds ist das Neue an diesem Bericht das Phänomen der psychologischen Kontrolle, die durch das Eindringen in das spirituelle und kontemplative Leben eines Menschen möglich wird.
"Die Missbrauchsskandale der letzten Jahre betrafen in den meisten Fällen Geistliche, die ihre Autoritätsposition ausnutzten, um minderjährige Jungen körperlich zu missbrauchen. Jetzt wird uns bewusst, dass es auch eine Art mystischen Missbrauchs gibt, der zum körperlichen Missbrauch hinzukommt und in einer Perversion besteht, in einer Enteignung der intimen Beziehung zu Gott".
"Ein geschlossenes System"
Ein weiteres zentrales Element in der Analyse der Kommission ist der zutiefst problematische Ansatz, den Gründer Philippe und andere in der Gemeinschaft in Bezug auf die Art und Weise, wie sie Leitung und Gemeinschaftsleben lebten, verfolgten.
In einem Interview mit dem Fernsehsender KTO nach der Veröffentlichung des Berichts sprach Bruder Jean-Yves, der Kommunikationsbeauftragte der Gemeinschaft, von einem "sehr vertikalen und geschlossenen System, das das Schweigen förderte" und von einer gewissen Distanz zur institutionellen Kirche, einschließlich der örtlichen Bischöfe.
"Es war diese Selbstreferenzialität von Marie-Dominique Philippe, die ständig die Institution umging, die ein solches System entstehen ließ", sagt er und fügt hinzu, dass das kollektive Bewusstsein innerhalb der Gemeinschaft vor allem durch die Regulierung dieser institutionellen Verbindung entstanden ist.
"Je offener der Dialog und die Verbindung mit den kirchlichen Autoritäten, desto mehr werden wir uns von diesem Einfluss Philipps befreien".
"Ich bin dieser Kommission dankbar für diese Arbeit der Klärung und Objektivität, die schmerzhaft, aber notwendig ist, weil unsere Verantwortung öffentlich sein muss", sagte Leyds.
"Es ist nun an uns, den Brüdern vom Heiligen Johannes, diesen Wunden und unserer Präsenz in dieser Gemeinschaft einen Sinn zu geben und zu versuchen, Gottes Willen für uns zu verstehen."
"Wir werden weiter in die richtige Richtung gehen, solange wir im Glauben, in der Hoffnung und in der Nächstenliebe im Licht des auferstandenen Christus verankert bleiben".
Auf ihrem Generalkapitel im Jahr 2022 haben die Brüder zusammen mit den weiblichen Zweigen der Johanniterfamilie beschlossen, die von Philipp verfasste Lebensregel nicht mehr zu befolgen und eine neue Erklärung verabschiedet, die den Brüdern von nun an als Bezugspunkt für die Gestaltung ihres Ordens- und Gemeinschaftslebens dienen wird.
Übersetzt und redigiert aus dem Original der CNA Deutsch-Schwesteragentur.
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