München, 20 März, 2020 / 6:45 AM
Im November 1936 empfing Adolf Hitler den Erzbischof von München und Freising, Kardinal Michael von Faulhaber, auf seinem Berghof bei Berchtesgaden, für eine Aussprache über das angespannte Verhältnis zwischen katholischer Kirche und NS-Regime. Das Treffen der beiden Repräsentanten zweier völlig gegensätzlicher Weltanschauungen reizte schon damals die Neugierde der Öffentlichkeit. Während etwa die Londoner Times eher negative Ergebnisse vermutete, sprach der Amsterdamer Telegraaf von einer Phase der Entspannung. In einem Vortrag auf dem Obersalzberg am 12. März hat Philipp Gahn anhand der Aufzeichnungen des Kardinals die tatsächlichen Umstände und den Ablauf des Gespräches geschildert. CNA Deutsch sprach mit dem Wissenschaftler über die historische Begegnung und das Verhältnis von Kirche und Staat.
Herr Dr. Gahn, Sie haben in Berchtesgaden über ein historisches Treffen gesprochen: Der Besuch von Michael Kardinal von Faulhaber im Jahr 1936 bei Adolf Hitler auf dem Obersalzberg. Wie war das Verhältnis von Kirche und Staat denn zu diesem Zeitpunkt? Darüber wird heute immer noch viel gestritten?
In der Tat hat sich heute ein Perspektivwechsel durchgesetzt. Unmittelbar nach dem Krieg und noch lange danach war die Sichtweise eines totalen Antagonismus zwischen Kirche und NS-Regime vorherrschend. Faulhaber hat es 1945 so ausgedrückt: "Das Kreuz Christi siegte über das Sonnenzeichen", also das Hakenkreuz. Heute stehen die Überlagerungen der Interessen beider Weltanschauungen viel stärker im Blickfeld, vor allem wegen der gemeinsamen Front gegen den Marxismus, den Liberalismus und gegen den Sittenverfall – "Schmutz und Schund", wie man das damals nannte.
Man darf aber nicht aus dem Blick verlieren, wie schwer belastet das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Jahr 1936 war. Der NS-Staat unterlief oder brach ständig das 1933 geschlossene Reichskonkordat. Seit 1935 versuchte das Regime die Kirche als moralische Instanz durch Devisen- und Sittlichkeitsprozesse ins Wanken zu bringen. Diese hatten zwar zum Teil eine sachliche Grundlage, wurden aber propagandistisch aufgebläht. Ab 1936 tobte dann der "Schulkampf", in dem die Nationalsozialisten der Kirche das Recht auf die Erziehung der Kinder streitig machten. Die Bekenntnisschulen sollten abgeschafft und durch die Gemeinschaftsschule ersetzt werden. Das kostete schließlich 600 Lehrerinnen in den Ordensschulen den Arbeitsplatz, brachte die Orden in existentielle Schwierigkeiten, und stürzte die Eltern, die ja verpflichtet waren, ihre Kinder in katholische Schulen zu schicken, in Gewissensnöte.
Zum eigentlichen Treffen: Was ist da passiert, woher wissen wir eigentlich, was damals besprochen wurde?
Was zwischen Faulhaber und Hitler besprochen wurde, weiß man in der Forschung seit längerem recht gut. Faulhaber hat darüber einen "streng vertraulichen Bericht" verfasst, den er an den Papst und seine bischöflichen Mitbrüder in Deutschland schickte. Durch die Edition von Faulhabers stenografischem Konzept können wir nun allerdings viel genauer die Frage nach dem Wie, also nach dem Kontext beantworten. Inhaltlich ging es um das soeben angesprochene Thema des Schulkampfes, aber auch um die kirchlichen Vereine, die "gleichgeschaltet" werden sollten und um die Polemik der sogenannten Deutschen Glaubensbewegung, gegen die sich die Kirche wegen der Pressezensur nicht wehren durfte. Auch über die Problematik des Sterilisierungsgesetzes wurde gestritten. Hitler seinerseits brauchte innenpolitische Ruhe, um seine sehr konkreten Aggressionspläne vorantreiben zu können. Deswegen bot er der Kirche an, sie solle ein Hirtenwort gegen den Kommunismus veröffentlichen, im Gegenzug wollte er die Prozesse gegen die Ordensgeistlichen fallen lassen.
Und der Kontext?
Vergleicht man den Bericht an den Papst mit dem stenografischen Konzept, fällt auf, wie stark Faulhaber die Begegnung im Nachhinein stilisierte und sich bemühte, Hitler als Staatsmann darzustellen, mit dem man angeblich ehrlich reden konnte. Er unterschlug zum Beispiel Hitlers Aufrüstungspläne, die dieser offen ausgesprochen hatte, seine antisemitischen Ausfälle ebnete er ein, sein unsägliches Gebrüll überhöhte der Kardinal mit religiösem Pathos.
Das Verrückte daran ist, dass er das sicher nicht aus Liebedienerei tat. Es ist bekannt, dass Faulhaber, wenn es darum ging, die Rechte seiner Kirche zu verteidigen, kein Blatt vor den Mund nahm. Er meinte allerdings, er könnte seiner Kirche auf diese Weise aus der verfahrenen Situation heraushelfen und überging so das Offensichtliche.
Sie sagen, die Begegnung war "kein Erfolg". Woran lag das?
Faulhaber hatte gehofft, eine persönliche Verbindung zwischen ihm und Hitler herstellen zu können. Der damalige Nuntius Cesare Orsenigo hatte diese Idee lanciert und Faulhaber griff sie auf. Auf dieser Basis sollte dann ein "Modus vivendi" mit dem Regime erreicht werden, in dem die Kirche ihre Lehre unverkürzt hätte verkünden dürfen. Hitler aber war an nichts weniger gelegen als an einem andauernden Austausch mit der Kirche. Da hätte er sich ja konstruktiv mit einzelnen Konfliktpunkten auseinandersetzen müssen! Dementsprechend ließ er sehr geschickt alle Kritikpunkte des Kardinals ins Leere laufen, ohne dass dieser es so recht merkte.
Sie vertreten ja die These, dass Faulhaber einem Missverständnis aufsass, was seine eigene Rolle betrifft. Was meinen Sie damit?
Faulhaber ging, wie gesagt, in das Gespräch mit dem Wunsch einen dauernden Gesprächsfaden mit Hitler zu schaffen. Dafür gab er sich der Illusion hin, mit Hitler könne man ehrlich reden. Eine krasse Fehleinschätzung. Doch davon wollte er den Papst und die anderen Bischöfe in Deutschland überzeugen. Somit trat er ihnen gegenüber als eine Art Makler auf. Das konnte nicht funktionieren. Zwar ließen sich die deutschen Bischöfe dazu herbei, das versprochene Hirtenwort gegen den Kommunismus zu veröffentlichen, konnten aber nicht auf ihre Kritik an den bestehenden Missständen verzichten – was wiederum die nationalsozialistische Presse zum Anlass nahm, das Hirtenwort totzuschweigen und die antikirchliche Hetze neu anzufachen. Der Plan zu einem Modus vivendi zu kommen, scheiterte also.
Welche Rolle nahm der damalige Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der späteren Papst Pius XII. dabei ein?
Nun ja, Faulhaber und Pacelli kannten sich gut und schätzten sich sehr. Beide kamen sie 1917 nach München, wo sie bald den Sturz der Monarchie und die Anfangsjahre der Weimarer Republik erlebten. Auch in späteren Jahren blieb das Band zwischen beiden bestehen. Pacelli, der das falsche Spiel Hitlers früher durchschaute als Faulhaber, war es denn auch, der ihn aufforderte einen Entwurf zu der späteren Enzyklika "Mit brennender Sorge" zu schreiben. Das geschah, als mehrere deutsche Bischöfe im Januar 1937 in Rom zusammenkamen, um gemeinsam mit Pacelli und Pius XI. über eine neue Strategie zu beraten. So wechselte Faulhaber innerhalb kürzester Zeit von der Seite des Maklers auf die Seite des Anklägers. Dadurch stand Faulhaber in einer unerhörten Spannung. Das Tagebuch Faulhabers gibt davon Zeugnis.
Die Öffnung des Archivs von Pius XII. hat großes Aufsehen erregt. Versprechen Sie sich auch für die Faulhaberforschung etwas davon?
(Die Geschichte geht unten weiter)
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Wir sind jedenfalls sehr gespannt darauf, wie sich das enge Verhältnis zwischen Faulhaber und Pius XII. in den Akten niederschlägt! Allerdings werden wir uns vorerst gedulden müssen, da die vatikanischen Archive wegen der Corona-Krise schließen mussten. Durch unser Schwesterprojekt, die Edition der Berichte Eugenio Pacellis als Nuntius in München und Berlin, sind wir über die Neuigkeiten dort gut informiert. Durch die enge Kooperation war es auch schnell und unkompliziert möglich, die Gegenüberlieferung im Vatikan zu dem Bericht Faulhabers über das Gespräch mit Hitler zu überprüfen. So konnten wir nachweisen, dass Pius XI. der erste Empfänger des Berichtes war. Das war bisher unklar.
Welche Lektion aus Ihrer Lektüre der Tagebücher sehen Sie für unsere Zeit, in der auch das Zusammenspiel von Kirche und Staat in Deutschland von vielen kritisch wahrgenommen wird?
In dem Zeitraum, in dem die Tagebücher verfasst sind (1911-1952), wechselte insgesamt viermal die Staatsform: Von der Monarchie zur Demokratie in die Diktatur, um schließlich in der erneuerten Demokratie zu enden. Das bedeutete für die Kirche, dass sie jeweils neu ihre Grenzen definieren musste. Nicht nur das Staat-Kirche-Verhältnis war auszutarieren, sondern auch der Platz der Kirche in der Gesellschaft. So wenig die konkreten Situationen damals den heutigen ähneln, so muss sich doch die Kirche immer wieder neu Rechenschaft über ihre Rolle als gesellschaftlicher Faktor geben, sobald die Gesellschaft sich stark verändert. Dazu ist natürlich ein klares Bewusstsein über die eigene Sendung nötig.
Wird man Ihre Ergebnisse über das Gespräch zwischen Faulhaber und Hitler bald nachlesen können?
Eine kommentierte Dokumentation zu der Aussprache soll Anfang nächsten Jahres in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte erscheinen.
Philipp Gahn ist Mitarbeiter am Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster. Die Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers werden in einem interdisziplinären, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projekt unter der Leitung der Professoren Hubert Wolf (Universität Münster) und Andreas Wirsching (Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin) zusammen mit der Erzdiözese München und Freising online gestellt. Seit 2015 sind die online gestellten Tagebucheinträge kostenlos und abrufbar. Das Projekt soll 2025 abgeschlossen sein.
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