Essen - Dienstag, 14. Februar 2023, 12:45 Uhr.
Die am Dienstag veröffentlichte Missbrauchsstudie für das Bistum Essen spricht von 190 Tätern seit der Gründung der Diözese im Jahr 1958. Man gehe indes von einer „hohen Dunkelziffer von Missbrauchsfällen“ aus. Daher seien die Auswertungen „als wichtige Informationen zu verstehen, die jedoch nicht das tatsächliche Ausmaß an sexualisierter Gewalt im Bistum Essen darstellen“.
Bei der Hälfte der Missbrauchstäter handelt es sich um Diözesanpriester, bei insgesamt 19 Prozent um Ordensangehörige (auch Frauen). Zwei Prozent der Täter waren Diakone, 21 Prozent keine Kleriker oder Ordensleute, und in acht Prozent der Fälle war in den Akten von Tätern die Rede, ohne Namen zu nennen.
„Die Schweregrade der angewandten (sexualisierten) Gewalt reichen von leichten Formen, die keinen juristischen Straftatbestand darstellen bis hin zu schweren Formen mit straf- und kirchenrechtlichem Tatbestand“, so die Studie, die vom sozialwissenschaftlichen Institut für Praxisforschung und Projektberatung in München (IPP) angefertigt wurde.
Mit Blick auf die Bischöfe der Diözese Essen hält die Studie fest: „Es war nicht die Aufgabe dieser Untersuchung, den jeweiligen Funktionsträgern im Bistum Essen eine persönliche Schuld beim Umgang mit den Tätern und Beschuldigten nachzuweisen. Strukturelle Verantwortung haben die Genannten aber in jedem Fall. In einer hierarchischen Organisation wie der Katholischen Kirche liegt die Gesamtverantwortung letztlich immer bei den Führungspersonen und bündelt sich in der zentralen (Macht-) Position des Bischofs.“
Reaktion von Bischof Overbeck
Der Essener Bischof Franz-Josef Overveck fasste in einer ersten Stellungnahme zusammen: „Die abscheulichen Taten von Priestern, die wir seit der juristischen Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in den vergangenen Jahren kennen, wurden vertuscht, klein geredet oder durch Versetzungen und Lügen verheimlicht. Dadurch wurde den vielen Betroffenen großes Unrecht angetan.“
„Zudem wurde vielfach auch nicht verhindert, dass sich diese Täter weitere Opfer suchen konnten“, erklärte Overbeck. „All dies war möglich, weil – bei aller Verantwortung jedes und jeder Einzelnen – die Zusammenarbeit in unserer Bistumsverwaltung von Machtfragen, fehlenden Absprachen, mangelnder Offenheit und lange Zeit von der Vorstellung geprägt war, dass zuallererst die Kirche und ihre Priester zu schützen seien – und so das Leid der Betroffenen von sexualisierter Gewalt und das Leid ihrer Familien ignoriert wurde.“
Priesterausbildung: Bistum Essen ist „tolerant“
Die Studie äußerte sich auch zur Priesterausbildung. Es habe „in den 1960er bis 1980er Jahren“ eine umfassende „Sprachlosigkeit in Bezug auf Sexualität und sexualisierte Gewalt“ gegeben: „Das Erfordernis des Zölibats wurde theologisch gesetzt, ohne dessen psychologische und soziale Voraussetzungen zu adressieren. Zentrale Elemente des Anforderungsprofils von Priestern bestanden in einer unerschütterlichen Religiosität und in der damit verbundenen Unterordnung unter die hierarchischen Strukturen der katholischen Kirche.“
„Anekdotische Erzählungen, die sich auf Inhalte von Bischofs- und Regentenkonferenzen beziehen, legen eine Sichtweise nahe, wonach das Bistum Essen etwa ab Mitte der 1990er Jahre eine deutlich liberalere Linie in der Priesterausbildung vertrat als andere deutsche Bistümer“, heißt es in der Studie.
„Bis heute zeigt sich aber eine schwerwiegende Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf Liberalität seitens des Bistums Essen einerseits und offiziellen kirchlichen Vorschriften und Gesetzen andererseits: Die strenge Befolgung der zölibatären Lebensform (die sich dem Gesetz nach als vollständige und immerwährende Enthaltsamkeit zu manifestieren hat) wird im Bistum Essen ebenso ‚tolerant‘ ausgelegt wie das Verbot, homosexuelle Männer zu Priestern zu weihen. Ein zentraler Befund unserer Studie besteht in der deutlichen Diskrepanz zwischen den moralischen Ansprüchen der offiziellen katholischen Kirche und der Wirklichkeit „fehlbarer“ Kleriker, die im Bistum Essen geduldet werden.“
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