Rom - Samstag, 14. Oktober 2023, 5:00 Uhr.
Kardinal Gerhard Müller, der einstige Präfekt der Glaubenskongregation, hat dem Dikasterium (DDF) unter seinem Nachfolger, Kardinal Víctor Manuel Fernández, in einem ausführlichen Schreiben mangelnde theologische Qualität bescheinigt und sogar von einem „Bruch“ mit der Lehre der Vorgänger von Papst Franziskus gesprochen.
Konkret handelte es sich bei Müllers Äußerungen um einen offenen Brief an den tschechischen Kardinal Dominik Duka OP, der beim Vatikan angefragt hatte, ob zivil geschiedene und wiederverheirate Katholiken im Lichte des päpstlichen Dokuments „Amoris laetitia“ von 2016 unter bestimmten Bedingungen die Kommunion empfangen dürfen. Papst Franziskus hatte die Interpretation der Bischöfe von Buenos Aires, wonach dies tatsächlich möglich sei, als sein „authentisches Magisterium“ bekräftigt. Ende September legte der Pontifex nach, indem er eine entsprechende Antwort auf die Dukas Dubia unterzeichnete, die von Fernández formuliert und veröffentlicht worden war.
Die „Risposta“, wie Müller die Antwort auf die Dubia des tschechischen Kardinals bezeichnete, argumentiere, „dass Johannes Paul II. bereits einige dieser Geschiedenen zur Kommunion zugelassen habe und Franziskus daher nur einen Schritt in dieselbe Richtung mache. Diese Argumentation ist jedoch nicht stichhaltig. Die Kontinuität oder Diskontinuität liegt nicht in der Tatsache, dass jemand die Kommunion empfangen darf oder nicht, sondern im Kriterium der Zulassung.“
„In der Tat erlauben Johannes Paul II. und Benedikt XVI. den Kommunionempfang von Personen, die aus schwerwiegenden Gründen in einer zweiten Ehe ohne sexuelle Beziehungen zusammenleben“, betonte Müller, um dann zu kontrastieren: „Aber sie erlauben die Kommunion nicht, wenn diese Personen gewohnheitsmäßig sexuelle Beziehungen haben, weil in diesem Fall eine objektiv schwere Sünde vorliegt, in der diese Personen verharren wollen und die, weil sie das Ehesakrament betrifft, einen öffentlichen Charakter annimmt. Der Bruch zwischen der Lehre des Dokuments von Buenos Aires und dem Lehramt von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. wird deutlich, wenn man den wesentlichen Punkt betrachtet, der, wie gesagt, das Kriterium für die Zulassung zu den Sakramenten ist.“
Müller illustrierte die mangelnde Qualität der theologischen Argumentation von Fernández in der von Franziskus unterzeichneten „Risposta“ mit einem Beispiel: „Um es deutlicher zu sehen, stellen wir uns vor, dass ein zukünftiges DDF-Dokument ein ähnliches Argument im Fall der Abtreibung vorbringen würde, indem es sagt: ‚Papst Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus haben die Abtreibung in einigen Fällen erlaubt, z. B. wenn die Mutter Gebärmutterkrebs hat und dieser Krebs behandelt werden muss; jetzt ist sie in einigen anderen Fällen erlaubt, z. B. bei Missbildungen des Fötus, in Kontinuität zu dem, was diese Päpste gelehrt haben.‘ Man sieht, wie falsch dieses Argument ist. Der Fall der Operation von Gebärmutterkrebs ist möglich, weil es sich nicht um einen direkten Schwangerschaftsabbruch handelt, sondern um eine unbeabsichtigte Folge einer therapeutischen Maßnahme an der Mutter (nach dem so genannten Prinzip der Doppelwirkung). Es besteht keine Kontinuität, sondern eine Diskontinuität zwischen den beiden Lehren, denn die letztere leugnet den Grundsatz, der der ersteren zugrunde liegt und der das moralische Übel jeder direkten Abtreibung aufzeigt.“
Über die Diskontinuität der „Risposta“ mit dem Magisterium von Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. hinaus widerspreche die Antwort von Glaubens-Dikasterium und Papst Franziskus auch der Lehre des Konzils von Trient, die sich zu dieser Thematik „definitiv“ geäußert habe: „Mit anderen Worten, es geht nicht mehr darum, zwischen zwei Aussagen des ordentlichen Lehramtes zu wählen, sondern darum, konstitutive Elemente der katholischen Lehre zu akzeptieren.“
„Daraus folgt, dass diejenigen, welche die im Text von Buenos Aires und in der ‚Risposta‘ enthaltene Auslegung von ‚Amoris laetitia‘ ablehnen, nicht des Dissenses bezichtigt werden können“, zog der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation sein Fazit. „Denn sie sehen nicht einen Gegensatz zwischen dem, was sie für wahr halten, und dem, was das Lehramt lehrt, sondern sie sehen einen Gegensatz zwischen verschiedenen Lehren desselben Lehramtes, von denen eine bereits endgültig bestätigt worden ist.“
Müller verortete weitere Probleme in der „Risposta“, insofern sie sogar über die Position der Bischöfe von Buenos Aires aus dem Jahr 2016 hinausgehe.
Auf die Frage in Dukas Dubia, wer über die Möglichkeit der Erteilung der sakramentalen Lossprechung am Ende des Unterscheidungsprozesses entscheide (und damit dem Kommunionempfang die Tür öffne), antworte Fernández mit der Unterschrift des Papstes, die endgültige Entscheidung müsse „im Gewissen der Gläubigen getroffen werden, die in einer zweiten Ehe leben“. Daraus folgerte Müller: „Es scheint, dass für die DDF das Gewissen eher die private Sichtweise eines jeden Menschen ist, die dann vor Gott gestellt wird“ – und nicht die Stimme Gottes im Menschen, wie das Zweite Vatikanische Konzil vom Gewissen gesprochen habe.
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Außerdem folgere aus der Behauptung der „Risposta“, dass die Entscheidung über die Lossprechung letztlich von den betroffenen Personen selbst getroffen werde: „Wenn wir diese Schlussfolgerung auf alle Sünden anwenden, verliert das Sakrament der Versöhnung seine katholische Bedeutung. Die Beichte ist nicht mehr die demütige Bitte um Vergebung eines Menschen, der vor einem barmherzigen Richter, dem Priester, steht, der seine Autorität von Christus selbst erhält, sondern sie ist eine Selbstabsolution, nachdem man sein eigenes Leben geprüft hat. Dies ist nicht weit entfernt von einer protestantischen Sicht des Sakraments, die von Trient verurteilt wurde, als es auf der Rolle des Priesters als Richter im Sakrament der Beichte bestand.“
„Es ist erstaunlich, dass die DDF dem Heiligen Vater während einer Audienz einen Text mit derartigen theologischen Mängeln zur Unterschrift vorlegen und damit die Autorität des Heiligen Vaters kompromittieren konnte“, konstatierte Müller.
Der deutsche Kardinal warf Fernández außerdem vor, irreführend zu zitieren, um eine bestimmte Position zu untermauern. So habe das Glaubens-Dikasterium „einen kleinen Teil des Textes von Johannes Paul II. ausgewählt und dabei das Hauptargument weggelassen, das im Widerspruch zu dem von der DDF vorgebrachten Argument steht. Wenn die DDF eine Lehre vorbringen will, die im Widerspruch zu der von Johannes Paul II. steht, dann soll sie zumindest nicht versuchen, den Namen und die Autorität des heiligen Papstes zu benutzen. Es wäre besser, ehrlich zuzugeben, dass Johannes Paul II. nach Ansicht der DDF mit dieser Lehre seines Magisteriums falsch lag.“
„Die zweite Neuerung in der ‚Risposta‘ besteht darin, dass jede Diözese ermutigt wird, ihre eigenen Richtlinien für diese Unterscheidung zu entwickeln“, fuhr Müller fort. „Daraus ergibt sich eine Schlussfolgerung: Wenn es unterschiedliche Richtlinien gibt, werden einige Geschiedene in einer Diözese die Eucharistie empfangen können und in einer anderen nicht.“
„Die Einheit der katholischen Kirche bedeutet seit jeher die Einheit im Empfang der Eucharistie: Indem wir dasselbe Brot essen, sind wir derselbe Leib (vgl. 1 Kor 10,17)“, so Müller. „Wenn ein gläubiger Katholik die Kommunion in einer Diözese empfangen kann, kann er die Kommunion in allen Diözesen empfangen, die in Gemeinschaft mit der Weltkirche stehen. Dies ist die Einheit der Kirche, die auf der Eucharistie beruht und in ihr zum Ausdruck kommt. Wenn also jemand in einer Ortskirche die Kommunion empfangen kann und in einer anderen nicht, dann ist das eine genaue Definition von Schisma. Es ist unvorstellbar, dass die DDF so etwas fördern will, aber das sind die wahrscheinlichen Folgen, wenn man ihre Lehre annimmt.“
Man müsste, erklärte Müller zum Abschluss seines offenen Briefes, eigentlich ein neues Dubium formulieren, nämlich die Frage: „Gibt es Fälle, in denen es möglich ist, einem Getauften, der mit jemandem, mit dem er in einer zweiten Lebensgemeinschaft lebt, den Geschlechtsverkehr aufrechterhält, nach einer Zeit der Unterscheidung die sakramentale Absolution zu erteilen, wenn dieser Getaufte nicht den Entschluss fassen will, den Geschlechtsverkehr nicht fortzusetzen?“
Solange ein derartiges Dubium „nicht geklärt ist, bleibt die Autorität der ‚Risposta‘ und des Dokuments von Buenos Aires aufgrund der Ungenauigkeit, die sie widerspiegeln, zweifelhaft“. Müller befürchte jedoch: „Diese Ungenauigkeit lässt wenig Raum für die Hoffnung, dass es eine negative Antwort auf dieses ‚dubium‘ geben wird.“
„Die Hauptnutznießer dieser negativen Antwort wären nicht die Gläubigen, die ohnehin nicht verpflichtet wären, eine positive Antwort auf das ‚dubium‘ zu akzeptieren, denn eine solche Antwort würde der katholischen Lehre widersprechen“, betonte der Kardinal. „Der Hauptnutznießer wäre die Autorität, die auf das ‚dubium‘ antwortet, die unversehrt bliebe, da sie von den Gläubigen nicht mehr verlangen würde, sich mit Geist und Willen Wahrheiten zu unterwerfen, die der katholischen Lehre widersprechen.“