Vatikanstadt - Freitag, 12. April 2024, 11:45 Uhr.
Eine Randnotiz wird zum kleinen „Aufreger“: Anfang dieser Woche wurde bekannt, dass im sogenannten Päpstlichen Jahrbuch, dem Annuario Pontificio, neben den bekannten Papst-Titeln von Franziskus als „Bischof von Rom“ und „Stellvertreter Christi auf Erden“ nun auch ein Titel wiederhergestellt wurde, den Papst Benedikt XVI. einst abgeschafft hatte: Der Titel „Patriarch des Abendlandes“ bzw. „Patriarch des Westens“.
Nur eine Kleinigkeit oder gar eine große Geste in Richtung der Ökumene? CNA Deutsch sprach darüber mit dem Augsburger Kirchenhistoriker Matthias Simperl.
Papst Franziskus führt nun wieder den offiziellen päpstlichen Titel „Patriarch des Westens“. Wie überraschend kam diese Entscheidung für Sie?
Mit einer solchen Entscheidung hätte ich persönlich nicht gerechnet. Mit dem Annuario Pontificio von 2020 schien die Sache klar zu sein: Als einschlägig hat das Amt als Bischof von Rom zu gelten, die sonstigen Titel folgen erst nach der Biografie des Papstes und werden als „historische Titel“ ausgewiesen. Was das zu bedeuten hatte, war zwar nicht bis zum Letzten klar: Sollten die sonstigen Titel, darunter primatstheologisch so bedeutsame wie „Nachfolger des Apostelfürsten“, das heißt des Petrus, schlichtweg der Vergangenheit zugewiesen werden? Oder ging es nur um ihre historische Genese, die allerdings ohnehin kaum jemand in Frage gestellt hätte? So oder so wurden die Titel jedoch hintangestellt. Die Aktualisierung der Liste überrascht deshalb.
Franziskus’ Vorgänger, Papst Benedikt XVI., hatte den Titel „Patriarch des Westens“ im Jahr 2006 während seines Pontifikats abgeschafft. Was waren damals die Beweggründe des deutschen Pontifex?
Wie der Münchner, vormalig Würzburger Kirchenrechtler Martin Rehak in einer grundlegenden Studie zum Titelverzicht Benedikts herausgearbeitet hat (vgl.: Der Verzicht des Bischofs von Rom auf den Titel „Patriarch des Okzidents“ und die kanonische Verfassung der katholischen Kirche. Geschichte – Kirchenrecht – Ekklesiologie, St. Ottilien 2022), spielten dabei insbesondere die Thesen des Franziskanertheologen Adriano Garutis eine Rolle, der lange unter dem damaligen Kardinal Ratzinger in der Glaubenskongregation gearbeitet hat. Garuti hat vertreten, die lateinische Kirche habe nie die Patriarchatsstruktur der östlichen Kirchen gekannt, in der einzelne Bischöfe als Patriarchen die Oberaufsicht über ein bestimmtes Territorium hatten. Eine Unterscheidung zwischen päpstlichem Universalprimat und patriarchaler Stellung verdunkele außerdem die dogmatisierte Lehre über den Jurisdiktionsprimat des Papstes, also die volle und höchste Entscheidungsgewalt des Papstes über die gesamte Kirche. Das passt zu den theologischen Ansichten Benedikts, der dezidiert vertreten hat, die Universalkirche gehe den einzelnen Ortskirchen voraus. Spitzt man ein solches Verständnis zu, lässt sich der Papst kaum noch als Vorsteher einer Teilkirche, der des „Westens“, denken.
Hatte Benedikts Entscheidung noch weitere Folgen?
Ja, tatsächlich: Die sogenannten Patriarchalbasiliken wurden in Papstbasiliken umbenannt. Diese Bezeichnung der wichtigsten Kirchen Roms rührt ursprünglich von der päpstlichen Selbstbezeichnung als Patriarch her, die Kirchen sind dann aber in sekundärer Deutung auf die altkirchlichen Patriarchate bezogen worden, nämlich St. Peter im Vatikan für Konstantinopel, St. Paul vor den Mauern für Alexandria, Santa Maria Maggiore für Antiochia und St. Laurentius vor den Mauern für Jerusalem. Man darf gespannt sein, ob Franziskus dies in der Konsequenz ebenfalls rückgängig macht.
Wissen Sie etwas über die Beweggründe von Papst Franziskus, diesen Titel wieder „zurückzuholen“? Was halten Sie beispielsweise von den Deutungen einiger Beobachter, die darin eine Geste im ökumenischen Dialog mit den Ostkirchen vermuten?
Über die Beweggründe weiß ich nicht mehr, als man in den bereits veröffentlichten Einordnungen lesen kann. Es fällt allerdings auf, dass Rehaks umfassende Studie, in der er die kirchenrechtlichen und theologischen Ambivalenzen der Entscheidung Benedikts herausarbeitet, gerade einmal vor zwei Jahren erschienen ist. Dass sie in Franziskus’ Umfeld wahrgenommen wurde, kann man sich durchaus vorstellen. In der gemeinsamen Bibliothek des deutschen Kollegs und des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, die ihren Sitz am deutschen Friedhof im Vatikan haben, lag sie jedenfalls bis vor Kurzem noch unter den Neuerscheinungen aus. Wenn zutrifft, dass das griechisch-orthodoxe Patriarchat in Istanbul vorab informiert wurde, ist man sich zugleich der ökumenischen Dimension dieses Schritts bewusst gewesen. Daneben sind aber natürlich weitere Gründe für die Entscheidung nicht ausgeschlossen.
Abgesehen von der ökumenischen Geste, was bringt dem Papst dann diese Änderung?
Sieht man sich die derzeit im Päpstlichen Jahrbuch genannten päpstlichen Titel an, folgt das Ganze einer inneren Logik: „Patriarch des Westens“ steht zwischen den universalkirchlich relevanten Titeln, die ihn als Nachfolger der Apostel und „obersten Brückenbauer“ ausweisen, einerseits, den auf Italien, Rom und den Staat der Vatikanstadt bezogenen Aufgaben andererseits. Er hat also eine Scharnierfunktion und zeigt an: Gegenüber den Bischöfen des Westens hat der Papst nochmals eine eigene Funktion, genauso wie er etwa, ganz vergleichbar anderen Erzbischöfen, der Kirchenprovinz Rom vorsteht.
Wenn man das Ganze reduzieren, gewissermaßen eindampfen will, könnte man sagen: All das, was dem Papst diesen auf bestimmte Teilkirchen bezogenen Titeln nach zukommt, darf er ohnehin als Papst. Das würde aber zu kurz greifen: Die Titel machen zum einen die Einbettung des Papstes in die geografisch und rechtlich vieldimensionalen Realitäten der Kirche deutlich. Als Bischof einer bestimmten Ortskirche ist er nämlich nicht nur auf die Weltkirche, sondern auf seine Kirchenprovinz, auf Italien und dann, weil er oberster Bischof der lateinischen Rituskirche ist, in besonderer Weise auf diese und damit ihr vornehmliches Territorium bezogen.
Zum anderen zeigen die Titel: Bestimmte Rechte, etwa Metropolitanrechte, übt der Papst aufgrund seines besonderen Bezugs zu seiner Metropolitankirche und nicht einfach als Oberhaupt der Weltkirche aus. Das heißt zugleich: Wenn andere Erzbischöfe dies in ihren Metropolien tun, tun sie dies nicht als „lokale Filialleiter“ des Papstes, sondern als Teil einer umfassenden kirchlichen Verfassungsstruktur, die auch der Papst für sich akzeptiert. Das kann man mit guten Gründen als deutliches Signal für den katholisch-orthodoxen Dialog lesen. So verstanden handelt es sich um eine glückliche Entscheidung.
Für einen Laien klingt gerade der Titel „Patriarch des Westens“ etwas seltsam. Sieht sich der Papst denn nicht als das Oberhaupt der Kirche auf dem gesamten Erdkreis? Warum diese Betonung auf den Westen?
Tatsächlich nimmt der Papst gegenüber den Ortskirchen des Westens besondere Aufgaben wahr: So verleiht er ihren Erzbischöfen das Pallium. Es ist außerdem vertreten worden, dass Johannes Paul II. das grundlegende Gesetzbuch der lateinischen Kirche, den Codex Iuris Canonici, als Ersthierarch, also als oberster Bischof der lateinischen Kirche, und nicht in Ausübung seines universalen Jurisdiktionsprimats erlassen hat. Innerhalb der lateinischen Ritenfamilie ist der Bischof von Rom schließlich der grundlegende Gesetzgeber für den römischen Ritus.
Dass sich Franziskus hier einer anderen Rolle gegenüber den östlichen Kirchen bewusst ist, zeigt seine Positionierung im syro-malabarischen Ritenstreit, in dem er, statt selbst etwas zu entscheiden, auf die Durchsetzung einer Synodalentscheidung der betroffenen Ortskirchen drängt. Durch die Missionstätigkeit ab der frühen Neuzeit hat sich der „Westen“, auf den der Titel Bezug nimmt, freilich deutlich ausgedehnt und deckt sich geographisch mit weiten Teilen der Universalkirche. Als die Päpste den Titel im frühen Mittelalter aufnahmen, war dies noch nicht der Fall.
Welche Bedeutung kommt den Papsttiteln generell zu?
Als Titel bringen sie das Selbstverständnis ihres Trägers zum Ausdruck, sie haben dabei nicht einfach zeremoniellen Wert, sondern lehrmäßige und kirchenrechtliche Implikationen. Zumindest für den Papst wird man allerdings sagen dürfen: Das Ablegen von Titeln bedeutet nicht unmittelbar eine Absage an bestimmte Rechte und Aufgaben. Ohnehin kann der Bischof von Rom auf bestimmte Rechte, die mit seinem Amt verbunden sind, nicht verzichten, auch wenn er dies wollte.
Wie meinen Sie das?
Nun, der Papst könnte nicht beschließen, dass Aufgaben und Rechte des Petrusamtes ab morgen auf einen anderen Bischof der Weltkirche übergingen – etwa den von Wien oder von Montevideo. Genauso wenig kann er seinem Jurisdiktionsprimat einfach entsagen und sich auf dieselbe Stufe stellen wie die Patriarchen der Orthodoxie. Das ist ja ein bleibender „Stein des Anstoßes“ im ökumenischen Dialog mit der Orthodoxie. Wo ein Papst dagegen deutliche Akzente setzen kann, ist die Art und Weise, in der er seinen Primat wahrnimmt. Eine Art primatialer Selbstbeschränkung könnte dazu führen, die Wiederbegründung der Kirchengemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen zu erleichtern.
Freilich gilt: Genauso wenig, wie ein Papst seinen Nachfolger bestimmt, kann er ihn dazu zwingen, eine solche Ausübung des Primats unverändert fortzuführen. Was er jedoch durchaus tun kann: Durch kluge Amtsausübung, theologische Grundlegung und die Etablierung und Festigung entsprechender Traditionen künftigen Päpsten Orientierung bieten. Ob die jüngste päpstliche Entscheidung sich solchermaßen auswirkt, wird die Zukunft zeigen.
Matthias Simperl lehrt und forscht als Kirchenhistoriker an der Universität Augsburg. Seine Forschungsinteressen gelten insbesondere der Theologie- und Kirchengeschichte des vierten Jahrhunderts und der Geschichte des spätantiken und frühmittelalterlichen Papsttums. Dazu ist von ihm u. a. erschienen: Das Buch der Päpste - Liber pontificalis. Ein Schlüsseldokument europäischer Geschichte; Herder, Freiburg i. Br. u. a. 2020 (hg. gemeinsam mit Klaus Herbers).