Redaktion - Dienstag, 20. August 2024, 12:00 Uhr.
Im Interview mit CNA Deutsch sprach Maria Biedermann, die Projektmanagerin der Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI), über die schwierige Lage der Christen in Pakistan. Sie beleuchtete, wie die zunehmende Islamisierung des Landes und die Anwendung von Blasphemiegesetzen das Leben der christlichen Minderheit erheblich beeinträchtigen.
Pakistan wurde 1956 zur Islamischen Republik erklärt. Seit 1977, als General Zia putschte, verfolgt die pakistanische Regierung einen zunehmend islamischen Kurs. 1980 wurde ein Scharia-Gericht eingerichtet, ein paralleles Rechtssystem, das Urteile auf der Grundlage des islamischen Rechts fällt. Mitte der 80er Jahre kam das berüchtigte Blasphemiegesetz hinzu, auf das die Todesstrafe steht. Wie beeinflusst die aktuelle politische Landschaft in Pakistan, insbesondere die Führung der Koalitionsregierung aus der Pakistanischen Muslimliga und Pakistan People’s Party, die Situation der Christen im Land?
Ich glaube nicht, dass die Koalitionsregierung der Pakistan Muslim League (Nawaz) und der Pakistan People’s Party die Situation der Christen verbessern kann. Die Koalitionsregierung hat auf Bundesebene sowie in den Provinzen Punjab, Sindh und Belutschistan Christen ausgegrenzt, indem sie auf keiner Ebene in das Kabinett aufgenommen wurden.
Obwohl Christen die größte Minderheit in Pakistan sind, insbesondere in Punjab, schrumpft ihre Vertretung in den nationalen und provinziellen Versammlungen rapide. Die meisten politischen Parteien ignorieren die Christen. Sogar das Provinzministerium für die Angelegenheiten der Minderheiten wurde einem Mitglied einer viel kleineren Gemeinschaft in Punjab übertragen. Christen werden die gleichen Rechte verweigert, obwohl behauptet wird, sie seien gleichberechtigte Partner.
Die Spaltung des Landes entlang religiöser Linien ist offensichtlich. Wenn Christen nicht in das Kabinett aufgenommen werden, können sie keine politischen Entscheidungen treffen, und letztlich werden sie aus dem politischen System verdrängt. Die Koalitionsregierung hat bisher keine Maßnahmen zur sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Entwicklung der Minderheiten, insbesondere der Christen, ergriffen.
Wie wirkt sich die zunehmende islamische Ausrichtung der pakistanischen Regierung seit 1977 auf die religiösen Minderheiten, insbesondere die Christen, aus?
Die zunehmende islamische Ausrichtung der pakistanischen Regierung begann 1973 und ist im pakistanischen Grundgesetz von 1973 verankert. Die pakistanische Verfassung hat der Identität der religiösen Minderheiten, insbesondere der Christen, geschadet. Diese diskriminierende Verfassung teilt die Bürger Pakistans entlang religiöser Linien.
Laut der Verfassung ist der Islam die höchste Religion Pakistans, und andere Religionen werden kaum erwähnt. Muslime gelten als die „überlegenen“ Bürger Pakistans. Sie genießen volle politische, soziale, wirtschaftliche und religiöse Rechte. Die Verfassung erklärt Pakistan zu einem islamischen Staat, in dem nur ein Muslim die Position des Präsidenten, des Premierministers, des Senatsvorsitzenden, des Provinzgouverneurs oder des Provinzministerpräsidenten innehaben kann. Alle Mitglieder des Parlaments sowie der föderalen und provinziellen Kabinette müssen einen Eid als Muslime ablegen, womit die religiöse Vielfalt praktisch ausgeschlossen wird.
Die Verfassung Pakistans dient in erster Linie als Hüterin des Islam. Teil IX der Verfassung besteht aus islamischen Bestimmungen. Laut Artikel 227(1) der Verfassung gilt: „Alle bestehenden Gesetze sollen in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Islam, wie sie im Heiligen Koran und der Sunnah festgelegt sind, gebracht werden, und kein Gesetz soll erlassen werden, das diesen Vorschriften widerspricht.“ Es gibt ein Bundes-Schariagericht und einen Islamischen Ideologierat, die den Islam und die Rechte der Muslime schützen sollen.
Die Islamisierung des Bildungssystems bedeutet, dass der Glaube und das Leben von Nicht-Muslimen ständig bedroht sind. Religiöse Minderheiten werden als „Andere“ behandelt. Sie sollen die besten Käufer, aber die schlechtesten Verkäufer sein. Ihre minderjährigen Mädchen werden entführt, zwangsweise konvertiert und verheiratet. Sie sehen sich am Arbeitsplatz Diskriminierungen ausgesetzt und müssen sich Herausforderungen wie religiösen Boykotten stellen. Ein Geschäft zu führen ist für sie schwierig und sie leben in ständiger Angst, dass ihnen ihr Leben und ihr Eigentum genommen werden könnten. Sie fürchten auch, fälschlicherweise der Blasphemie beschuldigt und anschließend verfolgt zu werden.
Welche Auswirkungen haben die Blasphemiegesetze auf die christliche Gemeinschaft in Pakistan? Können Sie Beispiele für deren Missbrauch gegen Christen nennen?
Das Gesetz gegen Gotteslästerung ist Bestandteil des pakistanischen Strafrechts. Seit 1986 gilt die Todesstrafe den Personen, die der Beleidigung des Islams überführt werden. Dazu gehören die Verletzung religiöser Gefühle, Schändung des Korans, Verunglimpfung des Namens des Propheten Muhammad, seiner Gefährten, eines der Kalifen oder Familienangehörigen. Bei Anklagen ist die Polizei befugt, den mutmaßlichen Straftäter ohne Haftbefehl festzunehmen und ihre Ermittlungen ohne richterliche Anordnung aufzunehmen.
Perfid ist, dass die meisten Fälle von Blasphemie auf falschen Anschuldigungen beruhen. Diese beruhen auf Eigentumsfragen oder anderen persönlichen oder familiären Racheakten und nicht auf echten Fällen von Blasphemie. Sie führen unweigerlich zu Gewalt gegen die gesamte Gemeinschaft.
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Der 23-jährige Christ Noman Masih sitzt derzeit in der Todeszelle, weil er angeblich blasphemische Bilder in sozialen Medien verbreitet hat. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung war er erst 18 Jahre alt. Im April 2023 wurde eine Christin, Mussarat Bibi, beschuldigt, Seiten des Korans verbrannt zu haben. Sie wurde festgenommen und inhaftiert. In einer seltenen Entscheidung wurde der Fall schließlich fallen gelassen, nachdem die Behörden erfahren hatten, dass die Anschuldigungen von Personen stammten, die einen Groll gegen Bibi hegten. Wie reagieren Christen in Pakistan auf Fälle wie Noman Masih und Mussarat Bibi, die aufgrund der Blasphemiegesetze verhaftet wurden? Welche Unterstützung erhalten sie?
Es gab eine Zeit, in der Fälle wie die von Noman Masih und Mussarat Bibi selten waren, aber jetzt sehen sich Christen sehr häufig mit solchen Fällen konfrontiert. Sie leben ständig in der Angst, angeklagt, hinter Gitter gebracht oder zum Tode verurteilt zu werden. Sie fürchten, dass ihre Häuser, Besitztümer und Haushalte geplündert und niedergebrannt werden oder dass es zu Entweihungen der Heiligen Schrift und der Kirchen kommen könnte. Sie leben in ständiger Anspannung und sind nicht mehr sehr laut, da ihre Stimmen oft zum Schweigen gebracht werden. Ihnen werden schwere Konsequenzen angedroht, wenn sie ihre Stimme zu diesem Thema erheben. Die Ankläger in solchen Fällen werden zu Helden, während die Opfer viel leiden und auch ihre Familien nicht sicher sind. Manche verstecken sich, um ihr Leben zu schützen, und selbst Christen meiden aus Angst die Familien der Angeklagten.
Die von CSI unterstützten Opfer stammen fast ausschließlich aus armen Verhältnissen, deren Familien die Anwaltskosten selten selbst tragen können. In solchen Fällen übernimmt CSI die finanzielle Unterstützung. Oftmals muss die gesamte Familie aus Sicherheitsgründen umziehen, wodurch sie ihre Einkommensquelle verliert und neu beginnen muss. CSI hilft den Familien während dieser Übergangszeit und finanziert sichere, temporäre Unterkünfte.
Gibt es weitere aktuelle Vorfälle?
Weitere von CSI unterstützte Opfer sind unter anderem der Christ Imran R. und der Muslim M. [die Namen sind der Redaktion bekannt]. Imran, Vater von zwei kleinen Kindern, wird seit September 2022 der Blasphemie beschuldigt und ist im Gefängnis. M. seit September 2020. Leider nehmen Blasphemiefälle stark zu. Wir hören fast wöchentlich von Menschen, die unschuldig sind, aber angeklagt werden.
Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Christen in Pakistan, sich gegen falsche Blasphemievorwürfe zu wehren?
Die rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen falsche Blasphemievorwürfe in Pakistan zu wehren, umfassen die Unterstützung durch Anwälte und Rechtshilfeorganisationen und die Einlegung von Berufungen. Trotz dieser Optionen ist es jedoch äußerst schwierig, freizukommen. Der rechtliche und gesellschaftliche Druck ist hoch, und die Verfahren können sich über Jahre hinziehen.
Wie häufig kommt es zu Entführungen und Zwangsverheiratungen christlicher Mädchen? Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um diesen Opfern zu helfen?
In Pakistan werden jedes Jahr um die 1.000 Mädchen religiöser Minderheiten (Christen und Hindu) zur Konversion und Heirat gezwungen. Zwar ist das offiziell anerkannte Heiratsalter 18, doch nach dem Scharia-Recht beginnt das Heiratsalter mit der Pubertät und da drücken religiöse Führer und Richter oft mal ein Auge zu. Es ist wichtig, dass die internationale Gemeinschaft in dieser Angelegenheit auf den pakistanischen Staat Druck ausübt.
Wie unterstützt Ihre Organisation verfolgte Christen in Pakistan? Gibt es erfolgreiche Projekte oder Initiativen, die Sie hervorheben möchten?
Als Menschenrechtsorganisation versucht CSI international auf diese Problematik aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren. Vor allem aber sind wir im Land selbst tätig, zum Beispiel durch Advocacy Workshops für christliche Anwälte, die sich für Blasphemie-Opfer einsetzen oder auch mit Kampagnen auf politischer Ebene. Unter anderem wurde auch dank des großen Einsatzes unseres Partners vor Ort ein Gesetzesentwurf verabschiedet, der das Mindestheiratsalter für christliche Frauen auf 18 Jahre anhebt. Somit kann man viel besser gegen Zwangsheiraten von Minderjährigen ankämpfen.
In den letzten zwei Jahren konnten wir zudem 63 christliche Familien, die als Leibeigene auf Ziegeleien arbeiteten, die Schulden zurückzahlen und sie in ein Leben in Freiheit und Würde begleiten. Dankbar sind wir auch auf unser Schutzhaus, in dem Mädchen, die aus der Zwangsheirat befreit werden konnten, eine Oase finden, die ihnen hilft, nach dem erlebten Trauma wieder Fuß zu fassen.