6. August 2019
Benedikts auch auf CNA Deutsch dokumentierter und kommentierter Beitrag vom 11. April 2019 sorgt noch immer für Aufsehen. Herbe Kommentare, polemischen Widerspruch und sprungbereite Feindseligkeit hat er bereits als Präfekt der Glaubenskongregation erfahren müssen. Dissonanzen folgten im Pontifikat. Im siebten Jahr nach dem Amtsverzicht gibt es erneut machtvolle Einsprüche. Nach seiner klugen und souveränen Analyse der Glaubens- und Kirchenkrise im Frühjahr konnten auch das auffällige Schweigen sowie die behutsamen Distanzierungen liberal orientierter Bischöfe in Deutschland festgestellt werden. Mit Sympathie jedoch begegneten die einfach gläubigen Katholiken ihrem "Vater Benedikt". Sie waren und sind ihm dankbar – genauso wie Papst Franziskus – für seine sensiblen, sorgfältig durchdachten Wortmeldungen.
An der Orientierungslosigkeit und Woge der Irritationen, die uns im Zeitalter des Relativismus umflutet – in der postmodernen, dekadenten Wohlstandsgesellschaft wird der Glaube der Kirche behandelt wie ein Accessoire –, sind viele Katholiken in Deutschland, ob Kleriker oder Weltchristen, natürlich nicht schuldlos. Geradezu absurd, ja unvorstellbar ist im Grunde, dass die Lehre der Kirche oft nicht nur unbekannt ist, sondern auch kaum noch verkündet wird. Manche sprechen von "niedrigschwelligen Angeboten" und verwechseln eine Patchwork-Liturgie sowie eine verbilligte Morallehre dann vielleicht mit der vom Zweiten Vatikanischen Konzil und allen Päpsten seither geforderten Neuevangelisierung. Wenn sich Katholiken auf "Synodale Wege" begeben, so könnten sie mit einem theologischen Lesekreis beginnen. Nicht Umfragen, in denen sich die Konfusion der robusten Zeitgeistlichkeit spiegelt, oder bunt illuminierte Privatmeinungen gilt es zu studieren, sondern – wenn etwa die Moraltheologie diskutiert wird – die Lektüre der Enzykliken "Humanae vitae" (1968) und "Evangelium vitae" (1983) könnte bei allen Beteiligten zu lichtreichen Einsichten führen. Vielleicht würde mancher Christenmensch ja sogar seine eigenen Irrtümer erkennen und sich vom Lehramt der Kirche korrigieren lassen. Auch eine wachsende Vertrautheit mit dem Schrifttum des theologischen Aufklärers Benedikt XVI., der niemals ein bornierter Traditionalist, nostalgischer Schwärmer oder sentimentaler Phantast war, könnte hilfreich sein. Das zweifelhafte Talent für weltgewandte Geschmeidigkeit fehlte ihm stets. Das zeigt nicht nur sein Aufsatz vom 11. April 2019. Unbedingt lesenswert ist ein Gespräch der Kardinäle Ratzinger und König mit der Wochenzeitung "Die Zeit", das am 29. November 1991 publiziert wurde. Der Titel lautete: "Auch die Religion bedarf der Reinigung". Die dort erörterten Themen wirken auf uns heute hochaktuell. Ratzinger äußert sich kritisch über den "Apparat", also über die kirchlichen Referate, lokalen Bürokratien und Behörden in den kleinen Kurien, die ein ortskirchliches Selbstbewusstsein entwickeln: "Je mehr Apparat wir machen, auch wenn es der modernste ist, desto weniger ist Platz für den Geist." Man könnte vielleicht, bis zum Erweis des Gegenteils, mit Romano Guardini sagen: Die Kirche erwacht in den Seelen – und nicht in den Gremien.
Kardinal Ratzinger verteidigt die Morallehre der Kirche und beschreibt sorgenvoll die "Kulturrevolution", die mit der Einführung der Anti-Baby-Pille verbunden gewesen sei: "Sexualität ist zur abrufbaren Ware, jederzeit »ungefährlich« benutzbar, geworden. Die Folgen sind zunehmende Auflösung der ehelichen Treue, Egalisierung aller sexuellen Verhaltensweisen und dadurch zum Beispiel auch eine ungeheure Explosion der Homosexualität ..." Sorgenvoll äußert er sich über die neue sexuelle Freizügigkeit, die zur Auflösung von Familie, Ehe und Moral beiträgt. Die Lehre der Kirche schützt die Gläubigen: "Wenn Sexualität von Fortpflanzung sicher abgekoppelt werden kann, und diese immer mehr zu einer bloßen Technik wird, wie sie Aldous Huxley in seinen Romanen voraussah, dann hat Sex mit Moral sowenig mehr zu tun wie das Kaffeetrinken. … Den Vorrang muß haben, daß Sexualität aus dem bloß Animalischen zum Humanen hingeleitet wird, zur Liebesgemeinschaft, aus der menschliche Zukunft entsteht. Und alles andere erhält dadurch sein Maß." Der Wiener Kardinal König übrigens widerspricht nicht, warum sollte er auch? Der Maßstab des Glaubens, so Ratzinger, sei die verbindlich gültige Lehre der Kirche. Das Dogma besitze zwar, in menschliche Sprache gefasst, eine gewisse Auslegungsweite, aber zu fragen sei: "Wann interpretiere ich – wann verdrehe ich? Wir müssen uns das Christentum ja nicht neu ausdenken! Katholisches Christentum ist zwar immer etwas nach vorn Offenes, aber etwas Definiertes, nicht etwas quallig Zerfließendes ..." Vergessen werden darf auch nicht, gestern wie heute, dass die römisch-katholische Kirche für den unbedingten Lebensschutz einsteht und die Würde des Menschen verteidigt. Kardinal Ratzinger sagt über das verbotene Verhütungsmittel noch mehr: "Die Flucht zur Pille kann ja auch zum Beispiel eine Form des Machismus sein. Da kann man Frauen verstehen, die sagen: Wann endlich gibt es die Pille für Männer ..."
Ja, ganz normale römisch-katholische Christen, Jung und Alt, möchten gut leben – das heißt: auf der Grundlage des natürlichen Sittengesetzes, im Glauben fest gegründet, auf das Gute hin ihr Dasein ausrichten, auf Gott hin, in Gemeinschaft mit Christus und der Kirche aller Zeiten und Orte. Unser emeritierter Papst Benedikt XVI. hat das 1991 genauso klar erkannt wie 2019.
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