14. Februar 2021
Trotz der enormen Verluste in der Seeschlacht von Lepanto im Jahr 1571 herrschte vielerorts immer noch die Legende von der Unbesiegbarkeit der Osmanen auf See. Langsam aber sicher änderten sich die allgemeinen Umstände im Mittelmeerraum durch die starke Zunahme des Handels zwischen der christlichen und der muslimischen Welt. Weitgehend wurde seitens der Christen vermieden, die Schiffe des osmanischen Sultans zu erobern.
Doch das Unerwartete ereignete sich im September des Jahres 1644. Seit dem 27. August dieses Jahres segelten die Galeeren des Malteserordens vom Hafen Maltas aus nach Osten. Als sie sich bereits auf der Rückfahrt zu ihrer Basis befanden, sahen sie etwa 70 Meilen vor Rhodos einige Schiffe. Diese kamen von Konstantinopel und fuhren nach Alexandria. Die Ritter wussten nicht, was auf sie zukommen würde, doch wollten sie wenigstens die ersten beiden feindlichen Schiffe erobern.
Es war am Morgen des 28. September, als die Kapitäne der drei maltesischen Galeeren,ein Schiff sahen, das sie zuvor nie gesehen hatten: Es handelte sich um die Galeone des Harems von Sultan Ibrahim I.
Die Malteser ahnten nicht, dass sich zwei wichtige Persönlichkeiten auf diesem riesigen Osmanen-Schiff befanden, wird erzählt: Zafira, die erste Frau aus dem Harem des Sultans, und deren zweijähriger Sohn Osman. Zusammen mit hunderten Gefolgsleuten und Sklaven waren sie auf der Pilgerreise nach Mekka.
Nach einer viele Stunden dauernden heftigen Schlacht gelang es den Angreifern aus Malta die Galeone, das größte Schiff der osmanischen Flotte, zu erobern. Den Schatz kostbarer Juwelen, Gold- und Silbergegenstände wollten sie in ihren Heimathafen bringen. Doch schwere Stürme zwangen die Schiffe, auf Kreta Zuflucht zu suchen. Erst im Februar 1645 erreichten die Galeeren Malta.
Noch immer wussten die Ritter nicht, dass zwei ihrer Gefangenen Zafira und das zweijährige Kind Osman, der Sohn von Sultan Ibrahim I., waren.
Nach der "Enzyklopädie des Islam" war Sultan Ibrahim I. (1615 – 1648) der 18. Herrscher der Osmanen. Er regierte ab 1640 für acht Jahre. Weil er offenbar unter geistigen Wahnvorstellungen litt, wurde er auch "Ibrahim der Verrückte" genannt. Unter seiner schwachen Regierung stieg die Korruption auf vorher unbekannte Dimensionen. Sein Unvermögen, die Folgen der schweren Erdbebenkatastrophe in Istanbul am 29. Mai 1648 zu meistern, forcierte sein Ende. Am 8. August 1648 wurde er gestürzt und Tage später getötet.
Infolge einer Krankheit starb Zafira im Januar 1645 auf Kreta. Ihren kleinen Sohn Osman beließ man vorläufig bei den Hofdamen Zafiras. Erst später sollte er nach Malta kommen. Osman war natürlich kein Christ, sondern Muslim. Der Großmeister der Malteser beschloss, ihm eine angemessene Ausbildung zu geben; er achtete Osman und wollte seine Gefühle nicht verletzen. Schließlich übergab man ihn dem Dominikanerkloster in Valletta. Hier wurde er 1654 mit Ehrfurcht und großem Pomp empfangen. Ein junger Dominikaner wurde mit seiner Ausbildung betraut.
Osman war freundlich und gehorsam, hatte einen scharfen Verstand und war wissbegierig. Doch er wusste um seine Herkunft und wollte ein Muslim bleiben. Die Geschichte des osmanischen Prinzen Osman, der von nun an eine christliche Erziehung bekam, wird in dem Buch "Sultanssohn – Dominikaner – Märtyrer" erzählt.
Mehr noch: Es werden die Ergebnisse der zahlreichen jüngeren und älteren wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zusammengetragen, die "Das rätselhafte Leben des Padre Ottomano" beleuchten und nun erstmals in deutscher Sprache vorliegen.
Ob der Leser am Ende die ganze Wahrheit über die schillernde Persönlichkeit des Ottomano erfahren hat, bleibt jedoch offen. Denn der Autor stellt zwar Fakten zusammen. Doch Ungereimtheiten und von ihm selbst gestellte Fragen bleiben letztlich unbeantwortet.
Eines Tages geschah den Schilderungen zufolge etwas unerwartetes. Im Alter von ungefähr zwölf Jahren legte Osman "seine Scheu gegenüber dem katholischen Christentum" ab. Er entschied sich, Christ zu werden, und äußerte den Wunsch, die Geheimnisse des Glaubens kennenzulernen. Zu Beginn des Jahres 1656 wurde er getauft und wählte dabei selbst seinen Taufnamen: Domenico di San Tommaso. Noch im selben Jahr wurde er gefirmt.
Sein Leben als Schüler im Dominikanerkloster muss ihm gefallen haben, denn er will auch Dominikaner werden. "Fra Domenico di San Tommaso" wird Novize und legt seine feierlichen Gelübde ab. Bald setzt er seine Studien im Ausland fort. Er kommt nach Neapel und Rom, wo er von Papst Alexander VII. (1655–1667) empfangen wird. 1665 besuchte er Paris und wird von König Ludwig XIV. empfangen.
Während der osmanischen Belagerung von Candia, der damaligen Hauptstadt von Kreta, fungiert Padre Ottomano, wie "Fra Domenico di San Tommaso" auch genannt wird, im Jahr 1668 als Mittelsmann, um die über 20 Jahre andauernde Belagerung der Osmanen zu beenden.
1675 wird er Prior des Dominikanerklosters Valletta und Generalvikar aller Dominikanerklöster in Malta. Seit dem Frühjahr 1676 ist er bei schlechter Gesundheit. Die unbekannte Krankheit schreitet voran und führt am 25. Oktober desselben Jahres zu seinem Tod.
Spätestens an dieser Stelle, da Ottomano tot ist, stellt sich die Frage, wieso im Buchtitel seinem Protagonisten das Attribut "Märtyrer" zugewiesen bekommt. Tatsächlich erfährt der Leser bereits im Prolog des Buches: "Von den Malteserrittern gefangener und auf den Pfad der Rechtgläubigkeit gebrachter Sohn eines Sultans, Dominikanermönch im Kampf gegen das osmanische Reich, schließlich christlicher Märtyrer im Einsatz gegen die Pest". Doch Padre Ottomano starb nicht an der Pest.
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Der Autor unseres Buches, der Historiker, Dozent und Publizist Dr. Thomas Freller, der in seinem Buchtitel Padre Ottomano noch einen "Märtyrer" nennt, schreibt über dessen Sterben, dass er, als er sich von "einer allgemeinen Erschöpfung" – keiner vermeintlichen "Beulenpest" – erholte, in eine andere Stadt gebracht wurde, in ein Haus, wo bessere Luft seinem Gesundheitszustand erträglicher sein sollte. Obwohl ihm ein Arzt zur Seite stand, habe sich sein Gesundheitszustand noch weiter verschlechtert. Ottomano bekam die Sterbesakramente, und "um ein Uhr nachts verstarb der Padre, im geschätzten Alter von nur 34 Jahren, im Kreis seiner Mitbrüder".
Aufgrund seiner angenommenen Herkunft wurde "Padre Ottomano" von vielen europäischen Fürsten und Herrschern empfangen. Aber war er wirklich der Sohn des Sultans Ibrahim I.? Oder war er womöglich ein – freiwilliger oder unfreiwilliger – Betrüger? Dies ist die beständig wiederkehrende Frage des Buches.
Padre Ottomano sei als Figur der "schillerndste Vertreter katholischer Propaganda des 17. Jahrhunderts", so der Autor. Er sieht ihn geradezu als eine fremdgesteuerte Marionette, wenn er am Schluss seines Buches feststellt, dass ihm klar wurde, dass sich "viele ältere und moderne Historiker und Kulturwissenschaftler" in ihren "Darstellungen und Wertungen des Lebens und der Aktivitäten des Padre Ottomano häufig von Interessen von Verbänden, Orden und Gesellschaftsgruppen leiten ließen". Allein, auch dafür fehlen schlüssige Beweise.
Nach Auffassung des Autors wurde der Dominikaner offenbar muslimischer Herkunft von den Machthabern in Kirche und Welt überall dorthin geschickt, wo man seine Talente, seine vermeintliche Herkunft und seine Position gebrauchen konnte. In seinem Resümee notiert der Autor: "Die letzten Jahren seines Lebens geben vielleicht wieder den Blick auf die wahre Natur des Charakters von Osman bzw. Padre Ottomano frei; auf einen sich der permanenten Fremdbestimmung weitgehend entledigenden, zurückgezogen lebenden, sich seinen spirituellen Interessen widmenden Einzelgänger, einer Berühmtheit wider willen."
Diese Aussagen, die nochmal unterstellen, Padre Ottomano wäre lediglich ein Werkzeug der Mächtigen gewesen, sind zwar letztendlich unbewiesen, doch schmälern sie keineswegs Lesung und Studium des Buches. Denn Freller erschließt vorhandene Quellen und nimmt seine Leser mit hinein in eine interessante, aber schwierige kirchen- und weltpolitische Epoche.
Thomas Freller, "Sultanssohn - Dominikaner – Märtyrer. Das rätselhafte Leben des Padre Ottomano" ist im EOS Verlag erschienen und hat 324 Seiten.