Im Wortlaut: Die Pfingst-Predigt von Papst Franziskus

CNA Deutsch dokumentiert den vollen Wortlaut, wie ihn der Vatikan veröffentlicht hat.

Papst Franziskus predigt am Pfingstsonntag, 23. Mai 2021, im Dom St. Peter im Vatikan.
EWTN News/Daniel Ibáñez/Vatican Pool

»Der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde« (Joh 15,26). Mit diesen Worten verspricht Jesus den Jüngern den Heiligen Geist, die endgültige Gabe, die Gabe der Gaben. Er verwendet dabei einen besonderen, einen geheimnisvollen Ausdruck: Paraklet – Beistand. Gehen wir heute etwas auf dieses Wort ein, das nicht einfach zu übersetzen ist, weil es mehrere Bedeutungen enthält. Paraklet bedeutet im Wesentlichen zwei Dinge: Tröster und Anwalt.

1. Der Paraklet ist der Tröster. Wir alle suchen Trost, besonders in schwierigen Zeiten wie der, die wir wegen der Pandemie gerade durchmachen. Doch oft suchen wir Trost nur in irdischen Dingen, die bald wieder vergehen. Es ist ein Trost für den Moment. Jesus schenkt uns heute den Trost des Himmels, den Geist, den »höchsten Tröster« (Pfingstsequenz). Was ist der Unterschied? Die Tröstungen der Welt sind wie Betäubungsmittel. Sie bewirken eine kurzzeitige Erleichterung, aber sie heilen nicht das tieferliegende Übel, das wir in uns tragen. Sie lenken ab und schaffen ein gutes Gefühl, aber sie heilen nicht von der Wurzel her. Sie wirken an der Oberfläche, auf der Ebene der Sinne und schwerlich auf der des Herzens. Denn nur er, der uns zeigt, dass wir geliebt sind, so wie wir sind, gibt dem Herzen Frieden. Eben dies tut der Heilige Geist, die Liebe Gottes: er steigt in uns hinab, als Geist wirkt er in unserem Geist. Er füllt »Herz und Angesicht«, er ist der »Gast, der Herz und Sinn erfreut« (ebd.). Er ist die Zärtlichkeit Gottes, der uns nicht allein lässt; denn bei jemandem zu sein, der alleine ist, vermittelt bereits einen gewissen Trost.

Schwester, Bruder, wenn du die Dunkelheit der Einsamkeit spürst, wenn du einen Felsbrocken in dir trägst, der die Hoffnung erstickt, wenn du eine brennende Wunde in deinem Herzen hast, wenn du keinen Ausweg siehst, dann öffne dich dem Geist. Dieser, so schrieb der heilige Bonaventura, »bringt dort, wo es größere Trübsal gibt, größeren Trost. In der Welt verhält es sich umgekehrt. Sie tröstet und schmeichelt in guten Zeiten, in schlechten Zeiten aber verspottet und verurteilt sie« (Predigt in der Oktav von Christi Himmelfahrt). So ist es in der Welt, das ist es, was der feindliche Geist, der Teufel, vor allem tut: Zuerst schmeichelt er uns und macht, dass wir uns unbesiegbar fühlen – die Schmeicheleien des Teufels lassen die Eitelkeit wachsen –, dann schlägt er uns nieder und überlässt uns der Verzweiflung: er spielt mit uns. Er tut alles, um uns zu Fall zu bringen, während der Geist des Auferstandenen uns aufrichten will. Schauen wir uns die Apostel an: Sie waren an jenem Morgen allein, sie waren allein und verloren, sie waren aus Furcht hinter verschlossenen Türen, sie lebten in Angst und all ihre Schwächen und ihr Versagen, ihre Sünden, standen ihnen vor Augen: sie hatten Jesus Christus verleugnet. Die Jahre, die sie mit Jesus verbrachten, hatten sie nicht verändert, sie blieben weiter die Gleichen. Dann empfangen sie den Heiligen Geist und alles ändert sich: Die Probleme und Fehler bleiben dieselben, aber sie fürchten sich nicht mehr davor, weil auch vor denen, die ihnen Schaden zufügen wollen, keine Angst mehr haben. Sie fühlen sich innerlich getröstet und wollen den Trost Gottes nach außen weitergeben. Vorher hatten sie Angst, jetzt haben sie nur noch Angst davor, die Liebe, die sie empfangen hatten, nicht zu bezeugen. Jesus hatte es prophezeit: Der Geist wird »Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr legt Zeugnis ab« (Joh 15,26-27).

Genen wir einen Schritt weiter. Auch wir sind berufen, im Heiligen Geist Zeugnis zu geben, Parakleten zu werden, also einander beizustehenJa, der Geist verlangt danach, dass wir seinem Trost konkret werden lassen. Wie können wir das machen? Nicht mit großen Reden, sondern indem wir zu Nächsten werden; nicht mit Floskeln, sondern durch Gebet und Nähe. Denken wir daran, dass die Nähe, das Mitgefühl und die Zärtlichkeit den Stil Gottes ausmachen. Der Paraklet sagt der Kirche, dass heute die Zeit des Trostes ist; die Zeit der freudigen Verkündigung des Evangeliums und nicht so sehr des Kampfes gegen das Heidentum; es ist die Zeit, die Freude des Auferstandenen weiterzugeben, und nicht die Zeit, das Drama der Säkularisierung zu beklagen; es ist die Zeit, Liebe über die Welt auszugießen, ohne der Verweltlichung zu erliegen. In dieser Zeit gilt es vor allem, die Barmherzigkeit bezeugen, und nicht so sehr, Regeln und Normen einzuimpfen. Es ist die Zeit des Parakleten! Es ist die Zeit der Freiheit des Herzens im Parakleten.

2. Der Paraklet ist des Weiteren auch der Anwalt. Zur Zeit Jesu übte der Anwalt seine Funktion nicht so aus wie heute: Er sprach nicht anstelle des Angeklagten, sondern stand meist neben ihm und sagte ihm die Argumente zur Verteidigung ins Ohr. Das tut auch der Beistand, »der Geist der Wahrheit« (V. 26), der nicht an unsere Stelle tritt, sondern uns vor der Falschheit des Bösen schützt, indem er uns Gedanken und Gefühle eingibt. Er tut dies sanft und ohne uns zu zwingen: Er bietet sich an, drängt sich aber nicht auf. Der Geist der Lüge, der Böse, tut das Gegenteil: Er versucht, uns zu zwingen, er will uns glauben machen, dass wir nicht anders können als seinen bösen Einflüsterungen und den lasterhaften Trieben nachzugeben. Versuchen wir also, drei Empfehlungen anzunehmen, die typisch sind für den Parakleten, unseren Anwalt. Es sind drei grundlegende Gegenmittel gegen die entsprechenden, heute so weit verbreiteten, Versuchungen.

Der erste Rat des Heiligen Geistes lautet: „Lebe in der Gegenwart“. In der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Der Versuchung, sich von der Bitterkeit und Nostalgie der Vergangenheit lähmen zu lassen, oder sich auf die Ungewissheiten des Morgen auszurichten und sich von Zukunftsängsten zu stark beeinflussen zu lassen, begegnet der Paraklet mit dem Primat des Heute. Der Geist erinnert uns an die Gnade der Gegenwart. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt für uns: Jetzt, da, wo wir sind, ist der einzigartige und unwiederholbare Zeitpunkt, um Gutes zu tun, um das Leben zu einer Gabe zu machen. Lasst uns in der Gegenwart leben!

Dann rät der Paraklet: „Sucht das Ganze“. Das Ganze, nicht den Teil. Der Geist formt nicht verschlossene Individuen, sondern er gründet uns als Kirche in der vielgestaltigen Vielfalt der Charismen, in einer Einheit, die niemals Uniformität ist. Der Paraklet betont den Primat des Ganzen. Der Geist wirkt vorzugsweise im Ganzen, in der Gemeinschaft, und bringt dort Neues. Schauen wir uns die Apostel an. Sie waren sehr unterschiedlich: Unter ihnen gab es zum Beispiel Matthäus, einen Zöllner, der mit den Römern kollaboriert hatte, und Simon, den Zeloten, der gegen sie war. Es gab gegensätzliche politische Ideen, unterschiedliche Vorstellungen von der Welt. Aber als sie den Geist empfingen, lernten sie, nicht ihrer menschlichen Sichtweise den Vorrang zu geben, sondern dem Ganzen Gottes. Wenn wir heute auf den Geist hören, werden wir uns nicht auf Konservative und Progressive, Traditionalisten und Erneuerer, rechts und links konzentrieren: Wenn dies die Kriterien sind, bedeutet das, dass der Geist in der Kirche in Vergessenheit gerät. Der Paraklet drängt zur Einheit, zur Eintracht, zur Harmonie in der Verschiedenheit. Er lässt erkennen, dass wir demselben Leib angehören, dass wir Brüder und Schwestern sind. Lasst uns das Ganze suchen! Doch der Feind will, dass die Verschiedenheit zu einem Gegensatz wird. Deshalb macht er die verschiedenen Ansichten zu Ideologien. Du aber sag „Nein“ zu den Ideologien, sag „Ja“ zum Ganzen!

Schließlich der dritte wichtige Rat: „Gib Gott den Vorzug gegenüber deinem eigenen Ich.“ Das ist der entscheidende Schritt im geistlichen Leben, bei dem es nicht um das Sammeln von eigenen Verdiensten und Werken geht, sondern um eine demütige Annahme Gottes. Der Paraklet betont den Vorrang der Gnade. Nur wenn wir leer werden von uns selbst, machen wir Platz für den Herrn; nur wenn wir uns ihm anvertrauen, finden wir wieder zu uns selbst; nur wenn wir arm werden im Geist, werden wir reich an Heiligem Geist. Dies gilt auch für die Kirche. Wir retten niemanden, nicht einmal uns selbst, mit unseren eigenen Kräften. Wenn wir unseren Projekten, unseren Strukturen und unseren Reformplänen den Vorrang geben, verfallen wir in einen Funktionalismus, in ein Leistungsdenken, in eine reine Horizontalität, und so werden wir keine Früchte bringen. Die „ismen“ sind Ideologien, die trennen und spalten. Die Kirche ist keine menschliche Organisation – sie besteht aus Menschen, aber sie ist nicht nur eine menschliche Organisation –, die Kirche ist der Tempel des Heiligen Geistes. Jesus hat das Feuer des Geistes auf die Erde gebracht, und die Kirche reformiert sich mit der Salbung, mit der Selbstlosigkeit der Salbung durch die Gnade, mit der Kraft des Gebets, mit der Freude der Mission, mit der entwaffnenden Schönheit der Armut. Setzen wir Gott an die erste Stelle!

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Heiliger Geist, du unser Beistand, tröste unsere Herzen. Mach uns zu Missionaren deines Trostes, zu Anwälten der Barmherzigkeit in der Welt. Du, unser Fürsprecher, liebevoller Ratgeber der Seele, mach uns zu Zeugen des Heute Gottes, zu Propheten der Einheit für die Kirche und die Menschheit, zu Aposteln, die auf deine Gnade gegründet sind, die alles erschafft und alles erneuert. Amen.

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