Speyer - Donnerstag, 13. Januar 2022, 6:00 Uhr.
Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen eine Ordensfrau aus Speyer eingestellt. Der Schwester war zu Last gelegt worden, für den sexuellen Misbrauch eines Minderjährigen mitverschuldet zu haben.
Nach Angaben des Leitenden Oberstaatsanwalts habe der mutmaßliche Betroffene – heute 36-jährig – zwar beteuert, er sei im Kinderheim der Niederbronner Schwestern in Speyer geschlagen und gedemütigt worden, zum sexuellen Missbrauch kam es jedoch nicht. Stattdessen habe er sich durch die Berichterstattung "mitreißen" lassen.
CNA Deutsch hatte im Sommer vergangenen Jahres berichtet, dass mutmaßliche Zeugen behauptet hatten, die Niederbronner Schwestern hätten gegen Geldzahlungen sogenannte "Sexpartys" organisiert, bei denen es zu Vergewaltigungen durch mehrere Priester gekommen sei. Dabei wurden auch gegen den verstorbenen Speyerer Generalvikar Rudolf Motzenbäcker Missbrauchsvorwürfe erhoben. Wie eine Recherche der "Herder-Korrespondenz" jedoch zeigte, gibt es an den Behauptungen der mutmaßlichen Opfer erhebliche Zweifel.
Oberstaatsanwalt: Opfer hat sich von Berichterstattung "mitreißen" lassen
Im Oktober 2021 hatte ein heute 36-jähriger Mann in einem Zeitungsinterview über wiederholten sexuellen Missbrauch ab 1995 berichtet. Mehrere Medien berichteten darüber, unter anderem auch der SWR.
Gestern meldete der SWR schließlich, dass in diesem speziellen Fall der Leitende Oberstaatsanwalt in Frankenthal, Hubert Ströber, am Dienstag erklärte, dass der Mann seine Aussage hinsichtlich des behaupteten sexuellen Missbrauchs durch die Ordensfrau geändert habe. Er sei zwar von ihr körperlich missbrauch, "geschlagen und gedemütigt" worden, sexuelle Übergriffe habe es jedoch nicht gegeben. Der 36-Jährige habe sich offenbar durch die Berichterstattung "mitreißen" lassen, wird Oberstaatsanwalt Ströber zitiert. Die Vorwürfe der Demütigung und Misshandlung seien jedoch mittlerweile verjährt.
Kein Glaubwürdigkeitsgutachten
Zu den Vorwürfen, die Niederbronner Schwestern hätten gar "Sexparties" veranstaltet, sorgte im Sommer eine Recherche der "Herder-Korrespondenz" für Aufsehen, die offenlegte, dass es – anders als vom Bistum Speyer angenommen – kein "wissenschaftliches Glaubwürdigkeitsgutachten" gegeben hat, mit dem die Verlässlichkeit der Aussagen des Betroffenen hätten beurteilt werden können.
Zuvor hatte aber Bischof Karl-Heinz Wiesemann sich bereits dazu entschieden, unter anderem auch den Namen des beschuldigten, mittlerweile verstorbenen Generalvikars Rudolf Motzenbäcker öffentlich zu machen und erklärt, das Sozialgericht Darmstadt habe "nach eingehender Untersuchung und gestützt auf ein wissenschaftliches Glaubwürdigkeitsgutachten" festgestellt, dass die Taten an dem ehemaligen Heimkind stattgefunden hätten.
Gegenüber der "Herder Korrespondenz" hatte die Richterin Andrea Hermann allerdings erklärt, es habe lediglich "ein psychiatrisches Gutachten vorgelegen – kein Glaubwürdigkeitsgutachten".
Davor hatte unter anderem die Katholische Nachrichtenagentur "KNA" im Dezember 2020 – gestützt auf das angebliche Glaubwürdigkeitsgutachten – berichtet, die Nonnen der Niederbronner Schwestern hätten in den 1960er Jahren Betroffen zu Motzenbäcker "regelrecht hingeschleppt" und sogar "daran verdient". Bei den "Sexpartys" seien neben dem damaligen Generalvikar auch Politiker involviert gewesen.
Vorwurf gegen Bischof Wiesemann: Niederbronner Schwestern als "Kollateralschaden"?
Bischof Wiesemann hielt diese Schilderungen für wahr, da sie durch ein angebliches "Glaubwürdigkeitsgutachten gestützt wurden, schrieb die "Herder-Korrespondenz" in ihrer am 29. Juni 2021 erschienenen Recherche. "Doch hier war Wiesemann einem Missverständnis erlegen", so Benjamin Leven, der Autor, "denn ein solches Gutachten hatte das Gericht überhaupt nicht eingeholt. Richterin Hermann bestätigt dies.
Weitere angebliche Beweise – darunter ein Auszug aus dem Kassenbuch, der die Existenz der "sexuellen Dienstleistungen" belegen soll, der später allerdings von Gutachtern als Fälschung entlarvt wird – stellten sich nach Nachforschungen der "Herder-Korrespondenz" ebenfalls als nicht verwertbar heraus. Benjamin Leven schreibt wörtlich:
"Bischof Karl-Heinz Wiesemann wollte transparent mit den Vorwürfen gegen den vormaligen Generalvikar seines Bistums umgehen. Das Schicksal der Niederbronner Schwestern war dabei der Kollateralschaden. Sie müssen sich nun in der Öffentlichkeit gegen Vorwürfe verteidigen, für die es keine Nachweise gibt, und sehen sich gezwungen, ihrerseits Indizien zu präsentieren, die gegen diese Vorwürfe sprechen."
Bischof Wiesemann hatte sich Ende Januar 2021 – also etwa einen Monat nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen die Niederbronner Schwestern – "auf ärztlichen Rat" hin eine siebenmonatige Auszeit genommen. Seit August 2021 hat er seinen Dienst wieder aufgenommen (CNA Deutsch hat berichtet).
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