Charkiw - Donnerstag, 20. Oktober 2022, 9:00 Uhr.
Am ersten Tag der russischen Invasion wurde Bischof Vasyl Tuchapets vom Lärm der Explosionen geweckt. Die Bombardierung Charkiws hatte begonnen. Nun dauert sie schon fast acht Monate an. Tuchapets lief zu seiner Kathedrale, dem Zentrum der griechisch-katholischen Gläubigen in der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Er sah Menschen in Panik, die versuchten, irgendwie zum Bahnhof zu kommen – nur weg aus dieser Hölle.
Bischof Tuchapets tat das Gegenteil. Seine erste Anweisung nach Kriegsbeginn war: Alle Priester seiner Diözese bleiben in ihren Gemeinden. Sicher ein großes Opfer: Viele Priester der griechisch-katholischen Kirche sind verheiratet und haben Kinder. Sie mussten nun ihre Familien in Sicherheit bringen – ohne zu wissen, ob sie ihre Lieben jemals wiedersehen. Tuchapets wusste, was er verlangte, ist aber dennoch überzeugt: „Die Priester sollen keine Angst haben. Wenn sie weggingen, wäre das ein großer Verlust für alle.“
Kirche bleibt den Menschen nahe
Diese Nähe der Kirche zu den Menschen gerade jetzt wüssten viele Menschen zu schätzen, erzählt der Bischof dem weltweiten katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ (ACN). Menschen, die er noch nie in der Kirche gesehen hatte, sprachen ihn an: „Danke, dass Sie bei uns geblieben sind.“
Das griechisch-katholische Exarchat von Charkiw wurde 2014 errichtet. Es umfasst ein Gebiet etwa in der Größe Österreichs. Hier, im Osten der Ukraine, gehören die meisten Menschen der orthodoxen Kirche an. Auch die atheistische Politik der früheren Sowjetunion wirkt hier noch stärker nach als anderswo.
Die Türen der Kirche stünde im Krieg mehr denn je für alle offen, betont Bischof Tuchapets. Jeden Tag kämen Menschen zu ihm. Sie suchten nicht nur humanitäre Hilfe. „Sie wollen beten. Sie haben Fragen und suchen nach Antworten. Manche wollen nach Jahren heiraten oder ihr Kind taufen lassen.“
Überhaupt, die Kinder: Sie hätten Monate allein in Luftschutzkellern, Bunkern oder Wohnungen verbracht – sofern die noch stehen. In der Kathedrale und den angrenzenden Räumen organisieren Ordensfrauen jetzt Sport, Spiele und Religionsunterricht. Wichtig ist auch das Programm „Ferien mit Gott“, das Kindern ein paar unbeschwerte Tage ermöglichen möchte. „Kirche in Not“ unterstützt diese Feriencamps seit langem. In Kriegszeiten wurde das Angebot nicht gestoppt, sondern im Gegenteil erhöht.
„Wir brauchen weiterhin Hilfe“
Gottesdienst feiert Bischof Tuchapets mit seiner Gemeinde in der Unterkirche seiner Kathedrale. Der Hauptraum wird im Krieg als Warenlager genutzt. Schon kurz nach Kriegsbeginn trafen die ersten Hilfslieferungen in Charkiw ein. Jeden Tag sortieren Priester, Ordensfrauen und Freiwillige Kleidung, Medikamente, Hygieneartikel, Kindersachen und mehr.
Es geht zu wie einem Bienenschwarm: Bis zu 2000 Menschen kommen regelmäßig in die Kathedrale, berichtet der Bischof. Die Ausgabe von Hilfsgütern musste jedoch zuletzt von drei auf einen Tag in der Woche reduziert werden: Der bevorstehende Winter zwingt dazu, die Waren stärker zu rationieren. „Der Winter wird schwierig. Wir brauchen weiterhin Hilfe“, betont Bischof Tuchapets. Besonders wichtig seien jetzt Medikamente: Viele Menschen würden jetzt mit zunehmender Kälte krank. Zahlreiche Menschen strömten nach wie vor aus den Dörfern in die Stadt. Gerade die ländlichen Gebiete sind schwer zerstört; die Situation dort ist noch unsicherer als in Charkiw.
Acht Monate Krieg und niemand kann sagen, was die Zukunft bringt. Der griechisch-katholische Bischof ist dennoch zuversichtlich: „Unsere Infrastruktur funktioniert nach wie vor. Wir bleiben nahe bei den Menschen und wir bleiben zusammen. Möge der Herr Sie für alle Unterstützung segnen, die für die Arbeit unserer Kirche so wichtig ist!“
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