Während Militärdiktatur: Papst Franziskus spricht über Fall zweier Jesuiten in Argentinien

Papst Franziskus am 8. März 2023.
Daniel Ibáñez / CNA

Welche Rolle spielte der spätere Papst Franziskus während der Militärdiktatur in Argentinien? Diese 2013 aufgekommene Frage hat der Pontifex wähenrd eines eineinhalbstündigen Gespräch mit Jesuiten in Ungarn am 29. April 2023 beantwortet. 

Genauer ging es um den bekannten Fall zweier entführter Jesuitenpriester während seiner Zeit als Provinzial der Jesuiten in Argentinien. Franziskus sprach darüber in Budapest im Rahmen seiner 41. Apostolischen Reise als Oberhaupt der Katholischen Kirche.

Der Pontifex, der bekanntlich selbst dem Jesuitenorden angehört, trifft sich während seiner Papstreisen stets auch mit seinen Mitbrüdern. 

Der vollständige Text des Gesprächs in Ungarn wurde am 9. Mai 2023 in der von den Jesuiten herausgegebenen Zeitschrift Civiltà Cattolica veröffentlicht.

"Sag's dem Papst"

 

ACI Stampa, die italienische Partner-Agentur von CNA Deutsch, sprach bereits vorab mit Quellen über das Treffen und bestätigte, dass die ungarischen Jesuiten eine Kampagne "Sag es dem Papst" gestartet hatten, um alle Fragen zu sammeln, die die Ungarn dem Papst stellen wollten.

Das Ergebnis war eine Liste von 150 Fragen, die teils bei öffentlichen Veranstaltungen, teils bei der privaten Begegnung mit den ungarischen Jesuiten gestellt wurden.

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Der Papst sprach darüber, wie man die Berufungskrise überwinden könne, wie man heute Priester werde, und wie es um das Christentum in Europa stehe.

Doch Thema war auch die Entführung zweier Jesuiten, von denen einer - der in Ungarn geborene Pater Franz Jálics - am 14. Februar 2021 starb. Jálics war zusammen mit dem in Chile geborenen Jesuiten Orlando Yorio durch die Entführung und Folter durch das argentinische Militärregime in die Schlagzeilen geraten, in dessen Gewalt sie fünf Monate lang waren.

Das Schicksal der beiden Jesuiten und die Rolle, die Pater Jorge Mario Bergoglio als Provinzial dabei spielte, schlug in den ersten Tagen des Pontifikats hohe Wellen, als - von Jálics selbst zurückgewiesene - Vorwürfe laut wurden, Bergoglio habe die Priester während des blutigen und legendären "Schmutzigen Krieges" in Argentinien an das Militärregime von Videla verraten.

Als sich die Kontroverse zuspitzte, entlastete Jálics Bergoglio im März 2013 in einer offiziellen Erklärung, die auf der Website der deutschen Jesuitenprovinz veröffentlicht wurde, von jeglicher Verantwortung: "Bergoglio hat Orlando Yorio und mich nicht verraten".

Papst Franziskus selbst traf am 5. Oktober 2013 mit Jálics zusammen. Yorio, der nie wieder zu den Jesuiten zurückkehrte, starb im Jahr 2000, ohne seine Meinung über die Arbeit Bergoglios geändert zu haben.

Papst Franziskus' Darstellung des Verschwindens

Auch wenn die Vorwürfe gegen den Papst nicht haltbar waren, nutzte Papst Franziskus die Gelegenheit, den ungarischen Jesuiten seine Sicht der Dinge darzulegen. In der Diskussion bezeichnete er Pater Ferenc Jálics als seinen "geistlichen Vater und Beichtvater" während seines ersten und zweiten Theologiestudiums.

"In dem Viertel, in dem er arbeitete, gab es eine Guerilla-Zelle. Aber die beiden Jesuiten hatten nichts mit ihnen zu tun: Sie waren Seelsorger, keine Politiker. Sie waren unschuldig, als sie gefangen genommen wurden", schreibt Civiltà Cattolica.

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"Die Militärs konnten ihnen nichts vorwerfen, aber sie mussten neun Monate im Gefängnis verbringen und Drohungen und Folter über sich ergehen lassen. Dann wurden sie freigelassen, aber das hinterließ tiefe Wunden. Jálics kam sofort zu mir und wir sprachen miteinander. Ich habe ihm geraten, zu seiner Mutter in die USA zu gehen. Die Situation war einfach zu verwirrend und unsicher."

"Dann kam die Legende auf, ich hätte sie der Polizei übergeben, damit sie eingesperrt werden. Sie sollten wissen, dass die argentinische Bischofskonferenz vor einem Monat zwei Bände mit allen Dokumenten über die Vorgänge zwischen der Kirche und den Militärs veröffentlicht hat. Sie werden dort alles finden.

Papst Franziskus sprach dann über den Prozess, der folgte, als die Regierungstruppen ihm angeblich "den Kopf abschlagen wollten" und seine Handlungen in Frage stellten.

"Er [der Prozess] dauerte vier Stunden und zehn Minuten. Einer der Richter befragte mich sehr eindringlich über mein Verhalten. Ich antwortete immer wahrheitsgemäß", erinnert sich der Pontifex.

"Am Ende wurde meine Unschuld festgestellt. Aber im Urteil wurde Jálics kaum erwähnt, sondern andere Fälle von Menschen, die um Hilfe gebeten hatten."

Jálics' Darstellung des Verschwindens

"Früher neigte ich selber zu der Ansicht, dass wir Opfer einer Anzeige geworden sind. Ende der 90er Jahre aber ist mir nach zahlreichen Gesprächen klar geworden, dass diese Vermutung unbegründet war", sagte Jalics laut Medienberichten im Jahr 2013.  

Weiter berichtete Jálics demnach, dass er seit 1957 in Buenos Aires lebte, "und 1974 zog ich mit einem Mitbruder, bewegt von dem tiefen Wunsch, das Evangelium zu leben und die schreckliche Armut zu sehen, mit der Erlaubnis von Erzbischof Aramburu und dem damaligen Provinzial Pater Jorge Mario Bergoglio in eine Favela, ein Armenviertel der Stadt. Von dort aus haben wir unsere Lehrtätigkeit an der Universität fortgesetzt.

Pater Jálics fügt hinzu: "In dieser bürgerkriegsähnlichen Situation tötete die Militärjunta in ein bis zwei Jahren etwa 30.000 Menschen, linke Guerillas und unschuldige Zivilisten. Wir beide in der Favela hatten weder mit der Junta noch mit der Guerilla Kontakt. Aufgrund des damaligen Informationsmangels und gezielter Falschinformationen wurde unsere Position auch in der Kirche missverstanden. In dieser Zeit verloren wir den Kontakt zu einem unserer Laienmitarbeiter, der sich der Guerilla angeschlossen hatte. Als er neun Monate später von Soldaten der Junta verhaftet und verhört wurde, erfuhren sie, dass er mit uns zusammengearbeitet hatte. Daraufhin wurden wir verhaftet, in der Annahme, auch wir hätten etwas mit der Guerilla zu tun".

Dann, "nach einem fünftägigen Verhör, verabschiedete sich der Offizier, der das Verhör geführt hatte, mit den Worten: 'Patres, ihr seid unschuldig und ich werde mein Bestes tun, um euch in die Armenviertel zurückzubringen. Doch trotz dieses Versprechens blieben wir, für uns unerklärlich, weitere fünf Monate eingesperrt, mit verbundenen Augen und gefesselten Händen".

Pater Jálics stellte dann klar, dass er "zur Rolle von Jorge Mario Bergoglio keine Stellung" nehmen könne.

"Nach unserer Freilassung verließ ich Argentinien. Erst Jahre später hatten wir Gelegenheit, mit Pater Bergoglio, der inzwischen zum Erzbischof von Buenos Aires ernannt worden war, über diese Ereignisse zu sprechen. Nach diesem Gespräch haben wir eine öffentliche Messe gefeiert und uns feierlich umarmt. Ich bin mit diesen Ereignissen versöhnt und diese Geschichte ist für mich abgeschlossen".

In einer "ergänzenden" Erklärung bekräftigte Jálics dann: "Orlando Yorio und ich wurden nicht von Pater Bergoglio angezeigt. Wie ich in meiner früheren Erklärung deutlich gemacht habe, sind wir wegen einer Katechetin verhaftet worden, die zuerst mit uns zusammenarbeitete und später in die Guerilla eintrat (aufgrund eines Übersetzungsfehlers wurde sie in der vorigen Erklärung als Mann bezeichnet). Dreiviertel Jahre lang haben wir sie nicht gesehen. Zwei oder drei Tage nach ihrer Verhaftung wurden dann auch wir festgenommen. Der Offizier, der mich verhört hat, bat um meine Dokumente. Als er sah, dass ich in Budapest geboren war, hielt er mich für einen russischen Spion."

Weiter hieß es damals: "In der argentinischen Jesuitenprovinz und in kirchlichen Kreisen wurden schon in den Jahren davor falsche Informationen verbreitet, dass wir darum ins Elendsviertel gezogen sind, weil wir selber zur Guerilla gehörten. Das war aber nicht der Fall. Meiner Vermutung nach sind diese Gerüchte aber der Grund, weswegen wir nicht sofort freigelassen worden sind."

Und abschließend: "Früher neigte ich selber zu der Ansicht, dass wir Opfer einer Anzeige geworden sind. Ende der 90er Jahre aber ist mir nach zahlreichen Gesprächen klar geworden, dass diese Vermutung unbegründet war. Es ist daher falsch zu behaupten, dass unsere Gefangennahme auf die Initiative von Pater Bergoglio geschehen ist."

Den Fall zu den Akten legen?

Jálics' Worte vom März 2013 schlossen medial den "Fall Bergoglio"  kurz nach dessen Wahl zum Papst vor zehn Jahren ab.

Aber die Erzählung des ehemaligen Provinzials in Argentinien vor wenigen Tagen in Budapest liefert neue Details über die Ereignisse des Kapitels der argentinischen Geschichte von 1976 bis 1983.

Während seine Handlungen - einschließlich des persönlichen Besuchs im Gefängnis, um den Chef der argentinischen Militärjunta, Jorge Rafael Videla, um die Freilassung seiner Mitbrüder zu bitten - in Argentinien veröffentlicht wurden, hat Papst Franziskus 2016 auch seine Absicht geäußert, die Archive des Vatikans über die Zeit der Diktatur in Argentinien für die Einsichtnahme zu öffnen.

Ob die Archive nun geöffnet werden oder nicht: Die aktuellen Worte des Papstes sagen viel über den Rest der "schmerzlichen Angelegenheit" der Verhaftung von Jálics und Yorio aus.

 

Übersetzt, ergänzt und redigiert aus dem Original der CNA Deutsch-Schwesteragentur.