Lissabon - Mittwoch, 2. August 2023, 14:15 Uhr.
Nach seinem Höflichkeitsbesuch bei Präsident Marcelo Rebelo de Sousa hat Papst Franziskus am Mittag im „Centro Cultural de Belém“ in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon eine Rede vor Vertretern von Regierung und Zivilgesellschaft sowie vor den Mitgliedern des diplomatischen Korps gehalten. Dabei äußerte er sich auch zum Thema Lebensschutz und kritisierte indirekt die kürzlich erfolgte Legalisierung der Euthanasie in Portugal.
„Ich freue mich, in Lissabon zu sein, einer Stadt der Begegnung, die verschiedene Völker und Kulturen umfasst und die in diesen Tagen noch universaler wird; sie wird gewissermaßen zur Hauptstadt der Welt“, sagte Franziskus. „Das passt gut zu ihrem multiethnischen und multikulturellen Charakter […] und es zeigt den kosmopolitischen Charakter Portugals, der in dem Wunsch verwurzelt ist, sich der Welt zu öffnen und sie zu erkunden, indem man zu neuen und weiteren Horizonten aufbricht.“
Als „westlichste Hauptstadt Kontinentaleuropas“ erinnere Lissabon „an die Notwendigkeit, weitreichendere Wege der Begegnung zu eröffnen, wie es Portugal bereits tut, insbesondere mit Ländern anderer Kontinente, die dieselbe Sprache sprechen“. Er hoffe, „dass der Weltjugendtag für den ‚alten Kontinent‘ ein Impuls weltweiter Öffnung wird. Denn die Welt braucht Europa, das wahre Europa: Sie braucht seine Rolle als Brückenbauer und als Friedensstifter in dessen östlichem Teil, im Mittelmeerraum, in Afrika und im Nahen Osten.“
„Im Ozean der Geschichte befinden wir uns gerade in einer stürmischen Situation und es ist das Fehlen eines mutigen Friedenskurses spürbar“, konstatierte das Kirchenoberhaupt, um dann zu fragen: „Welchen Kurs verfolgst du, Westen? Deine Technologie, die den Fortschritt markiert und die Welt globalisiert hat, reicht allein nicht aus. Noch weniger reichen die fortschrittlichsten Waffen, die keine Investitionen für die Zukunft darstellen, sondern eine Verarmung des wahren Kapitals der Menschen, nämlich jenes der Bildung, der Gesundheitsversorgung und des Sozialstaats.“
„Ich träume von einem Europa als dem Herzen des Westens, das seinen Einfallsreichtum dafür einsetzt, um Kriegsherde zu löschen und Lichter der Hoffnung zu entzünden; ein Europa, das es versteht, seine junge Seele wiederzuentdecken, das von der Größe des Zusammenseins träumt und über die Bedürfnisse des Augenblicks hinausgeht; ein Europa, das Völker und Menschen einbezieht, ohne ideologischen Theorien und Kolonialisierungen hinterherzulaufen“, erklärte Franziskus.
In seiner Ansprache mahnte Papst Franziskus auch zu Einsatz für den Lebensschutz: „In der heutigen fortschrittlichen Welt ist es paradoxerweise vordringlich geworden, menschliches Leben zu schützen, das durch utilitaristische Abwege gefährdet ist, die es gebrauchen und wegwerfen. Ich denke an viele ungeborene Kinder und älteren Menschen, die sich selbst überlassen sind, an die Mühe, diejenigen aufzunehmen, zu schützen, zu fördern und zu integrieren, die von weit her kommen und an die Türen klopfen, an die Einsamkeit vieler Familien, die Schwierigkeiten haben, Kinder in die Welt zu bringen und aufzuziehen.“
„Wohin steuert ihr, wenn ihr angesichts des Leidens im Leben oberflächliche und falsche Heilmittel anbietet, wie den einfachen Zugang zum Tod, eine Bequemlichkeitslösung, die lieblich erscheint, aber in Wirklichkeit bitterer ist als das Meereswasser?“, fragte der Papst und spielte damit auf die Legalisierung der Euthanasie in Portugal an. Präsident Rebelo de Sousa hatte mehrfach sein Veto gegen das neue Gesetz eingelegt, wurde jedoch jedes Mal vom Parlament überstimmt, sodass es schließlich doch in Kraft trat.
Drei Baustellen der Hoffnung
Sodann ging Papst Franziskus auf „drei Baustellen der Hoffnung“ ein, „an denen wir alle gemeinsam arbeiten können: die Umwelt, die Zukunft und die Geschwisterlichkeit“.
Mit Blick auf die Umwelt sagte er: „Die Ozeane erwärmen sich und ihre Tiefen bringen die Hässlichkeit an die Oberfläche, mit der wir unser gemeinsames Haus verschmutzt haben. Wir sind dabei, die großen Lebensreservoire in Plastikdeponien zu verwandeln.“ Dann fragte der Pontifex: „Wie können wir sagen, dass wir an die jungen Menschen glauben, wenn wir ihnen keinen gesunden Raum geben, um eine Zukunft aufzubauen?“
Die jungen Menschen, die selbst die Zukunft seien, würden durch verschiedene Faktoren entmutigt, sagte der Papst, etwa durch „Mangel an Arbeit, das hektische Tempo, denen sie ausgesetzt sind, die steigenden Lebenshaltungskosten, die Schwierigkeit, Wohnung zu finden und, was noch beunruhigender ist, die Angst, eine Familie zu gründen und Kinder zur Welt zu bringen“.
So gelte: „Der Fortschritt scheint eine Frage zu sein, die die technischen Entwicklungen und die Annehmlichkeiten des Einzelnen betrifft, während die Zukunft doch erfordert, der Geburtenabnahme und dem Rückgang des Lebenswillens entgegenzuwirken.“
Eine gute Politik sei in diesem Zusammenhang „nicht dazu berufen, die Macht zu halten, sondern den Menschen die Kraft zur Hoffnung zu geben. Sie ist heute mehr denn je dazu aufgerufen, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte eines Marktes zu korrigieren, der Reichtum hervorbringt, ihn aber nicht verteilt und so die Menschen ihrer Ressourcen und Sicherheiten beraubt. Sie ist aufgerufen, sich als Quelle von Leben und Fürsorge wieder zu entdecken, mit Weitblick in die Zukunft, in die Familien und in die Kinder zu investieren, generationenübergreifende Allianzen zu befördern, in denen die Vergangenheit nicht mit einem Wisch ausgelöscht wird, sondern Bindungen zwischen Jung und Alt gefördert werden.“
„Die letzte Baustelle der Hoffnung ist die der Geschwisterlichkeit, die wir Christen von unserem Herrn Jesus Christus erlernen“, schloss das Kirchenoberhaupt. Alle Menschen seien aufgerufen, „den Sinn für Gemeinschaft zu fördern, angefangen beim Aufsuchen derer, die neben uns wohnen“.
„Wie schön ist es, wenn wir uns als Brüder und Schwestern wiederentdecken, wenn wir uns für das Gemeinwohl einsetzen und dabei Gegensätze und Unterschiede in den Ansichten hinter uns lassen!“, rief der Papst aus. „Auch darin sind uns die jungen Menschen ein Beispiel, die uns mit ihrem Ruf nach Frieden und ihrer Lebenslust dazu bringen, die starren Zäune der Zugehörigkeit einzureißen, die im Namen unterschiedlicher Auffassungen und Glaubensüberzeugungen errichtet worden sind.“