Papst Franziskus spricht in Marseille über die Berufung des Mittelmeerraums

Papst Franziskus in Marseille
Vatican Media

Papst Franziskus hat am Samstagmorgen an der Schlusssitzung der „Rencontres méditerranéennes“ teilgenommen. Das Mittelmeertreffen war der eigentliche Anlass seiner weniger als zwei Tage dauernden Reise in die südfranzösische Hafenstadt, die am Samstagabend zu Ende geht.

In seiner Ansprache verlieh der Pontifex seiner Überzeugung Ausdruck, der Mittelmeerraum sei dazu berufen, „ein Ort zu sein, an dem sich verschiedene Länder und Wirklichkeiten auf der Grundlage unseres gemeinsamen Menschseins und nicht aufgrund widerstreitender Ideologien begegnen“.

„Ja, der Mittelmeerraum ist Ausdruck eines nicht uniformen und ideologischen, sondern eines vielgestaltigen und realitätsgerechten Denkens“, sagte Franziskus, „eines lebendigen, offenen und versöhnlichen Denkens: eines Gemeinschaftsdenkens.“

Ein solches Gemeinschaftsdenken sei „in der gegenwärtigen Situation“ sehr nötig, „in der antiquierte und kriegstreibende Nationalismen den Traum von der Gemeinschaft der Nationen zunichtemachen wollen! Aber – lasst uns das nicht vergessen – mit Waffen macht man Krieg, nicht Frieden, und mit Machtgier kehrt man in die Vergangenheit zurück, statt die Zukunft zu gestalten.“

Das Mittelmeer jedenfalls sei „ein Ort der Begegnung: zwischen den abrahamitischen Religionen, dem griechischen, lateinischen und arabischen Denken, der Wissenschaft, der Philosophie, dem Recht und vielem anderen. Es hat der Welt den hohen Wert des mit Freiheit ausgestatteten, für die Wahrheit offenen und erlösungsbedürftigen Menschen vermittelt, der die Welt als ein zu entdeckendes Wunder und einen zu bewohnenden Garten sieht, im Zeichen eines Gottes, der mit den Menschen Bünde schließt.“

Papst Franziskus sprach auch über zahlreiche Herausforderungen in der Gegenwart: „Das eigentliche soziale Übel ist tatsächlich nicht so sehr die Zunahme der Probleme, sondern der Rückgang der Fürsorge.“

In diesem Kontext erwähnte er etwa das Thema Abtreibung und sagte: „Wer denkt an die ungeborenen Kinder, die im Namen eines falschen Rechts auf Fortschritt abgelehnt werden, welches jedoch einen Rückschritt in Bezug auf die Bedürfnisse des Einzelnen darstellt?“

Und die Christenverfolgung kam ebenfalls zur Sprache: „Wie viele Menschen leben inmitten von Gewalt und leiden unter Ungerechtigkeit und Verfolgung! Ich denke an die vielen Christen, die oft gezwungen sind, ihr Land zu verlassen oder dort zu leben, ohne dass ihre Rechte anerkannt werden und ohne die vollen Bürgerrechte zu besitzen. Bitte, setzen wir uns dafür ein, dass diejenigen, die Teil der Gesellschaft sind, ihre vollen Bürgerrechte erhalten.“

Mehr in Europa

Deutliche Worte fand Papst Franziskus zur Problematik der Migration, die im Mittelmeerraum von besonderer Bedeutung ist. Diejenigen Menschen, „die ihr Leben auf dem Meer riskieren, sind keine Invasoren, sie suchen Aufnahme“, sagte der Papst. „Was die Notsituation angeht, so ist das Migrationsphänomen nicht so sehr eine momentane Notlage, die immer gerne für panikmachende Propaganda herhalten muss, sondern eine Gegebenheit unserer Zeit, ein Prozess, der drei Kontinente rund um das Mittelmeer betrifft und der mit kluger Weitsicht gestaltet werden muss: mit einer europäischen Verantwortung, die in der Lage ist, die objektiven Schwierigkeiten anzugehen.“

Zwar seien „die Schwierigkeiten bei der Aufnahme, dem Schutz, der Förderung und der Integration von unerwarteten Menschen nicht zu übersehen, aber das Hauptkriterium kann nicht der Erhalt des eigenen Wohlstandes sein, sondern vielmehr die Wahrung der Menschenwürde“.

„Die Geschichte verlangt von uns eine Aufrüttlung des Gewissens, um einem Schiffbruch der Zivilisation vorzubeugen“, erklärte das Kirchenoberhaupt. „Die Zukunft liegt nicht in der Abschottung, die eine Rückkehr in die Vergangenheit ist, eine Kehrtwende auf dem Weg der Geschichte.“ Die Lösung bestehe nicht „in der Ablehnung, sondern – den jeweiligen Möglichkeiten entsprechend – in der Sicherstellung einer Vielzahl von legalen und regulären Einreisemöglichkeiten, die dank einer ausgewogenen Aufnahme in Europa in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern möglich sind. Zu sagen ‚genug‘, bedeutet hingegen die Augen zu verschließen; der Versuch, sich heute ‚selbst zu retten‘, wird sich morgen in eine Tragödie verwandeln.“

Die Nächstenliebe müsse die Magna Charta der Seelsorge sein, forderte Franziskus. „Möge die Kirche ein Hafen der Hoffnung für die Entmutigten sein. Möge sie ein Hafen der Stärkung sein, in dem die Menschen sich ermutigt fühlen, sich auf die hohe See des Lebens mit der unvergleichlichen Kraft der Freude Christi hinauszuwagen.“

Im Mittelmeerraum, schlug der Papst vor, könnte man „vielleicht sogar die Möglichkeit einer Bischofskonferenz“ in Betracht ziehen, „die weitere Möglichkeiten des Austauschs bieten und der Region eine größere kirchliche Präsenz bescheren würde“.

„Eine weitere Herausforderung besteht in einer mediterranen Theologie, die ein Denken entwickelt, das sich an der Realität orientiert, der ‚Heimat‘ des Menschen und nicht nur der technischen Daten, und das in der Lage ist, die Generationen zu vereinen, indem es Erinnerung und Zukunft miteinander verbindet, und mit Originalität den ökumenischen Weg zwischen den Christen und den Dialog zwischen den Gläubigen der verschiedenen Religionen fördert“, so Papst Franziskus weiter.

Es sei „schön, eine philosophische und theologische Forschung zu wagen, die aus den kulturellen Quellen des Mittelmeerraums schöpft und dem Menschen die Hoffnung zurückgibt; dem Menschen, der ein Geheimnis der Freiheit ist und Gott und den Nächsten braucht, um seiner Existenz einen Sinn zu geben. Und es ist auch notwendig, über das Geheimnis Gottes nachzudenken, von dem niemand behaupten kann, es zu besitzen oder zu beherrschen, und das in der Tat jedem gewaltvollen und instrumentellen Gebrauch entzogen werden muss, in dem Bewusstsein, dass das Bekenntnis seiner Größe in uns die Demut der Suchenden voraussetzt.“

Den Teilnehmern an den „Rencontres méditerranéennes“ rief Papst Franziskus abschließend zu: „Seid ein Meer des Guten, um der gegenwärtigen Armut mit einer solidarischen Synergie zu begegnen; seid ein einladender Hafen, um diejenigen aufzunehmen, die eine bessere Zukunft suchen; seid ein Leuchtturm des Friedens, um durch die Kultur der Begegnung die dunklen Abgründe von Gewalt und Krieg zu durchbrechen.“

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