Urteil im Vatikan: Fünf Jahre und sechs Monate Haft für Kardinal Becciu

Kardinal Giovanni Angelo Becciu
Daniel Ibanez / CNA Deutsch

Im „Jahrhundertprozess“ des Vatikans ist am heutigen Samstag eine der bekanntesten Figuren des Finanzskandals verurteilt worden: Kardinal Giovanni Angelo Becciu wurde wegen Veruntreuung in mehreren Fällen zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.

Zudem muss der Kardinal eine Geldstrafe von 8.000 Euro zahlen, sagte Richter Giuseppe Pignatone bei der Urteilsverkündung am 16. Dezember.

Der Anwalt des Verurteilten kündigte Berufung an. Sein Mandant sei unschuldig.

Die Gegenseite — der Kirchenanwalt — hatte dagegen sieben Jahre und drei Monate Haft sowie eine höhere Geldstrafe gefordert.

Becciu wurde, wie die anderen neun Angeklagten, in einigen Punkten verurteilt und in anderen für nicht schuldig befunden.

Der Kardinal aus Sardinien ist der bislang ranghöchste Geistliche, der jemals als Angeklagter vor einem vatikanischen Strafgericht stand.

Die weiteren Angeklagten erhielten laut Urteil ebenfalls Haft- und Geldstrafen.

Luxus-Immobilie in London

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Das Verfahren gegen Becciu und weitere Angeklagte war im Juni 2021 angekündigt worden. Im Zentrum des Prozesses, der mehrere Hundert Stunden dauerte und schier endlose Mengen an Akten und Daten verhandelte, stand ein Immobiliengeschäft in London. 

Kardinal Becciu war von 2014 bis 2018 der Sostituto von Parolin — also zweithöchster Würdenträger im Staatssekretariat — genau in dem Zeitraum, in dem eine Investition von mehreren hundert Millionen Euro in der Londoner Innenstadt eingefädelt wurde.

CNA Deutsch hat über die Hintergründe ausführlich berichtet.

Den Beschuldigten wurde bei Ankündigung des Verfahrens unter anderem Erpressung, Veruntreuung, Betrug, Geldwäsche und Amtsmissbrauch vorgeworfen, sowie das Unterschlagen von Informationen. Heute erging nun das Urteil: 

  • René Brühlart und Tommaso Di Ruzza wurden zu Geldstrafen von jeweils 1.750 Euro verurteilt. Enrico Crasso erhielt eine siebenjährige Haftstrafe und eine Geldbuße von 10.000 Euro, zusätzlich wurde ihm dauerhaft das Recht entzogen, öffentliche Ämter zu bekleiden.
  • Raffaele Mincione wurde zu fünf Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt, einer Geldstrafe von 8.000 Euro und dem ständigen Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden. (Kardinal Becciu erhielt die gleiche Strafe).
  • Fabrizio Tirabassi muss für sieben Jahre und sechs Monate ins Gefängnis, wurde zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt und dauerhaft von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen.
  • Nicola Squillace erhielt unter Berücksichtigung allgemeiner mildernder Umstände eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.
  • Gianluigi Torzi wurde zu sechs Jahren Haft und einer Geldbuße von 6.000 Euro verurteilt, zusätzlich zum dauerhaften Ausschluss von öffentlichen Ämtern und einer einjährigen besonderen Aufsicht.
  • Cecilia Marogna wurde zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt und für dieselbe Dauer von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen.

Im Lauf des Prozesses wurden unterschiedliche Vorwürfe  erhoben, kritisiert und in zahlreichen Aussagen und Verhören erörtert.

Trotz kurioser weiterer Fälle, etwa um Cecilia Marogna und die Luxus-Handtaschen: Wesentlich war dabei immer die Frage der Finanzierung in London. 

Was war geschehen? Wie CNA Deutsch im November 2020 berichtete, war diese Investition durch ein kurzfristiges Darlehen in Höhe von offenbar mindestens 200 Millionen Dollar finanziert worden. Eine Summe, die über Schweizer Banken arrangiert worden war, zusammen mit einer Investition von fast 50 Millionen Dollar im Jahr 2018 in dieselbe Immobilie an der Sloane Avenue in London, wodurch der Vatikan der alleinige Eigentümer wurde.

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Der italienische „Geschäftsmann“ Gianluigi Torzi soll nach Recherchen von CNA etwa 10 Millionen Euro an dem Deal verdient haben, bei dem ein weiterer Geschäftsmann, Raffaele Mincione, dem Staatssekretariat zu einem überhöhten Preis seine Anteile an einer Londoner Luxus-Immobilie verkaufte — während er gleichzeitig für das Staatssekretariat Anlagen in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro managte. 

Anstatt jedoch das Gebäude vollständig von einer Minciones Holdinggesellschaft zu kaufen, übernahm das Staatssekretariat des Vatikans im Jahr 2018 die Firma selbst — und gründete eine neue Londoner Firma für das Investment.

Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin — der Verantwortliche des Staatssekretariats — hat diese Vorgänge in seiner Behörde im Oktober 2019 als „unklar“ bezeichnet und angekündigt, das Investment weiter zu prüfen, das sein ehemaliger Stellvertreter, Kardinal Giovanni Angelo Becciu, arrangierte — bevor Papst Franziskus Becciu zum Präfekten der Kongregation für die Heiligsprechungsverfahren beförderte. 

Papst Franziskus: „Ja, es gibt Korruption“

Papst Franziskus hat sich im November 2019 öffentlich zu den brodelnden Skandalen und Korruptionsvorwürfen geäußert. Ja, es sei „nicht gut“, was in der Kurie geschehe, sagte der Papst bei einer „fliegenden Pressekonferenz“ am 26. November vor Journalisten. Ja, es gebe Korruption im Vatikan. Gleichzeitig betonte Franziskus, dass die Reformen voranschreiten würden und man zwischen soliden Investitionen und möglicher Korruption unterscheiden müsse.

Die Einnahmen aus dem Peterspfennig zu investieren, so der Papst weiter, sei eine akzeptable Form der Finanzverwaltung, wenn es sich um solide Investitionen handele. Ob die Investition in den Bau einer Luxus-Immobilie in London auch korrupt gewesen sei, sei bislang nicht geklärt, so der Pontifex weiter.

Wenig später dann das, was deutsche Journalisten gerne einen „Paukenschlag“ nennen: Im September 2020 nahm der Papst den Rücktritt Beccius von seinem damaligen Amt als Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse an. Becciu verzichtete auch auf seine Rechte als Kardinal. Dieser Verzicht und der Rücktritt waren alles andere als freiwillig, wie Becciu selbst konsterniert durchblicken ließ.

Nun wird offenbar ein Berufungsverfahren entscheiden, wie der „Jahrhundertprozess“ weitergeht. Bis dahin wird noch viel Wasser den Tiber hinunterfließen.

Rudolf Gehrig trug zur Berichterstattung bei.