6. Januar 2025
CNA Deutsch dokumentiert die folgende Predigt von Kurienkardinal Kurt Koch zum Dreikönigstag, die er in der Kirche des Campo Santo Teutonico hielt.
Die biblische Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland kann beim ersten Zuhören auf uns wie eine schöne Mär wirken; und es scheint, sie gehöre eher der Märchenwelt als der Realität unseres Lebens an, die keineswegs immer märchenhaft ist. Vielleicht sind wir sogar versucht, diese Geschichte mit den Worten zu kommentieren: „Zu schön, um wahr zu sein.“ Doch ist diese Geschichte wirklich nur schön, oder ist sie nicht vielmehr wahr? Im Mittelpunkt jedenfalls stehen Menschen, die nach der Wahrheit suchen und sich deshalb auf den Weg machen, um in der Wahrheit, die sie suchen, den Sinn ihres menschlichen Lebens zu finden. Sie machen sich auf den Weg mit einer präzisen Frage: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen“ (Mt 2, 2). Wenn wir uns von den Weisen auf ihrem Weg zur Krippe mitnehmen lassen, können auch wir der Wahrheit unseres Lebens begegnen; und dann treten vor allem die folgenden fünf Dimensionen einer ehrlichen Suche nach der Wahrheit an den Tag.
Vernunft und Glaube als Wege zur Wahrheit
Die Weisen bekennen zuerst: „Wir haben seinen Stern aufgehen sehen.“ Sie folgen also gerade nicht ihrem eigenen Stern oder, um es mit dem englischen Wort auszudrücken, ihrem eigenen „Star“. Was sie vielmehr in Bewegung bringt, ist der Stern eines anderen, der Stern des neugeborenen Königs der Juden. Im Unterschied zu den Bürgern in der Stadt Jerusalem, die sich vom Stern nicht berühren lassen, im Unterschied zu Herodes, der sich vom Stern bedroht weiss, und im Unterschied zu den Schriftgelehrten, für die der Stern bloss ein Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Neugier ist, präsentieren sich die Weisen aus dem Morgenland als Menschen, die auf der Suche nach der Wahrheit sind und im Kind von Bethlehem die Wahrheit ihres Lebens finden.
Die Weisen sind zweifellos ernsthafte Menschen. Der Überlieferung nach waren sie Männer der Wissenschaft, genauer Astronomen, deren Aufgabe darin bestand, den Himmel zu erforschen. Ohne Zweifel war ihre Suche nach der Wahrheit von intellektueller Redlichkeit und aufrichtiger Sorgfalt beseelt. Um aber bis nach Bethlehem zu gelangen, haben sie sich nicht allein von der Wissenschaft führen, sondern vom Stern leiten lassen. Sie haben sich vertrauensvoll von der Vorsehung, der unsichtbaren Hand Gottes, führen lassen. Die Weisen aus dem Morgenland sind deshalb ein schönes Beispiel dafür, dass sich Vernunft und Glaube, Wissenschaft und Wahrheit des Glaubens nicht feindlich gegenüberstehen, sondern auch heute miteinander verbunden und aufeinander angewiesen sind.
Gerade als Wissenschaftler haben sich die Weisen vom Wort der Heiligen Schrift leiten lassen. An dem Ort, an dem der Stern stehen bleibt und sie das Kind finden, machen sie deshalb die Erfahrung, dass allererst die Stimme der Heiligen Schrift ihnen den Weg gewiesen hat und dass das Wort Gottes der wahre Stern in ihrem Leben ist. Diesem Stern von Gottes Wort und Wahrheit zu folgen, macht die Grundberufung des christlichen Lebens auch heute aus, wie es uns die Weisen aus dem Morgenland vorgelebt haben.
Wahrheit ist nicht machbar
Von ihnen heißt es zweitens weiter lapidar, dass sie „gekommen“ sind. Die Weisen sind gekommen, weil sie den Stern des neugeborenen Königs der Juden haben aufgehen sehen. Sie wissen offensichtlich darum, dass die Geburt des Messias die unableitbare Tat Gottes ist, dass es aber an ihnen liegt, an den Ort dieses göttlichen Geschehens zu kommen: Gott selbst kommt zwar nach Bethlehem und offenbart uns seine Wahrheit. Dies ist und bleibt seine sympathische Initiative. Aber Bethlehem kommt nicht von selbst an den Wohnort der Weisen. Da müssen sie schon selbst initiativ werden und sich auf den Weg machen, um den Stern des neugeborenen Königs der Juden sehen zu können.
Dies ist die zweite Glaubenslektion, die uns die Weisen aus dem Morgenland bereit halten: Nur wer sich aufmacht, wird den Stern von Bethlehem zu Gesicht bekommen und die göttliche Aufklärung erfahren. Wer bei sich bleibt, in seinen eigenen vier Wänden eingeschlossen, wird den Stern nicht sehen können und unaufgeklärt bleiben. In dieser Einsicht der Weisen liegt auch der Grund, dass wir die Wahrheit unseres Lebens nicht selbst machen können. Wir können die Wahrheit, die uns Gott schenkt, vielmehr nur empfangen und uns von ihr im Herzen berühren lassen. Wahrheit ist immer geschenkte, empfangene, weil offenbarte Wahrheit.
Wahrheit ist eine Person
Das Kommen der Weisen aufgrund des Sehens des Sternes hat drittens ein sehr konkretes Ziel: Sie huldigen dem neugeborenen König der Juden, indem sie der orientalischen Sitte gemäß vor ihm niederfallen. Sie beten das Kind in der Krippe an und bringen ihm die Gaben von Gold, Weihrauch und Myrrhe dar. Der Evangelist Matthäus will mit seiner Schilderung aller erdenklichen Ehrenbezeugungen und aller königlichen Huldigung durch die Weisen zeigen, dass das Kind in der Krippe in der Tat der neue König ist. Denn beide Handlungen – das Niederfallen wie das Überreichen der Geschenke – verweisen auf die Königswürde des Kindes in der Krippe.
Weil die Weisen das Kind in der Krippe anbeten, finden sie in ihm den Sinn ihres Lebens. Sie haben zwar nach Sternen Ausschau gehalten, in Christus aber die göttliche Sonne gefunden. Und in ihr ist ihnen die Wahrheit ihres Lebens aufgeleuchtet. Von daher lernten sie die Frage nach der Wahrheit richtig zu stellen: Letztlich geht es nicht darum, was die Wahrheit ist, sondern wer die Wahrheit ist. Denn die christliche Wahrheit ist nicht eine Idee oder eine Lehre, sondern eine Person, nämlich Jesus Christus, der auf die Frage, was denn Wahrheit sei, geantwortet hat: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6).
Der christliche Glaube lebt davon, dass es nicht bloß einen objektiven Sinn des Lebens und eine verstehbare Wahrheit über die Welt gibt, sondern dass der objektive Sinn der Welt, den der Glaube zu verstehen sucht, mich ganz persönlich kennt und mich liebt. Der biblische Gottesglaube ist sehr viel mehr als die Annahme eines geistigen Grundes der Welt. Er ist vielmehr ein personaler Akt des Vertrauens und bewirkt eine gegenseitige Bindung von Personen. Auf dem Fundament dieser Wahrheit als Person dürfen wir als Christen leben, und mit dieser Wahrheit können wir, wenn es an der Zeit ist, auch sterben. Die Frage nach der Wahrheit ist in der Tat eine Frage auf Leben und Tod.
Wahrheit führt zur Umkehr
Diese befreiende Erfahrung kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die Weisen aus dem Morgenland geben vielmehr sogleich ihre persönliche Antwort auf ihre Anbetung des Kindes in der Krippe. Denn es heißt viertens von ihnen: „Weil ihnen im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land“ (Mt 2, 12). Wer den Stern über der Krippe in Bethlehem gesehen hat, kann nicht mehr seinen eigenen Weg gehen; er geht vielmehr anders von dannen, als er gekommen ist. Er kann vor allem nicht mehr zu Herodes zurückgehen und mit den Mächten des Bösen gemeinsame Sache machen. Er lässt sich vielmehr den Weg des Kindes in Bethlehem führen, den Weg des Kind gewordenen Gottes, der der Weg der Wahrheit und der Liebe ist und der allein die Welt so zu verwandeln vermag, wie es bei den Weisen handgreiflich geworden ist.
Dies ist die vierte Glaubenslektion, die uns die Weisen schenken: Begegnung mit der Wahrheit und Erkenntnis von Wahrheit ist nur echt, wenn sie zur Umkehr bewegt und in die Nachfolge Christi hineinführt. Denn nur Jesus nachfolgend, geht uns die Wahrheit seiner Person und auch die Wahrheit unseres Lebens auf.
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Große Prozession der Glaubenden
Wenn wir uns von den Weisen auf den Weg nach Bethlehem mitnehmen lassen, dann kommt an den Tag, dass bei der Krippe in Erfüllung gegangen ist, was der Prophet Jesaja verheißen hat, auch wenn sich beim ersten Hinsehen die Erfüllung viel kleiner und armseliger ausnimmt als das, was vorausgesagt worden ist. Der Prophet hat den Augenblick kommen sehen, in dem das große Licht des Herrn über der ganzen Erde aufgeht, so dass die Könige der Völker von allen Enden der Erde zu ihm ziehen. Demgegenüber sind es in der Weihnachtsgeschichte des Matthäus bloß ein paar Weise, die zum Herrn kommen. Sie stehen aber stellvertretend für alle Menschen und Völker da. Sie sind nicht die letzten, sondern die ersten, die sich auf den Weg zum Kind in Bethlehem gemacht haben. Die Geschichte von den Weisen bildet nicht das Ende, sondern den Anfang einer langen Prozession von Menschen, die durch die Jahrhunderte hindurch das Zeichen des Sterns verstehen, es im Wort der Heiligen Schrift ausgedeutet finden und im Kind in der Krippe Gott selbst auffinden.
In diese Prozession der an Jesus Christus Glaubenden uns auch heute einzureihen, ist die Einladung des Hochfestes von Epiphanie. Dieses Fest führt uns vor Augen, dass die Geschichte der Menschheit ein großer Pilgerweg ist, der seinen wahren Zielpunkt in Jesus Christus findet. Wenden wir uns besonders am heutigen Fest Ihm zu, um in Ihm jene Wahrheit zu finden, die die Weisen gesucht haben und in der wir den Sinn unseres Lebens finden. Dann ereignet sich auch für uns heute Erscheinung des Herrn; und dann wird auch unser Leben epiphan, durchsichtig für Christus, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.