Köln - Donnerstag, 20. Februar 2025, 11:00 Uhr.
Vor einem Jahr legte der Vatikan das neue Grundsatzdokument Dignitas infinita vor. Mit 18 Vorträgen und Diskussionen haben jetzt die Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) und die Joseph-Höffner-Gesellschaft für Christliche Soziallehre die „katholische Begründung der Menschenwürde“ behandelt.
„Die Bibel gilt nicht in China.“ – Dieses Argument musste sich ein deutscher Spitzenpolitiker vorhalten lassen, als er beim damaligen Regierungschef Chinas unbedingt über Menschenrechte reden wollte. War der Einwand berechtigt oder gibt es ein kultur- und epochenübergreifendes natürliches Recht, das weltweit gültig ist?
Seit Aristoteles und der griechischen Philosophie in der Antike wird von einem universell gültigen Ordnungsprinzip, dem „von Natur aus Rechten“ ausgegangen. Von Anfang an wurde dieses Naturrecht mit der menschlichen Vernunft in Verbindung gebracht – bei Aristoteles und Cicero noch in einer abstrakten Weltvernunft verankert, seit Augustinus in Verbindung mit der christlichen Offenbarung.
Einen weiteren Schub erhielt das Naturrecht in der Aufklärung (Hobbes und Kant) und blieb weiter fest in der Rechtsphilosophie verankert – aber nicht nur in der Theorie der Wissenschaft. So beginnt die UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948 mit den Worten: „Alle Menschen verfügen von Geburt an über die gleichen, unveräußerlichen Rechte und Grundfreiheiten.“ Nur auf dieser Grundlage konnten die nationalsozialistischen Verbrechen aufgearbeitet werden, denn die Täter handelten oft nach gesetzlichen Vorgaben.
Dennoch droht das Naturrecht aus dem Blick zu geraten. Nicht ohne Grund widmete Papst Benedikt XVI. seine Rede am 22. September 2011 im Deutschen Bundestag den „Grundlagen des Rechts“ und rief dabei „Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen“ in Erinnerung.
Gründet nun die vatikanische Erklärung Dignitas infinita allein auf christlichen Glaubensvorstellungen oder beruhen seine Werte auch auf dem übergreifenden Naturrecht, das nicht an einen bestimmten Glauben oder an eine einzelne Kultur gebunden ist? Dieser Frage ging bei der Kölner Tagung Walter Schweidler nach, der Lehrstuhlinhaber für Philosophie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er ist gelernter Philosoph, Jurist, Politikwissenschaftler und Theologe sowie Schüler von Robert Spaemann.
Der Referent erinnerte an den von Papst Paul VI. formulierten Anspruch der Kirche, „eine von keiner anderen Anthropologie erreichte Einsicht in das Wesen der menschlichen Person zu besitzen“. Schweidler ließ keinen Zweifel daran, den vorgelegten Gedankengang des vatikanischen Dokuments als eine naturrechtliche Argumentation zu verstehen. Aber dabei beließ es der Referent nicht und fragte: „Worin wird die Erklärung Dignitas infinita aus philosophischer Sicht ihrem Anspruch, eine naturrechtliche Argumentation vorzutragen, gerecht?“
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Diese Frage entsteht, weil im Text selten ausdrücklich auf das Naturrecht Bezug genommen wird. Allerdings, so Schweidler, werde in dem Dokument auf den „unvergleichlichen Unterschied“ abgehoben, der den Menschen von allem anderen in der Welt trenne. Das sei entscheidend. Von allen Wesen anderer Art unterscheide sich der Mensch durch die Vernunft. Diese sei die Grundlage für alle Verantwortung, die der Mensch in einzigartiger Weise wahrnehme.
„Auf diesem an der Vernunft orientierten Naturbegriff beruht die über Jahrtausende währende und noch in der heutigen Konzeption der universalen Menschenrechte gegenwärtige Denkfigur des ‚von Natur aus Rechten‘, die erstmals in der Ethik des Aristoteles dargelegt wurde“, sagte Schweidler.
Er fasste die naturrechtliche Aussage des Dokumentes mit den Worten zusammen: „Unsere Würde ist uns geschenkt, sie ist kein Verdienst. Sie gibt dem Menschen eine einzigartige Rolle in der Schöpfung. Sie ist jedem von uns unveräußerlich gegeben von der Zeugung bis zum Tod, unabhängig von den individuellen Vermögen und Fähigkeiten. Sie ist uns nicht von anderen Menschen oder einem sie umfassenden Verband verliehen. Und sie gibt uns allen ein gemeinsames Handlungsziel vor, nämlich die unbedingte Orientierung auf das Gute und auf die Vermeidung des Bösen.“
Sie komme jedem einzelnen Menschen zu, und jegliches Handeln verletze sie schwer, das „zum Leben selbst im Gegensatz steht, wie jede Art Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord“. Sie schließe die Todesstrafe aus und verbiete kategorisch die Anwendung von Folter, fügte er hinzu. Sie werde angegriffen durch unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen.
In Bekräftigung des Denkers Gottfried Wilhelm Leibniz verlange die Erklärung Dignitas infinita „die Errichtung einer Ordnung, in der für jeden von uns die ihm von Gott verliehenen Gaben in größtmöglicher Weise entfaltet und verwirklicht werden können“. Diesem Grundgedanken liege auch das vom Zweiten Vatikanischen Konzil in Gaudium et spes bekräftigte Gemeinwohl-Prinzip zugrunde.
Deshalb zog der Eichstätter Philosoph die Bilanz, dass der Text Dignitas infinita in seiner Entfaltung des Begriffs der menschlichen Würde allen wesentlichen normativen Inhalten der Naturrechtstradition gerecht werde.