Aleppo - Samstag, 29. März 2025, 8:00 Uhr.
Seit dem Sturz des Assad-Regimes und der Einnahme Aleppos durch Rebellen im Dezember 2024 hat sich das Bild der Stadt verändert. Auf den ersten Blick wirkt vieles ruhig. In den Straßen ist Leben zu sehen, die Menschen gehen ihrer Arbeit nach, Kinder spielen wieder vor den Häusern. Doch unter der Oberfläche bleibt die Verunsicherung spürbar. Der emeritierte melkitische griechisch-katholische Erzbischof von Aleppo, Jean-Clément Jeanbart BA, spricht gegenüber CNA Deutsch von einer angespannten Stille – einem „fragilen Frieden“, der jederzeit kippen könnte.
„Innerhalb der Stadt gibt es nur wenige Konfrontationen, und in den meisten Wohnvierteln scheint die Sicherheit momentan relativ gut gewährleistet“, erklärt der Geistliche. Der Einmarsch der Rebellen sei ruhig verlaufen, ohne größere Kämpfe oder Zerstörungen. Die neuen Machthaber hätten bewusst versucht, die Bevölkerung zu beruhigen. Und tatsächlich, so sagt er, fühlten sich viele Menschen derzeit zumindest physisch sicher. „Gott sei Dank hoffen sie, dass das so bleibt.“
Doch Sicherheit ist nicht gleich Stabilität. Die politischen Verhältnisse sind unklar, die Autorität der neuen Führung nicht gefestigt, und viele Syrer – insbesondere Christen – sehen die Zukunft mit gemischten Gefühlen. Die Kirche versucht in dieser Lage, Halt zu geben. Nicht nur durch Gebet und Seelsorge, sondern auch durch konkrete Hilfe. „Wir begleiten die Menschen spirituell, aber wir helfen ihnen auch ganz praktisch“, so der Erzbischof. Es gehe darum, in einer Atmosphäre aus Angst und wirtschaftlicher Not einen Funken Hoffnung zu bewahren. „Wir wollen unsere Gläubigen stärken, damit sie nicht den Mut verlieren, in dem Land ihrer Vorfahren zu bleiben – dem Land, das als erstes das Christentum angenommen hat.“
Eines der stärksten Symbole dieses Durchhaltewillens war die Wiedereröffnung der melkitischen griechisch-katholischen Kathedrale Mariä Himmelfahrt im Jahr 2019. Nach jahrelanger Zerstörung war ihr Wiederaufbau ein Zeichen des Lebens. „Diese Eröffnung war wie der erste Lichtstrahl nach langer Nacht“, erinnert sich der Erzbischof. Sie habe Mut gemacht – für den Wiederaufbau, für sozialen Zusammenhalt und für die geistige Erneuerung nach Jahren des Krieges.
Doch diese Hoffnung hat in den letzten Monaten Risse bekommen. Besonders das Massaker vom 7. März an der syrischen Mittelmeerküste habe viele Menschen tief erschüttert. Hunderte Zivilisten wurden auf grausamste Weise ermordet – darunter Frauen, Kinder, ganze Familien. Die Tat wurde gefilmt, ins Netz gestellt und verbreitete sich wie ein Fanal der Barbarei. Für den Erzbischof ist es ein Wendepunkt. „Dieses Verbrechen hat alles verändert. Viele Menschen haben seither das Vertrauen verloren, dass die neuen politischen Kräfte wirklich Frieden und Freiheit bringen wollen.“
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Trotz aller Versprechen von Demokratie und einer Öffnung gegenüber dem Westen ist die Angst groß, dass sich die Geschichte wiederholt. Die wirtschaftliche Not, die Sanktionen, die unklare politische Ordnung – all das trägt dazu bei, dass viele Christen erneut über Auswanderung nachdenken. Vor allem die jungen Leute sehen kaum noch Perspektiven.
Dabei hatte die Kirche zuletzt mutige Initiativen gestartet, um genau das zu verhindern. Im März 2024 wurde das Projekt „Arbeiten, um zu bleiben“ ins Leben gerufen – eine Hilfsmaßnahme, die junge Menschen mit zinsfreien Mini- und Mikrokrediten bei der Gründung kleiner Betriebe unterstützt. „Mehr als 110 junge Männer und Frauen konnten wir dadurch ermutigen, sich eine Zukunft hier in Syrien aufzubauen“, berichtet der Erzbischof. Bäckereien, Schneidereien, kleine Werkstätten – es sei ein Anfang gewesen. Doch mit dem politischen Umbruch Ende 2024 mussten die Programme vorerst eingestellt werden. „Wir hoffen sehr, dass wir bald weitermachen können.“
Auch das interreligiöse Zusammenleben, lange Zeit eine Stärke Aleppos, steht unter Druck. Während die Beziehungen zu den gemäßigten muslimischen Nachbarn weiterhin respektvoll und friedlich seien, bereitet der zunehmende Einfluss fundamentalistischer Gruppierungen große Sorgen. „Diese Extremisten haben an der Küste unvorstellbares Leid angerichtet. Ihre Präsenz ist für viele unerträglich geworden“, so Jeanbart. Noch herrsche in Aleppo selbst ein gewisses Gleichgewicht, aber wie lange das anhalte, sei ungewiss.
Die Einschätzung des Erzbischofs zur Zukunft der Christen in Aleppo ist von tiefer Sorge geprägt. „Wenn sich die Situation nicht rasch bessert, sehe ich die Zukunft unserer Gemeinschaft als zweifelhaft und unwahrscheinlich an.“ Die Auswanderung gehe weiter – teils aus Angst, teils aus Hoffnungslosigkeit. „Der kleine Rest, der bleibt, wird nur noch ein lebendiges Museum eines reichen christlichen Erbes sein – erbaut durch Jahrhunderte des Opfers.“
Sein abschließender Appell richtet sich an die Christen im Westen, insbesondere in Deutschland und den USA. Es ist kein politischer Aufruf, sondern ein geistliches Gebet – getragen von Schmerz und Hoffnung: „Herr, Herrscher des Himmels und der Erde, Vater aller Barmherzigkeit, erbarme dich deiner syrischen Kinder, die in dem Land leiden, in dem dein Sohn geboren wurde. Stärke sie, gib ihnen Mut, mit ihren muslimischen Brüdern weiterzugehen, die dich suchen, ohne dich zu kennen. Heile die Herzen der Mächtigen, die Einfluss auf unser Schicksal haben. Erwecke in ihnen Mitgefühl für Syrien und Sensibilität für das Leiden der Christen, die unschuldige Opfer einer Politik sind, die von Gier und Hass getrieben ist. Amen.“