12. April 2025
Der bekannte Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti hat erneut ein lesenswertes Werk vorgelegt. Diesmal handelt es sich allerdings nicht um eine ausführliche Monografie, sondern um ein nur etwa 120 Seiten umfassendes Büchlein mit dem Titel „Der Vatikan. Geschichte, Verfassung, Politik“ in der Reihe „C.H.BECK Wissen“.
Es geht also um den Vatikan als Staat. Weil aber das Staatsoberhaupt, der Papst, auch das (irdische) Oberhaupt der katholischen Kirche ist, so spielt bei einem Blick auf das Staatswesen immer auch die katholische Perspektive eine wichtige Rolle.
„Der Papst ist Staatsoberhaupt eines echten Staates“, schreibt Ernesti. „Und doch handelt es sich dabei nicht um seine wichtigste Funktion. Zunächst ist er nach eigenem Selbstverständnis oberster Vertreter einer internationalen Glaubensgemeinschaft und insofern ein religiöser Führer.“
Der Vatikan fasziniert Menschen – auch solche, die dem Glauben fernstehen – allerdings nicht nur, weil es sich um den kleinsten Staat der Welt handelt, der wiederum der Kirche ein freies Handeln garantieren soll, sondern auch aufgrund der dort aufbewahrten Kunst sowie aufgrund der Geschichte.
So beginnt Ernesti mit einem Blick auf den sogenannten Kirchenstaat, der faktisch Vorgänger des heutigen Staats der Vatikanstadt ist, auch wenn dies aus juristischer Perspektive streng genommen nicht korrekt ist. Die Päpste sahen sich nach dem Ende des Kirchenstaates 1870 bis zum Abschluss der Lateranverträge 1929 als „Gefangene im Vatikan“.
Nach dem historischen Teil des vorliegenden Buches kommt der Autor auf die Verfassung des Staats der Vatikanstadt zu sprechen und geht – für ein kompaktes Werk wie dieses – recht ausführlich auf Territorium und Staatsvolk ein. Hier erfährt der Leser etwa, dass neben dem Vatikan selbst auch einige extraterritoriale Gebäude zum Staat gehören. Das bedeutet: „Prinzipiell bleiben sie Teil des italienischen Staatsgebiets, werden aber wie Botschaftsgebäude ausländischer Staaten behandelt.“
Zusammengerechnet macht die Fläche dieser extraterritorialen Gebäude sogar ein Gebiet aus, das größer ist als der Vatikan selbst. Nichtsdestotrotz gilt: „Im Vatikan herrscht chronische Platznot. Nicht einmal für alle Kurienkardinäle steht Wohnraum im Vatikan oder in einem der extraterritorialen Gebäude zur Verfügung.“
Das sechste Kapitel befasst sich mit den „Eigenheiten eines Mikrostaates“. Wer wissen will, wie etwa das Postwesen funktioniert oder wie sich Militär und Ordnungskräfte im kleinsten Staat der Welt verhalten, der jedoch täglich riesige Mengen von Pilgern und Touristen begrüßt, wird hier fündig.
Deutliche Einordnungen und Wertungen des Autors finden sich vor allem im letzten Kapitel. Die besondere Schwierigkeit des Vatikans bringt er auf den Punkt: „Es wird nicht säuberlich zwischen staatlichem und religiösem Bereich, zwischen weltlichen und geistlichen Fragen getrennt. Das gilt zum einen für die Person des Pontifex, der wohl das einzige Staatsoberhaupt der Welt sein dürfte, der dieses Amt als ‚Nebenjob‘ ausübt. Zum anderen hat die wichtigste Behörde der Kurie, das Staatssekretariat, sowohl Aufgaben in der Weltkirche als auch in der Staatsverwaltung. Selbst für einen Insider sind die Kompetenzen nicht immer klar zu unterscheiden.“
Nicht zustimmen kann man Ernesti mit Blick auf die Frauenfrage: „Warum nicht längst das Amt der Diakonin, das es in der Antike gegeben hat, wieder eingeführt worden ist, bleibt unerklärlich.“ Dass es weibliche Diakone im gleichen Sinne gab, wie man von männlichen Diakonen spricht, ist nämlich nicht korrekt. Entsprechend haben auch mehrere vom Papst eingesetzte Kommissionen keine entsprechenden Hinweise zu Tage fördern können.
An anderer Stelle räumt Ernesti ein: „Wieviel Sprengstoff diese Fragen, die letztlich mit der Genderproblematik zu tun haben, entwickeln können, zeigt das Beispiel des Anglikanismus, in dem es praktisch zu einem Schisma (einer Kirchenspaltung) zwischen westlichen und afrikanischen Kirchen gekommen ist. In der katholischen Kirche ist man leider noch weit davon entfernt, unterschiedliche kulturell bedingte Positionen als Ausdruck einer legitimen Vielfalt anzusehen.“ Wieso der Autor von „leider“ spricht, wenn doch im Satz davor von einem Schisma bei den Anglikanern die Rede ist, wird nicht ersichtlich.
Ernesti präzisierte mit Blick auf das Thema weiblicher Diakone gegenüber CNA Deutsch, seine Anregung im Buch beziehe sich darauf, „das altkirchliche Amt der Diakonin wiederzubeleben. Nach meiner Einschätzung – ohne dass ich da Experte bin – sind diese Diakoninnen oder Diakonissen nicht sakramental geweiht worden im heutigen Sinne. Ihre einzige liturgische Funktion war die Taufassistenz bei Frauen. Caritative Aufgaben dürften hinzugekommen sein, besonders da, wo der Einsatz von Männern nicht schicklich war.“ Im Übrigen lasse sich eine „Frauenordination“ historisch gesehen nicht mit der Tradition der Kirche begründen.
Das Buch „Der Vatikan. Geschichte, Verfassung, Politik“ bietet aufgrund seiner Kürze einen kompakten Überblick, der gleichzeitig zum Weiterstudium anregt. Einige Literaturhinweise am Ende des Buches bieten hierfür eine gute Ausgangslage.
Zuletzt aktualisiert am 12. April 2025 um 21:21 Uhr: Ergänzt um Präsizisierung von Jörg Ernesti.
Jörg Ernesti: Der Vatikan. Geschichte, Verfassung, Politik; Verlag C.H.Beck; 128 Seiten; 12 Euro; ISBN 9783406829307.
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