Christen, die das Martyrium als Triumph betrachten: Ein Gespräch mit Mosebach

Das SPIEGEL-Interview mit Martin Mosebach zu seinem gerade bei Rowohlt erscheinenden Buch "Die 21"

Martin Mosebach in Rom
EWTN / Paul Badde

"Dieses Buch ist aufregender, als fast alles, was wir in den letzten Jahrzehnten gelesen haben", so Paul Badde in seiner aufsehenerregenden Besprechung des Buches "Die 21: Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer" von Martin Mosebach. Walter Mayr, der erfahrene Korrespondent des "SPIEGEL" in Rom und beim Vatikan (früher in Moskau und Wien), hat den prominenten Romancier und Büchner-Preisträger dazu nun in Rom interviewt. Das bei "Spiegel Online" erschienene Gespräch veröffentlicht CNA Deutsch hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

SPIEGEL ONLINE: Herr Mosebach, Ihr Buch "Die 21" handelt von jenen koptischen Christen, die 2015 an einem libyschen Strand von IS-Schergen geköpft wurden. Warum haben Sie diesen Stoff gewählt?

Martin Mosebach: Ich kam auf den Stoff, als ich ein Bild eines dieser abgeschnittenen Köpfe gesehen habe - es war ein Gesicht mit dem Ausdruck eines eigentümlichen Friedens, einer eigentümlichen Trance. Mich hat das Bild dann nicht mehr losgelassen und ich beschloss, zu beschreiben, wie das Vorleben dieser 21 Männer war, bevor sie geköpft wurden. Und dann habe ich mich eben aufgemacht, bin ich nach Oberägypten gefahren und habe versucht, aus dem Umkreis der Hingerichteten mehr zu erfahren.

Was macht diesen speziellen Fall im Vergleich zu anderen vom IS begangenen Grausamkeiten für Sie besonders?

Die üblichen Terrorattacken richten sich gegen Menschen, die nicht befragt wurden über ihre Haltung zur Religion. Aber diese Menschen hier wurden vom IS befragt, nach über 40 Tagen Gefangenschaft; und sie standen zu ihrer Religion, das ist ein seltenerer Fall. Eigentlich besteht der Terror ja darin, dass er irgendjemanden trifft, der "unschuldig" genannt werden kann. Die meisten IS-Opfer sind, nebenbei gesagt, Muslime. Hier nun wurden die Opfer, christliche Kopten, mit vorgehaltener Waffe gefragt: "Stehst du zu dem, was du glaubst?"

Wo haben Sie das gesamte Video zum ersten Mal gesehen und wie ist es zu ertragen?

Das gesamte Video, das ungekürzte mit der richtigen Enthauptung, habe ich erstmals gesehen auf den Laptops der Verwandten der Ermordeten. In El-Or in Oberägypten. Im Kuhstall sozusagen, oder in den Häusern der Familien. Auf YouTube findet man inzwischen eine bereinigte Version, aber dort, in der Gemeinschaft der Brüder, der Vettern, der Väter, wird das mit Gelassenheit betrachtet. Und mit Stolz. Die zeigen dann in der Reihe der Geköpften auf ihren jeweiligen Verwandten, auf ihren Bruder, und sagen: "Das ist unser Samuel, das ist unser Abanoub."

Ist es das, was Sie am Verhalten der Opfer und später dann der Hinterbliebenen am meisten fasziniert oder erstaunt hat?

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Ich bin nach Oberägypten gefahren, geprägt durch das Bild, das wir im Westen von der verfolgten Christenheit im Nahen Osten haben. Vorgefunden habe ich hingegen eine starke, wachsende, große, entschlossene Kirche voller Leute, die in keiner Weise an die Wand gedrückt erschienen, sondern das Martyrium wirklich so wie in den ersten christlichen Jahrhunderten als großen Triumph empfunden haben.

Wachsende Kirche bedeutet: die Zahl der koptischen Gläubigen nimmt zu?

Ja, also sie ist jedenfalls viel größer als das, wovon wir hier lesen in Deutschland, wenn von acht oder neun Prozent der ägyptischen Bevölkerung die Rede ist. Obwohl auch das bei 90 Millionen Ägyptern schon ganz schön viele Menschen wären. Es sollen nach der Behauptung der koptischen Bischöfe aber an die 25 Prozent der Bevölkerung sein. Eine offizielle Statistik gibt es nicht, weil dem Staat daran nicht gelegen ist.

Wie sieht der Alltag der Kopten in Al-Sisis Ägypten aus?

Es gibt Verfolgung, es gibt auch rechtliche Abqualifizierung, ein Kopte kann keine Führungsposition erlangen, kann nicht General, Rundfunkintendant, Universitätsrektor, Minister werden, und ein Muslim darf einem Kopten nicht gehorchen. Aber das hindert diese Gruppe nicht, einen Staat im Staat zu bilden, eine Gemeinschaft mit hocherhobenem Haupt. Es gibt ja keinen anderen Ort, wo die Kopten hingehen könnten - die müssen dableiben, das ist ihre Heimat, sie sind ja die eigentlichen Nachfahren der Pharaonen. Das türkische Rezept von einst, die Armenier und die Griechen komplett zu vertreiben, das kann bei dieser Menge von Menschen nicht funktionieren. Ich habe nicht das Gefühl, wenn ich in einer koptischen Kirche bin, in einer im Untergrund befindlichen Gemeinschaft zu sein. Die Kirchen, die nach Mubaraks Sturz gebaut wurden, sind riesengroß, und die Türme sind manchmal höher als die Minarette der Moscheen.

Könnte die von Ihnen oft kritisierte, kriselnde Katholische Kirche von den koptischen Christen lernen?

Ja, das könnte sie: nämlich, dass man Bekenntnis ablegen muss anstatt wie Kardinal Marx auf dem Tempelberg in Jerusalem sein Kreuz zu verstecken - das könnte ein Kopte gar nicht, weil der sich sein Kreuz auf den Handrücken hat tätowieren lassen, zwischen Daumen und Zeigefinger. Die Juden bekamen den Stern in Deutschland aufgenötigt, der Kopte macht sich sein Kreuz selbst.

Haben Sie sich selbst die Frage gestellt während Ihrer Arbeit dort, wie wäre es denn, wenn das Ganze mir widerfahren würde?

Das ist doch klar, dass man sich diese Frage stellt. Mir wurde klar, dass das eine Anforderung ist, der auch ich mich zu stellen hätte. Ob ich sie meistern würde, steht auf einem anderen Blatt.

Welche Rolle spielt Ägyptens Präsident Abdel Fattah el-Sisi in Bezug auf die Kopten und die religiösen Konflikte im Allgemeinen?

Dieser Mann ist um sein Amt nicht zu beneiden.

Ist das Ihr Ernst?

Er hat den demokratisch gewählten Exponenten der Muslimbruderschaft Präsident Mursi gestürzt, nun gibt es eine Militärdiktatur und unter den Anhängern der Muslimbrüder einen wahnsinnigen Zorn über diesen Gewaltschlag gegen ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt. Dieser Zorn richtet sich auch gegen die Kopten, viele setzen natürlich auf die Diktatur, denn Mursi wollte sie weitgehend entrechten.

Das klingt so, als sei Sisi das geringere Übel für die Kopten.

Ja, aber er macht sich so zum Todfeind für einen großen Teil seines eigenen Volkes. Beispielswiese wurde im Dorf El-Or der Bau einer Kathedrale für die Kopten von Sisi selbst vorangetrieben. Er nimmt auch persönlich teil an der Weihnachtsmesse, an der Ostermesse, an Totenmessen. Er versucht, das Land stabil zu halten, damit der Deckel auf diesem explosionsbereiten Dampftopf nicht hochgeht.

Sie werden sich von konservativer Seite möglicherweise anhören müssen, dass Sie es in Ihrem Buch an den nötigen klaren Worten gegenüber den Tätern haben fehlen lassen - das Feindbild "Islamischer Staat" taucht nicht auf.

Der Islamismus war in diesem Fall weniger interessant für mich. Wichtig war mir die Rolle des Martyriums. Es ist von der christlichen Botschaft untrennbar.

 

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Sehen Sie hier ein EWTN-Interview, geführt von Paul Badde, mit Martin Mosebach.