UPDATE Eine Woche nach Köln: Was geschehen ist – Und warum wir jetzt die Kirche brauchen

Die gesellschaftliche Debatte in Deutschland droht zu kippen – Bischöfe und andere Kirchenverterter können einen wichtigen, positiven Beitrag leisten, dies zu verhindern

Der Hauptbahnhof von Köln. Eine Aufnahme aus dem Jahr 2010
Raimond Spekking via Wikimedia (CC BY-SA 4.0)

ZWEITES UPDATE: Nach oben korrigierte Zahl an Anzeigen und Verbrechen – mittlerweile hat Kardinal Marx, acht Tage nach den Verbrechen, eine erste kurze Stellungnahme abgegeben. CNA hat diese dokumentiert.

Die Neujahrsnacht und ihre Folgen – eine Woche später: Zwischen Beschwichtigungsmanövern und populistischer Stimmungsmache schillert ein Großteil der öffentlichen Debatte einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft. In Düsseldorf ist eine Bürgerwehr entstanden; die Sorge um eine "kippende Stimmung" macht die Runde. Und die Konsequenzen sind längst international, nicht nur in Form besorgter Anfragen von Frauen, die nach Deutschland reisen wollten. Der slowakische Regierungschef Robert Fico hat angekündigt, sein Land werde keine weiteren Muslime aufnehmen: "Wir wollen nicht, daß auch in der Slowakei etwas wie in Deutschland geschehen kann". 

Um zu verstehen und einzuorden, welche Tragweite die Ereignisse der vergangenen Tage haben, können zwei Dinge sachlich voneinander getrennt werden. Zum einen die Verbrechen der Silvesternacht. Zum anderen die Reaktion deutscher Medien, der Politik – und der Kirche. Deren Stimme – die der Bischöfe und prominenter Christen – wird dringend gebraucht.

Was ist geschehen?

Die Verbrechen: Eine Woche später stellt sich die Faktenlage wie folgt dar: In der Nacht vom 31. Dezember 2015 auf den 1. Januar 2016 wurden in zahlreichen Städten in Deutschland und Österreich dutzende Frauen und Mädchen Opfer brutaler sexueller Erniedrigung, Gewalt und anderer schwerer Verbrechen.

Wie viele insgesamt – und wo überall – beschimpft, geschubst, bespuckt, geschlagen, begrapscht, ausgeraubt, verhöhnt wurden, ist noch unklar. Allein in Köln kam es zu gut 200 Anzeigen, meldet der "Spiegel". In manchen Fällen wurde Mädchen die Unterwäsche vom Körper gerissen; in mehreren Städten kam es zu Vergewaltigungen. Im Chaos von Köln, wo auch Feuerwerkskörper auf Menschen gefeuert wurden, befürchteten führende Polizeibeamte sogar Tote, melden Zeitungen.

Die mutmaßlichen Täter waren, so die Polizeiberichte und Augenzeugen, Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan, und andere Ausländer “arabischen und nordafrikanischen Aussehens”. Gestohlene Handys ortete die Polizei in Flüchtlingsunterkünften und deren Umgebung, melden Medien.

Die Polizei, vor allem in Köln, war überfordert und wurde zum Teil selber Opfer von Gewalt und Übergriffen. In Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Salzburg und an anderen Orten geschahen ähnliche Verbrechen. In Weilheim an der Ruhr wurden zwei Mädchen, 14 und 15 Jahre alt, offenbar von einer Gruppe Syrer mehrfach vergewaltigt. Auch in Oberbayern sucht die Polizei nach Zeugen wegen ähnlicher Delikte durch "südländisch aussehende" Täter.

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Die bisherige Reaktion

Sie kann in drei Phasen getrennt werden.

  1. Zuerst gab es seitens Verantwortlicher der Politik und Polizei – vor allem des Kölner Polizeichefs – sowie einiger Medien – keine vernünftige Reaktion oder Berichterstattung. Offenbar auch aus Angst, "politisch heikel" entscheiden zu müssen, die Dinge beim Namen zu nennen. Die Kölner Polizei meldete am Morgen des 1. Januars erst einmal keine besonderen Vorkommnisse in der Silvesternacht; das ZDF reagierte so unbeholfen und unjournalistisch, dass sich der Sender später dafür entschuldigte. Diese und andere Vorkommnisse führten zum “Verdacht eines Schweigekartells”, wie die Zeitung “Die Welt” kommentierte. Denn schnell wurde über andere, nicht gebührenfinanzierte Medien bekannt, was Opfer und Polizisten vor Ort erlebten.
  2. Die Reaktion ging damit in eine zweite Phase: Eine breite Empörung und tiefe Verunsicherung in der Bevölkerung. Einmal über das Verbrechen, und dann über die Reaktion in Politik und Medien. Diese Empörung und Verunsicherung dauert zur Stunde an, und es ist jetzt schon klar: Sie wird ernste gesellschaftliche Folgen haben, nicht nur für die Politik, welche die bisherige Migrationspolitik verantwortet.
  3. Der vor allem politisch wie medial geführte Kampf darüber, wie diese Folgen aussehen: Das ist die dritte Phase, die seit gestern vollends eingetreten ist. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschreibt es so: "Es beginnt erst jetzt eine ernsthafte Debatte darüber, was mit diesem Land seit der faktischen Grenzöffnung im September vergangenen Jahres passiert ist und was noch passieren könnte." Mit anderen Worten: Es ist auch das Ringen um die Deutungshoheit, nicht (nur) über die Verbrechen des 31.12. und wie diese geschehen konnten; hier wird die Zukunft der deutschen Gesellschaft verhandelt, inklusive der Einwanderer und Flüchtlinge, von denen 2016 wieder über eine Millionen erwartet werden.

Stellt sich die Frage, wo und wie die Kirche hier, in dieser entscheidenden gesellschaftlichen Debatte, mitspielt.

Die Rolle der Kirche

Eine ganze Woche ist vergangen, und bis heute liegt keine schriftliche Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) oder auch nur eines einzelnen Ortsbischofs vor.

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Auf  Anfrage von CNA an die DBK hat deren Pressesprecher vor einigen Stunden mitgeteilt: “Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich bisher nicht geäußert, weil wir die Klärung der Situation abwarten wollen und müssen: Wer waren die Täter, was ist wirklich passiert. Die Nachrichtenlage ändert sich ja stündlich.”

Die DBK verweist weiter auf die Aussagen von Kardinal Rainer Maria Woelki und des Hamburger Weihbischofs Hans-Jochen Jaschke.

Was Kardinal Woelki und Weihbischof Jaschke gesagt haben

Der Erzbischof von Köln hat in einer Messe zum Dreikönigstag, fünf Tage nach den Verbrechen, klare Worte zur Verteidigung der Würde der Opfer gesprochen. Der andere gab gestern Radio Vatikan ein Interview, in dem er droht, “böse und aggressiv” zu werden, wenn muslimische Flüchtlinge pauschal verurteilt würden.

Kardinal Woelki sagte wörtlich im Kölner Dom am 5. Januar:

“Wo wehrlose, den Jahreswechsel feiernde Frauen ohnmächtig den Übergriffen einer marodierenden Horde ausgesetzt sind, da stellt sich Gott entgegen und will, dass auch wir uns dort solchen Ausschreitungen entgegen stellen und die Würde, in diesem Fall die Würde so vieler Frauen, verteidigen”.

Was sonst aus Köln zu hören war – ein Statement des Domprobstes – wurde bei CNA bereits berichtet und kommentiert. In einem weiteren Interview rief der Stadtdechant die Menschen zur “Zivilcourage” auf. Offenbar war (auch) er noch nicht darüber informiert, was vor seinem eigenen Dom geschehen war.

Weihbischof Jaschke droht, “böse und aggressiv” zu werden

Dann gab gestern, genau eine Woche nach den Verbrechen, der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke der Journalistin Gudrun Sailer von Radio Vatikan ein Interview. Darin warnte er vor einer Pauschalverurteilung von muslimischen Flüchtlingen und erklärte, dass die Religion der mutmaßlichen Täter nicht ausschlaggebend sei, weil Frauen im Islam zwar einen “anderen Stellenwert” hätten, aber nicht so behandelt werden dürften. Über die Opfer der Gewalt und deren verletzte Würde spricht Bischof Jaschke Interview nicht.

Wörtlich sagte der Hamburger Weihbischof stattdessen weiter: Zwar müsse, wer Asyl bekommen wolle, "sich auf unser Grundgesetz, auf die Grundwerte und auf die Grundhaltungen, die in unserem Zusammenleben gelten” verpflichten. Und: “Wer dagegen verstößt, der ist kriminell und wird bestraft, und wenn es ganz schlimm ist, muss eben auch eine Ausweisung erfolgen”.

“Aber noch einmal: Ich möchte das Vorgefallene nicht zum Anlass nehmen, eine pauschale Verdächtigung der guten Meinung über die Flüchtlinge, die Hilfe brauchen, herbeizuführen. Da werde ich ganz aggressiv und böse, weil ich die Töne jetzt schon höre, auch in bestimmten Parteien.”

Und jetzt?

Eine Stellungnahme der DBK, beziehungsweise eine öffentliche Reaktion ihres Vorsitzenden, Kardinal Reinhard Marx, ist zu erwarten, und nur eine Frage der Zeit. Dann wird die DBK, dann werden die deutschen Bischöfe ihre Rolle als gesellschaftliche Vermittler, Stimmen des Glaubens und der Vernunft, und des Trostes für die Opfer wahrnehmen können. Wenn sie es denn tun. Auch angesichts der aufgeheizten Stimmung und – nicht nur verbalen – Entgleisungen von Politikern und Journalisten werden sie dringend gebraucht. Dieses Land braucht die Kirche und die Frohe Botschaft, die sie in der Person von Jesus Christus bringt, mehr denn je.