Der Mini-Papst und die "Horror-Krippe": Der Vatikan und seine Krippenszenen

Die Krippe auf dem Petersplatz im Jahr 2020
Die Krippe auf dem Petersplatz im Jahr 2020
Edward Pentin / National Catholic Register
Die Krippe auf dem Petersplatz im Jahr 2020
Die Krippe auf dem Petersplatz im Jahr 2020
Edward Pentin / National Catholic Register
Die Krippe auf dem Petersplatz im Jahr 2020
Die Krippe auf dem Petersplatz im Jahr 2020
Edward Pentin / National Catholic Register
Erzbischof Rino Fisichella bei der Einweihung der "100 Krippen im Vatikan" am 13. Dezember 2020
Erzbischof Rino Fisichella bei der Einweihung der "100 Krippen im Vatikan" am 13. Dezember 2020
Daniel Ibanez / CNA Deutsch

Die Empörung ist groß: Ausgerechnet im "Annus Horribilis" 2020 hat der Vatikan eine Krippe auf dem Petersplatz aufgebaut, auf die die allermeisten Gläubigen mit Spott und Horror reagieren – und über die Kunsthistoriker sagen, dass sie "mit Kunst wenig zu tun hat". 

Nun sind Geschmäcker bekanntlich verschieden, und auch wenn die Nerven heuer besonders blank liegen – aus guten Gründen – gibt es im Vatikan noch mehr kreative Krippen zu sehen. Derzeit sogar direkt am Petersplatz.

Zu den sehenswerten Neuheiten der diesjährigen Ausstellung "100 Krippen im Vatikan" gehört ein "Mini-Papst": Eine Miniatur von Papst Franziskus, der das Christkind ehrt, wie CNA-Romkorrespondentin Hanna Brockhaus berichtet.

Wie unschwer zu erkennen, bildet die Krippe eine Schlüsselszene des Jahres 2020 ab: Der einsame Papst Franziskus, unter dem berühmten Pestkreuz der Ewigen Stadt stehend, segnet im römischen Regen die kranke Stadt und den von Covid-19 gebeutelten Erdkreis.

Alle Bilder in diesem Artikel: Hannah Brockhaus / CNA Deutsch

Viele der Krippen sind traditionell, aber kreativ. So wie auch die jährliche Krippenausstellung, die mittlerweile Tradition ist: Sie begann im Jahr 1976. Bis zum Jahr 2018 wurden die Krippen auf der Piazza del Popolo in Rom ausgestellt. Heuer ist das dritte Jahr, in dem die Ausstellung unter der Leitung des Vatikans steht; aber in diesem Jahr der Coronavirus-Pandemie wurden die Krippen aus Sicherheitsgründen ins Freie verlegt, unter einen Teil von Berninis berühmter Kolonnade, die den Petersplatz umschließt.

Aus Platzgründen ist die Ausstellung in diesem Jahr auch etwas kleiner: Erzbischof Rino Fisichella, der den Päpstlichen Rat für die Förderung der Neuevangelisierung leitet, sagte gegenüber CNA, dass etwa 70 Krippen zur Besichtigung aufgestellt sind.

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"Jeder wird in der Lage sein, innezuhalten und die Schönheit vieler Krippen aus verschiedenen Teilen der Welt zu bewundern und zu verstehen, wie viel Liebe und Vorstellungskraft in die Erschaffung der Krippenszene gesteckt wurden", heißt es in einer Pressemitteilung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung.

Die meisten Krippen sind aus Italien. Neben den traditionellen gibt es auch Krippen aus Papier, aus Stroh, Steinen – und sogar "aus Schrift", genauer: Handgefertigt aus einer Schreibmaschine.

Einige der Krippen wurden von Schulkindern angefertigt, oder begeisterten Amateuren. Große Schilder mit Zitaten von Papst Franziskus über die Bedeutung der Krippe vervollständigen das Ensemble. Und: So kreativ und innovativ die Krippen sind – die Aussagen der Kleriker zur Krippe laufen nicht Gefahr, unvertraut zu klingen.

"Wenn wir uns traurig oder einsam fühlen, sollten wir uns der Krippe nähern und auf das Jesuskind blicken, das von uns herzlich aufgenommen werden möchte. Dann strecken auch wir unsere Arme aus, halten ihn und wir werden uns weniger allein fühlen", sagte Fisichella etwa gegenüber den eigenen "Vatican News".

Viele Krippen wurden auch in den vergangenen Jahren schon einmal ausgestellt – aber es gibt ein paar neue für 2020. Zum Beispiel haben die Feuerwehrleute des Vatikans eine Weihnachtskrippe zusammengestellt, die in einem alten Feuerlöscher eingebaut ist. 

Während Neugierige sich über die Vielfalt freuen, die noch bis zum 10. Januar ausgestellt wird, geht die Kontroverse um die große "Horror-Krippe" neben Christbaum und Obelisk auf dem Petersplatz weiter.
 
Die in Rom ansässige Kunsthistorikerin Elizabeth Lev (Duequesne University) sagte gegenüber dem "National Catholic Register":  "Diese Krippe ist so spaltend, ich höre nicht viele Stimmen, die diese verteidigen". Gerade in diesem für viele schwierigen Jahr erhofften sich die Menschen vom Vatikan etwas Erbauliches. Man schaue da zur Kirche im Verlangen nach der "Tradition der Schönheit", fügte sie hinzu. Stattdessen huldige man dort jedoch offenbar "dieser seltsamen, modernen Abscheu und Ablehnung unserer Traditionen". 
 
Wie andere Kunstexperten warnt sie vor "Innovation um der Innovation willen". Ein weiterer römischer Kunstgeschichtler, der anonym bleiben wollte, bezeichnete gegenüber CNA Deutsch  "diese 'Darstellungen' als hässlich, hoffnungslos und unpassend für unsere Zeit". Der Historiker stellte trocken fest: Mit "Kunst haben dieses Objekte wenig zu tun". 
 
Die Installation hat nicht nur vor Ort, sondern auch vor allem für vehemente Reaktionen in den Sozialen Medien gesorgt. Die Kunsthistorikerin Lev sagte, sie habe viel Spott von Passanten gehört. Zudem hätten aber "viel zu viele" mit dem Wort dämonisch um sich geworfen. Dass sich jemand beim Anblick dieser Installation für den christlichen Glauben erwärmte, habe sie nicht gehört. 
 
Tatsächlich teilte der Vatikan mit, die Krippe sei von altgriechischen, ägyptischen und sumerischen Skulpturen beeinflusst. Der Kunsthistoriker Andrea Cionci führte dies in der italienischen Tageszeitung Libero Quotidiano" auf die "liberale historisch-kritische Methode der Schriftauslegung" zurück, die "nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Oberhand gewann." Dieser Ansatz habe eine "Tendenz, alles Übernatürliche im katholischen Glauben zu entmystifizieren". Demnach würden katholische Dogmen "in die Überreste von vorher existierenden heidnischen Kulten assimiliert." 

Eine Petition entsetzter Katholiken fordert inzwischen den Abbau der kuriosen Keramik-Gestalten. Und Papst Franziskus wurde zur "digitalen Generalaudienz" aus der Bibliothek des Apostololischen Palastes am gestrigen Mittwoch mit einer traditionellen italienischen Krippe gezeigt.

So richtig "zeitgenössisch" sind übrigens die Krippenfiguren nicht. Wie so vieles, was sich gerne als "fortschrittlich" in Kirchenkreisen bezeichnet, ist es eher eine Zeitreise in die nicht nur kirchlich turbulenten 1970er und 1980er Jahre; eine Ära, die neben der "historisch-kritischen" Methode ausgezeichnet wird von einem, nun ja, unverfänglichen Umgang mit Sinn, Schönheit, Wahrheit oder Tradition. 
 
So wurden die Keramik-Gestalten in den Jahren 1965 bis 1975 in der Stadt Castelli in der Diözese Teramo in den Abruzzen in Mittelitalien hergestellt. Entworfen haben – was niemanden überraschen wird – die Krippe zwei damalige Kunstprofessoren, Gianfranco Trucchia und Roberto Bentini. Ihre kontroverse Krippe wurde laut Edward Pentin erstmals im Dezember 1965 ausgestellt, dann 1970 in Rom und einige Jahre später in Jerusalem, Bethlehem und Tel Aviv gezeigt. Verschiedene Figuren wurden hinzugefügt, darunter ein Muslim und ein jüdischer Rabbiner, wodurch sich die Gesamtzahl auf 54 erhöhte. Nicht alle sind derzeit im Vatikan dabei. 

Fausto Cheng, einer der damaligen Studenten, der bei der Erstellung der Figuren geholfen hat, sagte in einem Interview im Jahr 2018, dass die Krippe "revolutionäre Aspekte" habe: "vom Brechen der klassischen Muster der Keramikkunst, der Verwendung von Farbe, der Darstellung der Geburt Christi auf eine originelle Weise." Er fügte hinzu, dass die Krippe bei ihrer Kreation "durchdrungen war von zeitgenössischen Ereignissen der damaligen Zeit", wie zum Beispiel "die Mondlandung, das Zweite Vatikanische Konzil und die Abschaffung der Todesstrafe".
 
Zumindest die letzten beiden Themen liegen auch Papst Franziskus bekanntlich am Herzen.

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