Keine Wiederbelebung für behinderte Covid-19-Patienten in britischen Krankenhäusern

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Ian Taylor / Unsplash (CC0)

Behinderte Menschen erhalten in britischen Krankenhäusern offenbar keine lebensverlängernden Maßnahmen während der zweiten Coronavirus-Pandemie im Vereinigten Königreich (UK), mit einer noch unbekannten Zahl möglicher Todesfolgen.

Das zeigen Recherchen der Zeitung "The Guardian" sowie der internationalen "Catholic News Agency" (CNA).

Der Neurologe und Ordenspriester Dr. Patrick Pullicino forderte gestern gegenüber CNA eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe, die am 13. Februar von der britischen Zeitung berichtet wurden.

 

Nach Angaben der Behindertenorganisation Mencap wurde im vergangenen Monat bekannt, dass Menschen mit Lernbehinderungen gesagt wurde, dass sie nicht wiederbelebt werden würden, wenn sie sich mit dem Coronavirus infizierten.

Die Care Quality Commission, eine britische Aufsichtsbehörde für das Gesundheitswesen, kam im Dezember zu dem Schluss, dass die Entscheidung, keine kardiopulmonale Wiederbelebung zu versuchen (Do Not Attempt Cardiopulmonary Resuscitation, DNACPR), im Jahr 2020 zu potenziell vermeidbaren Todesfällen geführt hat.

Pater Dr. Pullicino hatte im Mai 2020 mit Blick auf die hohen Todeszahlen in Seniorenheimen bereits eine Untersuchung gefordert.

"Dieser Generalangriff zuerst auf ältere Menschen und jetzt auf Behinderte erfordert eine vollständige unabhängige Untersuchung", sagte Pullicino am 14. Februar gegenüber CNA.

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"Warum wurden die Schwachen ins Visier genommen, obwohl sie geschützt werden sollten?" 

Großbritannien hat mit 67 Millionen Einwohnern die fünfthöchste Zahl an COVID-19-Todesfällen weltweit –  nach den Vereinigten Staaten, Brasilien, Mexiko und Indien. 

Pater Pullicino ist ehemaliger Leiter der Abteilung für Neurologie und Neurowissenschaften an der New Jersey Medical School (USA).

Im Jahr 2012 schlug der Mediziner und Ordensmann Alarm über den sogenannten "Liverpool Care Pathway (LCP)", ein umstrittenes Regelwerk, dass die medizinsche Begleitung zum Lebensende neu regeln sollte. Nach einer Untersuchung im Auftrag der britischen Regierung wurde der LCP wieder abgeschafft. Pater Dr. Pullicino erklärte gegenüber CNA am 14. Februar, dass die LCP-Kontroverse immer noch den National Health Service (NHS) überschattet.

"Das Gespenst des Liverpool Care Pathway sucht den NHS immer noch heim und trifft diejenigen, die seine Hilfe am meisten brauchen", sagte er.

Laut dem "Guardian" prüft die Berhindertenorganisation Mencap, ob mehreren Patienten keine wiederbelebenden Maßnahmen gegeben wurden, weil sie eine Lernbehinderung hatten. 

(Als Lernbehinderung werden international unter anderem Entwicklungsstörungen klassifiziert.)

Pater Pullicino stellte fest, es sei "sehr traurig und inakzeptabel", wenn Menschen mit Lernbehinderung, die mit Covid-19 in einem Krankenhaus liegen, keine lebensverlängernden Maßnahmen erhalten. 

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"Leider liegt das direkt an dem COVID-19-Überweisungsalgorithmus für die Intensivstationen. Dieser Algorithmus stuft Menschen mit Lernbehinderungen oder Autismus zusammen mit unter 65-Jährigen als 'potenziell gebrechlich' und daher nicht für die Pflege auf der ITU [Intensivstation] geeignet ein", erklärte der Arzt und Priester.

Aktivisten haben die britische Regierung dafür kritisiert, dass sie nicht prioritär Menschen mit Lernbehinderungen gegen Coronavirus impfen läßt, da Menschen mit Behinderungen nach einer Ansteckung mit COVID-19 ein höheres Risiko haben, daran auch zu sterben: Der "Guardian" zitierte Zahlen des NHS, die zeigen, dass in den fünf Wochen seit Beginn der letzten "Lockdown"-Maßnahmemn eine Erkrankung an COVID-19 für 65 Prozent der Todesfälle von Menschen mit Lernbehinderungen verantwortlich war.

Bereits im November ziegte eine Studie von Public Health England, dass Menschen mit Lernbehinderungen eine bis zu sechsmal höhere Todesrate durch COVID-19 haben als die allgemeine Bevölkerung. Diese Untersuchung kam auch zu dem Schluss, dass die Todesrate bei Menschen mit Lernbehinderungen im Alter von 18 bis 34 Jahren 30-mal höher war.

Pullicino skizzierte gegenüber CNA, wie seiner Meinung nach COVID-Patienten mit Lernbehinderungen behandelt werden sollten.

"Erstens sollte keine behinderte Person ohne ihre Zustimmung oder die ihrer nächsten Angehörigen auf eine DNR-Anordnung gesetzt werden."

"Zweitens sollte es vorgeschrieben werden, dass eine behinderte Person geimpft werden muss, bevor sie auf DNR gesetzt werden kann."

"Drittens sollten behinderte Menschen vorrangig für Behandlungen gegen COVID mit Medikamenten wie Remdesivir und die akute Antikörperbehandlung, die kürzlich in Großbritannien entwickelt wurde, in Frage kommen."

"Viertens: Der NHS ist dazu da, alle kranke Patienten zu behandeln – und nicht nur die nicht-behinderten Kranken. Diese 'De-Priorisierung' der Schutzbedürftigen ist nicht nur ethisch falsch. Es gibt auch keine medizinische Rechtfertigung dafür."

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