Professor Wolffsohn: Unterschied zwischen Krieg und "Clash of Civilizations"

CNA-Interview mit dem renommierten Historiker und Konflikt-Experten

Erschütternde Zeugnisse der Trauer, Anteilnahme und Fassungslosigkeit: Vor der französischen Botschaft in Rom, wie an vielen anderen weltweit, haben Menschen Briefe, Bilder, Kerzen und Blumen hinterlassen.
Erschütternde Zeugnisse der Trauer, Anteilnahme und Fassungslosigkeit: Vor der französischen Botschaft in Rom, wie an vielen anderen weltweit, haben Menschen Briefe, Bilder, Kerzen und Blumen hinterlassen.
CNA/Elise Harris
Der Autor und Historiker Michael Wolffsohn
Der Autor und Historiker Michael Wolffsohn
www.wolffsohn.de

Es ist ein "Krieg": In dieser Wortwahl sind sich Papst Franziskus, Frankreichs Präsident Francois Hollande wie auch der "Islamische Staat" einig. Wie das "leider nur noch nennchristliche" Westeuropa darauf reagiert, analysiert der Historiker und Konflikt-Experte Michael Wolffsohn. Er ist unter anderem Autor von "Zum Weltfrieden" (erschienen 2015) und dem bereits in zwölfter Auflage erschienen "Wem gehört das Heilige Land?". 

CNA: Herr Professor Wolffsohn, der "Islamische Staat" hat in Paris blutig unter Beweis gestellt, dass er mitten in Europa zuschlagen kann. Nun sprechen nicht nur Präsident Hollande und Papst Franziskus offen von Krieg. Stimmen Sie zu? Gibt es den "Clash of Civilizations" auf europäischem Boden zwischen einem säkularem Westen und dem Islamismus?

WOLFFSOHN: Krieg und Clash of Civilizations sind völlig unterschiedliche Dinge. Oder besser: Jener Clash muss nicht Krieg bedeuten. Schon seit den späten 1960er nutzen arabische und islamische Terroristen Westeuropa als nahöstliche Zusatzfront. Das wird oft vergessen. Dieser Clash hängt, anders als bisher immer falsch behauptet, nicht in erster Linie mit dem Konflikt Palästina-Israel zusammen. Man hat geflissentlich übersehen wollen, dass eine demografische Revolution seit den 1960ern in Westeuropa stattfindet. Immer mehr Menschen kamen aus dem islamischen Orient und kommen in den früher mal wirklich christlichen Okzident, der heute mehrheitlich leider nur noch nennchristlich ist. Obwohl sich Westeuropa vom Christentum weitgehend gelöst hat, werden die Menschen aus dem Orient als fremd und unheimlich empfunden – und umgekehrt. Der Terror ist der Hauptgrund. Dadurch gerät die Mehrheit der Muslime in Europa unter Generalverdacht. Das ist falsch und verwerflich. Aber: Die wenigsten Muslime sind Terroristen, aber fast alle Terroristen sind Muslime.

CNA: Welche Rolle spielen, ja, welchen Platz haben Christentum und Judentum in dieser Situation? 

WOLFFSOHN: Die des Objekts beziehungsweise des Ziels, nicht des handelnden Subjekts. Anders die Juden in Israel. Sie sind beides: Objekt und Subjekt. Israelis werden von Islamisten und arabischen Nationalisten weniger als Besatzer attackiert denn als Juden. Traurig, aber wahr. Man hört meisten Rufe wie „Tod den Juden“, nicht „Tod den Israelis“, wenngleich auch das schon schlimm genug wäre. Papst Franziskus hat ja den löblichen, doch vorhersehbar völlig vergeblichen Versuch unternommen, durch ein gemeinsames Friedensgebet im Vatikan eine Brücke zwischen Israel beziehungsweise Juden und Palästinensern beziehungsweise Muslimen zu bauen. Er lud die Präsidenten Peres und Abbas in den Vatikan ein. Trotzdem ist seitdem noch mehr Blut geflossen.

CNA: Wie bewerten Sie die Migrationskrise vor diesem neuen Hintergrund? Mindestens einer der Täter von Paris soll als "Flüchtling" aus Griechenland gekommen sein; in Rosenheim wurde am Donnerstag ein mutmaßlicher Täter verhaftet. Müssten auch Deutschland und andere Länder Grenzkontrollen wieder einführen, so wie es Frankreich und Belgien ab heute tun?

WOLFFSOHN: Das ist ein operatives Problem, über das Sicherheitsexperten befinden müssen. Ich analysiere Strukturen. Dazu gehört diese Feststellung: Grenzen markieren einen Rechtsraum, in dem bestimmte Werte durch für alle verbindliches und bei uns gleiches Recht geregelt werden. Wer mit oder ohne offene Grenzen nicht weiß, wer im eigenen Rechtsraum anwesend ist, verliert die Kontrolle über denselben. Im Klartext: Der Staat verzichtet auf seine Staatlichkeit und ist langfristig nicht steuerbar.

 

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