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Sakramente in Zeiten von Corona (Teil 2/2)

Die Sakramente der Kommunion, der Ehe und der Krankensalbung: Ausschnitt des Triptychons Altar der sieben Sakramente von Rogier van der Weyden (um 1450).
Ein Sanitätswagen vor dem leeren Petersplatz am 6. März 2020
Professorin Marianne Schlosser
Der heilige Thomas von Aquin hält in dieser Darstellung die Kirche in seiner Hand, in deren Mitte die heilige Eucharistie prangt.

(Fortsetzung des Essays "Sakramente in Zeiten von Corona" von Marianne Schlosser - hier geht es zu Teil 1).

Stellvertretende Kommunion?

Zur Begründung oder Verteidigung wird zuweilen auch heute noch der Gedanke vorgebracht, dass der Priester "stellvertretendfür die Gläubigen kommuniziere, oder neuerdings in abgewandelter Form: die wenigen Gläubigen, die wirklich und nicht nur virtuell teilnehmen können, empfingen stellvertretend das Sakrament.

Freilich hat alles, was ein Glied des Leibes Christi an Gutem oder auch an Bösem tut, Auswirkungen auf den ganzen Leib, das gilt auch für den Empfang der Sakramente – wie es etwa beim Bußsakrament deutlich wird: Denn wenn ein leidendes Glied geheilt wird, ist das eine Erleichterung für den gesamten Körper, um mit Paulus zu sprechen. Man wird auch beim Empfang der Kommunion nicht nur an sich selbst denken; man wird, wie Edith Stein schrieb, nicht nur die eigenen Angelegenheiten vorbringen, sondern sich die Angelegenheiten des Herrn zu eigen machen. Denn auch die Verbundenheit mit allen, die Ihm verbunden sind, wird intensiviert. "Was der Einzelne darbringt, werde allen zum Heil" (Gabengebet), und was der Einzelne an Stärkung empfängt, hat Auswirkung auf den gesamten Leib der Kirche. Ja, Gertrud d. Gr. erhält die Zusage Christi, sie werde beim Empfang der Kommunion alle, für die sie bete, "mit sich ziehen". 

Dennoch gibt es offensichtliche Grenzen der Vertretbarkeit, vor allem, wenn „vertreten“ so viel bedeuten würde wie „ersetzen“. Aufgrund der Einmaligkeit jeder geschaffenen Person kann das, was die eine ihrem Schöpfer zu geben hat, keine andere geben (vgl. dazu besonders Guardini, Vom Sinn der Kirche, 5.Aufl. Mainz 1990, 91f.). Es wäre anmaßend, eine andere Person ersetzen zu wollen. Das spiegelt sich auch im sakramentalen Bereich. Man kann zum Beispiel für jemanden Bußwerke übernehmen – aber man kann nicht für einen anderen bereuen, beichten, oder sich taufen lassen.

Jedes Sakrament wird von einer konkreten Person empfangen. So muss die Frage erlaubt sein: In welcher Weise kann jemand dann für andere stellvertretend kommunizieren? Wird hier nicht die ekklesiale Dimension überspannt? Die liturgischen Texte weisen vielmehr auf die Unvertretbarkeit des Einzelnen hin, der das Sakrament empfängt: Während das Hochgebet und das Vaterunser im "Wir" der Kirche vereint mit ihrem Haupt gesprochen werden, wird unmittelbar vor der Kommunion bekannt: "Ich bin nicht würdig".

…oder Verzicht aus Solidarität?

Es gibt auch so etwas wie die Umkehrung dieses Denkens: Gläubige, die sich der Kommunion enthalten aus Solidarität mit denen, denen der Empfang des Sakraments nicht, oder derzeit nicht, möglich ist. Es kommt sogar vor, dass Obere geistlicher Gemeinschaften diese Praxis befürworten oder anordnen.

Die Ehrfurcht vor dem Geheimnis des anderen Menschen und seiner Beziehung mit dem Herrn erfordert, auch zu respektieren, wenn jemand sich zuweilen der sakramentalen Kommunion enthält. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Aber ist dieser Grund tragfähig?

Kommunizieren zu können, ist eine Gnade - eine unverdiente Gnade; und es ist verständlich, dass man sich geradezu dafür schämt, aus unerfindlichen Gründen zu denen zu gehören, die eingeladen sind und der Einladung auch folgen können. Aber gerade weil es unverdient ist, und wir nicht wissen, warum ausgerechnet "mir" das zuteil wird, sollte man sich gut überlegen, mit welcher Begründung und mit welchem Recht man die Möglichkeit ausschlägt. Sind wir es, die entscheiden? Am Ende könnte sich der Verzicht als eine überhebliche Zurückweisung des Gastgebers herausstellen, als ein versteckter Vorwurf an ihn (vgl. Jes 7,12:  "Ich will um nichts bitten...").

Ich gestehe, mir fällt kein einziger Heiliger ein, der oder die eine solche Auffassung vertreten hätte. Caterina von Siena, die wahrhaftig wusste, was geistliche Verbundenheit mit den von Gott Entfremdeten bedeutet, die zum Schrecken ihres Beichtvaters Gott darum bat, dass die Strafen der Hölle auf sie selbst gelegt würden, damit niemand mehr verdammt würde, wäre nicht auf die Idee gekommen, nicht zu kommunizieren, weil andere nicht kommunizieren konnten. Sie hat das päpstliche Privileg angenommen, dass die Priester, die mit ihr auf Reisen waren, täglich die heilige Messe feiern konnten, auch in Gebieten, die unter dem Interdikt standen! Oder Mutter Teresa von Kalkutta, bereit, die Verlassenheit Christi und seinen Durst nach der Glaubenshingabe der Menschen seelisch mit zu erleiden, hätte in keiner ihrer Niederlassungen auf die Kapelle mit dem Allerheiligsten oder die heilige Messe verzichtet. Und Edith Stein, die so sehr wünschte, anderen etwas von ihrer Last abnehmen zu können, konnte sich nicht vorstellen, wie man auch nur ein einziges Mal die heilige Messe ausfallen lassen könne, sobald man begriffen habe, welches Gut sie ist.

"Einfältige Dankbarkeit", das schlichte Annehmen eines Geschenkes mit Freude, ist ein sicheres Anzeichen der Demut. So scheint mir angemessener zu sagen: Wenn Gott mir diese Gnade zuteil werden lässt, dann vermutlich deswegen, weil er weiß, dass ich schwächer bin als andere, oder er mir andere Aufgaben zumuten will.

Im Übrigen gilt auch das Umgekehrte: Wir wissen nicht, welche Mühen und Kämpfe andere haben, die wir vielleicht um ihre sichtlichen oder mutmaßlichen Gnadengaben beneiden. Und wer mit Paulus denkt, der wird damit rechnen, dass durch die Stärkung einzelner Glieder auch anderen Gliedern des "Leibes" Gutes zuteil wird, auf Wegen, die wir nicht wissen.

Aber selbst wenn nun jemand innerlich zu der Überzeugung gelangt wäre, diesen Verzicht als Opfer bringen zu sollen, so könnte diese Person die Entscheidung einzig für sich selbst treffen – sie kann und darf "eucharistisches Fasten" von anderen, zum Beispiel Untergebenen, nicht fordern oder auch nur nahelegen. Das könnte man mit Fug und Recht als Missbrauch geistlicher Autorität bezeichnen. Denn Kommunion vollzieht sich in der Intimität zwischen Christus und dem Gläubigen. Die Richtschnur für Gewissensentscheidungen ist die objektive Lehre der Kirche, nicht der spirituelle Geschmack von Oberen.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Häufige Kommunion – zu häufig?

Nicht selten wird auch argumentiert: "Früher" habe man auch nicht so häufig kommuniziert, und die Leute seien nicht schlechter oder ungläubiger gewesen als heute.

Dies sollte in der Tat ein Anlass zur Gewissenserforschung ein. Ist die heiligen Kommunion zur Routine geworden? Was sind die Beweggründe für den Kommunion-Empfang? Nimmt man die Vorbereitung ernst? Wird das Gewissen wacher, oder stumpft es ab? Als Augustinus um seine Stellungnahme zur Frage der täglichen Kommunion gebeten wurde, die damals in manchen Gegenden praktiziert wurde, hielt er sich ausdrücklich mit Geboten oder Verboten zurück; Hieronymus verwies in der gleichen Frage auf die Notwendigkeit der Selbst-Prüfung. Viele andere Autoren sind ihm gefolgt.

Es ist wahr, dass zu manchen Zeiten – und an manchen Orten – sehr selten kommuniziert wurde. Die heilige Klara sah sieben- bis zwölfmal im Jahr die Kommunion für ihre Schwestern vor, Franziskus für die Laienbrüder viermal. Dagegen gab es zur gleichen Zeit in Flandern das Bestreben, besonders von religiösen Frauen, wöchentlich oder sogar täglich zu kommunizieren. Caterina von Siena musste eine Zeitlang viel Unbill von Seiten der Zelebranten erdulden, bis ihr Verlangen nach der täglichen Kommunion akzeptiert wurde. Vielfach lag anscheinend die seltene Kommunion auch an einer mangelnden Bereitschaft "von unten". Albertus Magnus etwa war überzeugt, dass in der frühen Kirche häufig, ja täglich kommuniziert worden sei, "jetzt" aber die Lauheit so groß geworden sei, dass das Laterankonzil (1215) die jährliche Kommunion habe verpflichtend machen müssen.

Die großen Erneuerungsbewegungen wie z.B. die Jesuiten des 16. Jahrhunderts versuchten mit viel Einsatz, die Gläubigen zu einem regelmäßigen und intensivierten Sakramentenempfang hinzuführen. Dabei spielte die Vorbereitung durch das Bußsakrament eine wichtige Rolle, wie überhaupt die sakramentale Praxis mit einem bewussteren Leben aus dem Glauben, einer Erneuerung der Taufberufung verbunden werden sollte. Es sei noch einmal an den Wunsch des Trienter Konzils erinnert: Die Gläubigen sollten so leben  und so im Glauben feststehen, dass sie das Sakrament häufig empfangen können. In etwa das Gleiche sagte Johannes Chrysostomus im 5. Jahrhundert, und im 17. Jahrhundert mit größter Deutlichkeit Jean La Colombière, der Beichtvater der heiligen Margareta Maria Alacoque: Nicht dass sie häufig kommunizieren ist schuld daran, dass manche nicht "besser" werden, sondern dass sie "schlecht kommunizieren"; statt sich der Kommunion zu enthalten, sollten sie die Hindernisse für den fruchtbaren Empfang beiseite räumen!

Würdiger Empfang

Die Vorgabe, aus hygienischen Gründen nur die Form der Handkommunion zu praktizieren, hat bei manchen Gläubigen zu bitteren Klagen geführt; für sie ist die Form eine Gewissensfrage. Immerhin ist die Mundkommunion seit langem die "reguläre" Form des Kommunionempfangs in der Katholischen Kirche, wie auch in den Riten des Ostens. Sicher spielt die Furcht vor dem Verlust von Partikeln eine große Rolle.

Auch wenn einem selbst ein Streit um die Form gänzlich fern liegt – selbst unter Heiligen sind Meinungsverschiedenheiten möglich, die aber nicht den Frieden zerstören (Thomas von Aquin, Sth II II q. 29 a.3 ad2) - , so ist es doch kein Anzeichen seelsorglicher Verantwortung und katechetischer Geduld, solche Mitchristen einfach achelszuckend oder ärgerlich als "hyperfromm" beiseite zu wischen. Die heilige Gertrud d. Gr., die bekanntlich mit vertrauensvoller Sehnsucht nach der sakramentalen Begegnung häufiger kommunizierte, erzählt, dass sie sich einmal innerlich aufregte über die ihr übertrieben erscheinende Scheu einer Mitschwester beim Kommuniongang. Da sei ihr Christus erschienen und habe sie "liebevoll belehrt", dass er beides verdiene, sowohl demütige Ehrfurcht wie liebevolles Vertrauen; und weil diese beiden Empfindungen in gleichem Maß in ein und derselben Person selten vorkommen, so sollten sich die Kommunizierenden als "Glieder eines Leibes" mit ihren jeweiligen Vorzügen ergänzen.

Seit frühester Zeit wird dem Sakrament der Eucharistie höchste Ehrfurcht erwiesen, auch was die Aufbewahrung und den Umgang mit den Spezies angeht. Die äußere Haltung (Körperhaltung, Gestik, Paramente und sonstige Geräte) sind Ausdruck der inneren Ehrfurcht, Liebe, Sehnsucht; sie können zugleich die innere Haltung auch fördern beziehungsweise "erwärmen", wie es bei allen äußeren Vollzügen des geistlichen Lebens der Fall ist: sie sind Ausdruck des Inneren und haben umgekehrt Wirkung auf das Innere. Das meint Origenes mit dem berühmten Satz: Im Gebet solle der Leib die Ikone der Seele sein.

Aber die äußere Form ist nicht identisch mit der inneren Haltung. Ausdruck dieser Nicht-Identität ist die prophetische Kult-Kritik, die aus dem Alten Testament bekannt ist, und die Jesus aufgreift. "Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, doch sein Herz ist weit weg von mir." Stets bestehen zwei Gefahren, Scylla und Charybdis des religiösen Lebens: Veräußerlichung (Rubrizismus zum Beispiel.) oder schlechte Spiritualisierung (als sei die äußere Form belanglos).

Was in der Frage der rechten Weise des Kommunionempfangs (Hand, Mund, Hostienzange etc.) in erster Linie im Gewissen bedacht werden muss, ist die eigene innere Disposition. In einer Predigt (München, 1978) sagte der damalige Erzbischof Joseph Ratzinger zu diesem Thema: Meist sündige man mit der Zunge mehr als mit der Hand, und das größte "Wagnis" für den Herrn sei die Berührung unseres Herzens, das der Sitz der bösen Gedanken ist, aus denen zuweilen Worte und Taten werden.

Das Festhalten an einer Form, die einem angemessen und würdig(er) erscheint, darf nicht dazu führen, dass man eine andere Form, die immerhin 900 Jahre praktiziert worden ist, und die durchaus ehrfürchtig praktiziert werden kann (!), als schlecht verwirft. Stimmen die Maßstäbe, wenn jemand lieber nicht kommuniziert, als die Form zu ändern, wenn es einen guten Grund dafür gibt? Was sollte man dazu sagen, wenn jemand das kniende Gebet für die würdigste Weise der Anbetung hielte, aber monatelang keine Kirche mehr betreten würde, weil er gesundheitlich bedingt keine Kniebeuge machen kann? Thomas von Aquin erläutert in der Summa theologiae (II II q.93 a.2), dass es in der Gottesliebe an sich keine "Übertreibung" geben kann, aber in religiösen Vollzügen ist leider solche eine Maß-Losigkeit möglich, welche sogar Wahrheit des Glaubens selbst verletzt ("superstitio").

Zum Wesen eines Sakraments als wirksames Zeichen gehört die sinnenhafte Wahrnehmung. Was in der Wandlung konsekriert werden kann, ist Brot aus Weizenmehl und Wein aus Trauben. Deren Akzidentien bleiben erhalten, wenn sie in Leib und Blut Christi gewandelt werden, also unter den Gestalten von Brot und Wein Christus mit seinem gesamten Leben, Sterben und Auferstehen, "mit Gottheit und Menschheit" personal gegenwärtig wird. Die Person ist die des Herrn, der sein Leben hingegeben hat für uns; aber die sakramentale Existenzweise unterscheidet sich von der des irdischen wie auch von der verklärten Existenzweise, in der er nicht aufhört beim Vater zu sein, wenn er auf den Altären der Erde gegenwärtig wird. In einem einfachen Bild: In der Hostie gibt es kein "Oben und Unten", so dass man wissen könnte, wo der Kopf oder die Füße sind. Wir berühren nicht die Akzidentien des Leibes Christi, sondern die des Brotes. Sollte der Kommunikant die Hostie kauen, so fügt das dem Herrn, der dieses Sakrament eingesetzt hat, um unsere Speise zu sein,keinen Schmerz zu, genauso wenig wie das Brechen der Hostie oder die Berührung mit einer Hostien-Zange oder einem Löffel. Was ihm Schmerz zufügt, ist im Fall des Falles der Mangel an Liebe, Sehnsucht, Glauben, Ehrfurcht.

Nebenbei: Man könnte mit den Kirchenvätern eine "Zange" sogar als besonderes Zeichen der Ehrfurcht auffassen. In der Auslegung der großen Berufungsvision Jesajas (Jes 6) nimmt der Seraph "eine glühende Kohle mit einer Zange vom Altar" und berührt damit die Lippen des Propheten, wodurch er gereinigt wird. Die glühende Kohle gilt als geheimnisvolles Vorausbild der Eucharistie; wie dort im Holz das Feuer gegenwärtig ist, so hier im Brot der Herr. Doch was der Seraph nur mit einer Zange anfassen durfte, das "tragen jetzt die Hände deiner Gläubigen", heißt es in einem altkirchlichen Kommuniongesang.

Der Aspekt des sichtbaren Zeichens im Sakrament ist auch zu bedenken, wenn es um die Frage der Partikel geht. Es ist klare Lehre der Kirche (ausgedrückt etwa in den Mystagogischen Katechesen des Cyrill von Jerusalem), dass in jedem Teil der konsekrierten Hostie, wie in jedem Tropfen des konsekrierten Weines, die Realpräsenz Christi gegeben ist, dass daher mit Sorgfalt auf Partikel zu achten ist; dem dient die gewissenhafte Purifizierung der Gefäße.

Doch weil zum Sakrament wesentlich die Sichtbarkeit gehört – "Species" bedeutet: was man sieht und als etwas Bestimmtes erkennt –, ist Ängstlichkeit nicht angebracht. Ich erinnere mich an die diesbezügliche Antwort meines Dogmatik-Professors Leo Scheffczyk. Wo keine Sichtbarkeit, dort ist auch keine sakramentale Gegenwart zu verehren. 

Eucharistie-Feier und andere Gottesdienste

Von manchen Seiten wurde den Gläubigen, welche die Sistierung der Messfeier und der Sakramentenspendung beklagten, vorgeworfen, sie seien allzusehr auf die Eucharistie fixiert. Es gebe ja auch andere Formen, die man entdecken und fördern solle.

Nun ist es freilich nicht gesagt, dass die betreffenden Gläubigen wirklich nur die Messfeier kennen und nicht gerne auch andere Formen persönlichen und gemeinschaftlichen Gebetes praktizieren.

Der Vorwurf verwundert einen umso mehr, als noch jüngst von theologischer wie bischöflicher Seite das Gelingen oder Misslingen ökumenischer Bemühungen einzig und allein an der "eucharistischen Gastfreundschaft" gemessen werden sollte.

Die Eucharistiefeier ist "Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens…" (Lumen Gentium n.11; vgl. PO n.5.6). Aus dieser pointierten Formulierung des II. Vaticanum lässt sich dreierlei entnehmen: Es kann keine Überschätzung der Eucharistie geben, da sie der Höhepunkt ist ("culmen"); sie kann nicht ersetzt werden durch andere gottesdienstliche Formen, da sie deren Quelle ist ("fons"); doch es gibt noch andere Weisen des Gebetes, der Liturgie wie der persönlichen Frömmigkeit, die auf die Eucharistiefeier als die Mitte und das Herzstück des kirchlichen Betens innerlich hingeordnet sind. Wie das Vaterunser nicht nur "ein" christliches Gebet, sondern die Norm und Grundgestalt christlichen Betens ist, weil sowohl die zu erbittenden Inhalte genannt sind (zum Beispiel das Reich Gottes zuerst zu erstreben, etc.) wie auch die Form (von Christus gelehrt) vorgegeben ist, so speist sich vom eucharistischen Gottesdienst die gesamte Gebetshaltung der Kirche: Gedächtnis Christi, Dank und Lob an den Vater, Anbetung, Fürbitte, Vereinigung mit dem Herrn und untereinander kraft des Heiligen Geistes, hoffnungsgewisser Vorgriff auf die eschatologische Vollendung.

Man könnte sagen: die Eucharistiefeier ist "alles". In ihr kommt am deutlichsten zum Ausdruck, dass und wie das Gebet der Kirche mit dem ihres Hauptes verbunden ist, und wie Hingabe und Gnade sich begegnen (anabatische und katabatische Dimension der Liturgie). Oder anders gesagt: Was dem Vater gegeben wird, ist das, was Christus der Kirche gegeben hat: sich selbst. Wie sollten damit andere, wenn auch noch so kreative Formen von Gottesdienst, gleichrangig sein?

Aber gerade weil die Eucharistie so "dicht" die Geheimnisse des Glaubens enthält, kann sie kaum in einer dreiviertel Stunde ausgeschöpft werden. Es bedarf der Vorbereitung, des Nachklingens, der Gegenwärtigkeit im alltäglichen Leben – der "Einfassung", wie ein Diamant durch die Fassung in Gold noch klarer strahlt.

Man kann den "Höhepunkt", der die Eucharistiefeier ist, demnach auf verschiedene Weise verkennen oder aus den Augen verlieren: wenn sie in Routine und Gewohnheit "glanzlos" geworden ist, oder wenn sie lediglich eine "isolierte" Feier, eben eine Insel im Meer des persönlichen Lebens bildet, die sich in keiner anderen Praxis (Anbetung, tägliche Zeitstrukturierung durch Gebet, familiäres Gebet, Lesung der Heiligen Schrift) auswirkt.

Der Höhepunkt kann aber auch durch Nivellierung verlorengehen. Um ein anderes Beispiel anzuführen: Es gibt zahlreiche Sakramentalien – Weihwasser, Segnung von Andachtsgegenständen, von Gebrauchsgegenständen u.a. – welche auf die Sakramente hingeordnet sind (kirchliche Verlobung auf das Sakrament der Ehe, z.B.) oder diese gewissermaßen in den Alltag hinein "verlängern" (z.B. Bekreuzigung mit Weihwasser als Tauferinnerung). Diese Segnungen sind keineswegs gering zu schätzen; aber sie sind keine Sakramente, sondern unterscheiden sich von diesen gerade in der Art ihrer Wirkung (nicht ex opere operato, sondern abhängig von der Gläubigkeit der Personen: ex opere operantis). Wenn jemand an Ostern allen Wert auf die "geweihten Speisen" legen würde, ohne am Ostergottesdienst teilzunehmen, wem wäre da nicht klar, dass die Rangordnung verkehrt ist?    

Manchmal hat man den Eindruck, dass die warme Empfehlung "anderer Formen" neben der Eucharistiefeier nicht so sehr der Hinführung auf den "Höhepunkt" oder dem Weiter-Fließen von Bächen aus der "Quelle" dienen soll, als vielmehr dem Ersatz – wohl auch im Hinblick auf die Tatsache, dass nur für die Eucharistiefeier ein Priester notwendig ist. Dabei sollte man bedenken, dass das "Priestertum des Dienstes" eingesetzt ist, damit die Gläubigen zu einer heiligen Priesterschaft aufgebaut werden (vgl. PO nn.2.3.5).

Die Erfahrung der Geschichte hat gezeigt, dass das "gemeinsame Priestertum der Gläubigen" beziehungsweise das Selbstverständnis der Gläubigen als "königliche Priesterschaft", rasch an Bedeutung verliert, wo das "Priestertum des Dienstes" keine Rolle mehr spielt.

Wort Gottes und Eucharistie

Die Liturgiekonstitution SC n.7 spricht von verschiedenen Weisen der Präsenz Christi (nota bene: innerhalb der Eucharistiefeier): im Wort der heiligen Schrift, in der versammelten Gemeinde, in der Person des Priesters (der in persona Christi capitis handelt) und "zuhöchst", oder: in einer einzigartigen Weise (engl. especially, lat. maxime) im konsekrierten Brot und Wein. Das Wort Gottes in der Heiligen Schrift ist kostbar und "nahrhaft". Dass die Betrachtung des im Gottesdienst gehörten Wortes Gottes und die Betrachtung dessen, was in der Eucharistie geschieht, die für die christliche Kontemplation spezifischen Quellen sind, hat etwa Jean Daniélou in seinem großartigen Buch „Liturgie und Bibel“ gezeigt.

Doch kann man nicht sagen, Wort-Gottesdienst und Eucharistie-Feier seien äquivalent, wie zuweilen aus DV 21 fälschlich herausgelesen wird – kein Wunder, wenn selbst auf der Vatikan-Website (trotz einer bereits 1968 ergangenen Präzisierung) die betreffende Stelle nicht in korrekter Übersetzung geboten wird: "Die Kirche hat die heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst." Es muss heißen: "Die Kirche hat die heiligen Schriften stets verehrt, wie auch den Herrenleib selbst." - "Divinas Scripturas sicut et ipsum Corpus dominicum semper venerata est Ecclesia…". Die erste Übersetzung suggeriert eine Gleichrangigkeit des "Tisches des Wortes" und "des Sakramentes".

Aber das Wort Gottes ist Christus selbst, die Person des Logos, der Mensch geworden ist – nicht die geschriebenen Worte, auch nicht die hebräischen oder griechischen Texte. Die Heilige Schrift ist nicht die Offenbarung Gottes, sie ist auch nicht der fortlebende Christus, sondern sie enthält das Zeugnis über die Offenbarung Gottes, die in Jesus Christus ihren Höhepunkt hat. Und insofern ist die Heilige Schrift "sakramental", mit den Sakramenten "verwandt": Die Worte machen bekannt mit dem, der das lebendige Wort schlechthin ist. Das bedeutet aber auch: Der Sinn des Gotteswortes ist – ähnlich wie der Gehalt der Sakramente – nicht ohne jede Disposition des Hörers diesem ohne weiteres zuhanden. Man versteht nicht einfach ohne Voraussetzungen. Man hört und versteht sie im Glauben, und dieser wächst mit dem Verständnis – wie umgekehrt die "Worte mit dem je tieferen Verständnis weiter wachsen", sie sind dem Hörer stets voraus.  

"Hauskirche"

Auch ohne die Ausgangsbeschränkungen der vergangenen Wochen verdient das Gebet in der Familie, im Gebetskreis oder anderen Formen der "Hauskirche" mehr aufmerksame Förderung. In der Familie hat man gelernt zu beten, diese Erfahrung haben immer noch viele Gläubige.

Dennoch scheint das gemeinsame Gebet in der Praxis schwieriger als man denkt, selbst für Ehepaare. In ihrem Bestseller "Gott braucht dich nicht" (2014) erzählt Esther Maria Magnis, wie sie sich mit ihren beiden Geschwistern zum Gebet für den schwer erkrankten Vater auf den Dachboden schlichen; die Erwachsenen sollten es nicht mitbekommen – trotz sonntäglicher Kirchgangspraxis der ganzen Familie.

Auch kann man nicht übersehen: Wo die Familie identifiziert wird mit dem, was Glauben oder Kirche sind, bleibt der Glaube möglicherweise zu kleinformatig und eng – und es besteht die Gefahr, dass mit einer natürlichen Distanzierung des Heranwachsenden von der Familie, oder aufgrund desillusionierender Erfahrungen in einer "kirchlichen Gruppe", der Glaube selbst beiseitegeschoben wird.

Darum sollte man im Blick behalten, dass jede Gemeinschaft, die sich "Kirche" oder "Kirche im Kleinen" (ecclesiola) nennt, auch der einzelne Gläubige als anima ecclesiastica, nur "Kirche" ist aufgrund der Verbundenheit mit der ganzen Kirche, die Völker, Nationen, Räume und Zeiten umspannt. Wo die Weite der Kirche nicht mehr in den Blick kommt, besteht die Gefahr, dass die "Hauskirche" oder Gruppen von Betern zu einem "Zirkel" oder Konventikel mutieren.

Keine Diözese ist ein abgeschlossenes Ganzes; das zeigt sich gerade in der Person des Bischofs, der sein Amt im Kollegium der Bischöfe hat. Jede "Einheit", auch eine Pfarrei oder Ordensgemeinschaft, ist "Kirche" nur, indem sie fortwährend über sich hinaus auf etwas Größeres verweist: auf die eine Kirche, die ihren Grund in der Sendung der Zwölf Apostel und damit in der Sendung Christi selbst hat.

Wer getauft wird, wird nicht in eine Pfarrei hineingetauft, sondern in die Kirche Christi, auf den Glauben der Apostel. Die Firmung ist etwas Großartigeres als ein Pfarrei - oder ein Familienfest; sie ist ein Sakrament kirchlicher Sendung! Und auch für die Ehe gilt dies, ja für den Ehestand sogar in besonders klarer Weise: Denn die Ehe ist dasjenige Sakrament, in dem das Verhältnis Christi zur Kirche im Zeichen des personalen Bundes abgebildet wird. Deswegen ist die Ehe gläubiger Christen ein "sakramentaler Lebensstand", und nicht eine Privatangelegenheit.

Mystagogische Katechese und Hinführung zum Gebet, persönlich und in Gemeinschaft

In der frühen Kirche wusste man, dass Sakramente eine entsprechende Katechese erfordern – und zwar nicht nur vor dem Empfang (die Unterweisung vor der Taufe), sondern auch nachher. Im Fall der Taufe gehört bekanntlich das Bekenntnis des Glaubens zum Taufvorgang selbst; und wo der Täufling den Glauben der Kirche noch nicht selbst kennt – wie im Fall der Säuglingstaufe – ist die Unterweisung in diesem Glauben nach dem Empfang der Taufe nachzuholen.

Die Eucharistie ist ein zu großes Geheimnis, als dass man beim Verständnis des Erstkommunion-Unterrichts stehenbleiben könnte! Der Ausfall "mystagogischer Katechese", wie sie in der Alten Kirche den Getauften zuteil wurde, hat bei uns dazu geführt, dass die Eucharistiefeier weithin als etwas aufgefasst wird, was man ja schon kennt, "immer das Gleiche", und paradoxerweise zugleich als etwas, das einem fremd geblieben ist, mit dem man "nichts anfangen kann".

Was sich ändern muss, ist nicht die Liturgie, sondern die sie feiern und an ihr teilnehmen (vgl. R. Guardini zur „liturgischen Bildung“, die weit mehr ist als eine theoretische Einführung). Man wächst nicht, wenn man die Liturgie auf das eigene Maß heruntertransponiert, sondern indem man mit ihr vertraut wird. 

Fazit:

Durch die in den letzten Wochen und Monaten verhängten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind manche Fragen und auch manche Defizite neu ins Bewusstsein getreten. Sie werden mit der zu erhoffenden schrittweisen Aufhebung der Beschränkungen aber nicht einfach zurücktreten. Was bedeuten die Sakramente für das Leben der Kirche, wenn sie sich als "Grundsakrament" versteht? Welche Bedeutung haben sie im Leben der einzelnen Gläubigen – und welche sollten sie haben?

Das eingangs erwähnte Dokument der CTI verdeutlicht, dass Glauben und Sakramente aufeinander bezogen sind: Die Sakramente sind Zeichen und Ausdruck des Glaubens, und zwar primär des Glaubens der Kirche, der dem Glauben des einzelnen Gläubigen vorausgeht und diesen stützt. Sie sind nicht einfach individuelle Heilsmittel, die unabhängig von der Kirche, in der sie ihren Ort haben, "zu haben" wären. Zugleich stärken und ernähren sie den Glauben der Empfänger und damit die geistliche Lebendigkeit des ganzen "Leibes" der Kirche.

Man könnte in einem Vergleich sagen: Nur wer atmet, kann die Nahrung, die er aufnimmt, assimilieren. Ohne Atem kann man nicht leben – wie man "ohne Glauben unmöglich Gott gefallen kann" (Hebr 11,6). Aber wenn man nicht isst, wird man bald auch nicht mehr atmen. Im Notfall kann der Arzt eine Infusion setzen – Gott hat seine Gnade nicht so an die Sakramente gebunden, dass er außerhalb ihrer keine Möglichkeit mehr hätte.

Aber der übliche Weg ist es nicht. Dafür sind "Knechte" bestellt, die der Hausgemeinschaft "Nahrung geben sollen zur rechten Zeit" (Mt 24,45). Wem dieses hohe Amt anvertraut wurde, der trägt eine hohe Verantwortung vor dem, der es ihm gab (vgl. Lk 12,48).

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