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"Sünde ist hier ein fragwürdiger Begriff": Bischof Dieser über Homosexualität

Bischof Helmut Dieser

Für mehrere massive Kehrtwenden in der überlieferten katholischen Lehre hat sich der Bischof von Aachen, Helmut Dieser, am Mittwoch in einem Interview mit der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" ausgesprochen. So sei die Neigung zur Homosexualität "gottgewollt", eine "hundertprozentige Binarität" der Geschlechter gebe es nicht, bei der Empfängnisverhütung brauche es eine "Neueinschätzung", denn sie stärke auch den Lebensschutz, und für die Weihe von verheirateten zu Priestern "wäre ich offen".

Trotz dieser Forderungen hielt Bischof Helmut Dieser fest: "Kein deutscher Bischof will in eine Abspaltung. Auch kein anderes Mitglied des Synodalen Weges." Stattdessen wünsche man sich "das Vertrauen aus Rom. Wir wollen Neues denken." Tatsächlich sei "die Gefahr einer Spaltung größer", wenn "Reformen verweigert werden".

Homosexualität

Mit Blick auf das Thema Homosexualität sagte Dieser: "Sünde ist hier ein fragwürdiger Begriff. Denn Sünde ist ja, was einer tut, obwohl er anders könnte." Es gebe "männlich und weiblich, die Spielarten sind vielfältig. Da ist es eben auch möglich, dass männlich auf einen Mann und weiblich auf eine Frau attraktiv wirkt und sie dort das Nicht-bei-mir-bleiben-Wollen empfinden."

Eine derartige Neigung zu einer homosexuellen Beziehung, so der Bischof, "ist gottgewollt: nicht bei mir bleiben! Warum also sollte ich das zwischen homo- und heterosexueller Orientierung grundsätzlich anders bewerten müssen?!"

"Was wir in der Schöpfung vorfinden, ist gut", sagte Dieser. "Homosexualität ist keine Panne Gottes, sondern gottgewollt im selben Maß wie die Schöpfung selbst: Er sah, dass es gut war, heißt es in der Schöpfungsgeschichte."

Seine Sicht auf diese Frage habe sich "verändert". So habe er "durch viele Gespräche auf dem Synodalen Weg, durch Begegnungen mit Jugendlichen und jungen Menschen und durch die Auseinandersetzung mit den Fortentwicklungen in den Humanwissenschaften" selbst "dazugelernt".

"Sünde ist es, wenn ich einem anderen Menschen Gewalt antue, ihn erniedrige, benutze, wenn ich heuchle, wenn Liebe keine Liebe ist, wenn ich untreu bin, lieblos, gleichgültig", zeigte sich Dieser überzeugt. "Wenn es aber um Liebe geht, um diese Spielart der Liebe, die ja dann eine erotische Form ist, wenn der Leib Ausdruck dieser Liebe wird und die Sprache dieser Liebe, dann denke ich: Liebe kann nicht Sünde sein."

Im Katechismus der Katholischen Kirche (KKK 2357) heißt es demgegenüber: "Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet [Vgl. Gen 19,1-29; Röm 1,24-27; 1 Kor 6,10; 1 Tim 1,10], hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, 'daß die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind'. Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen."

Gender-Ideologie

Zur Gender-Ideologie, wonach ein Mensch sich nicht mit seinem eigenen (biologischen) Geschlecht identifiziert, sondern mit einem anderen, sagte Dieser: "Mittlerweile glaube ich: Es gibt keine hundertprozentige Binarität, dass alle Menschen in gleicher Weise spüren, männlich oder weiblich zu sein. Auch wenn es eine weitgehende Binarität gibt, sagen manche Menschen: Ich bin etwas dazwischen. Oder: Ich möchte es offenlassen."

Beim deutschen "Synodalen Weg", dessen vierte Synodalversammlung am Donnerstag beginnt", wolle man etwa beschließen, dass "der Taufeintrag nicht starr nur männlich oder weiblich" sein solle.

Die Kirche beruft sich in der Frage der Binarität der Geschlechter auf den biblischen Schöpfungsbericht, wonach Gott die Menschen "männlich und weiblich" erschaffen hat – auch wenn sich in Ausnahmefällen genetische Defekte feststellen lassen.

Empfängnisverhütung

"Warum muss die Kirche künstliche Empfängnisverhütungsmittel ablehnen?", fragte Dieser im Gespräch mit "Christ & Welt" außerdem: "Ist das nötig? Ich meine: Nein. Wenn wir – mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil – anerkennen, dass Eltern selber in Verantwortung vor Gott entscheiden, wie viele Kinder sie bekommen, dann halte ich die Wahl der Mittel für zweitrangig."

Dabei dürfe indes "nicht verloren gehen, dass die Sexualität von Mann und Frau von Gott dazu berufen ist, das Leben weiterzugeben. Wir leben nie nur für uns selbst."

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Er "würde begrüßen, wenn es diese Bewegung zu einer Neueinschätzung" von Mitteln zur Empfängnisverhütung gäbe, sagte der Bischof. "Gerade indem wir Empfängnisverhütung empfehlen, stärken wir den Lebensschutz." Abtreibungen seien also "weiterhin tabu".

Der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK 2370) hält diesbezüglich fest: "'Während die geschlechtliche Vereinigung ihrer ganzen Natur nach ein vorbehaltloses gegenseitiges Sich-Schenken der Gatten zum Ausdruck bringt, wird sie durch die Empfängnisverhütung zu einer objektiv widersprüchlichen Gebärde, zu einem Sich-nicht-ganz-Schenken. So kommt zur aktiven Zurückweisung der Offenheit für das Leben auch eine Verfälschung der inneren Wahrheit ehelicher Liebe, die ja zur Hingabe in personaler Ganzheit berufen ist.' Dieser anthropologische und moralische Unterschied zwischen der Empfängnisverhütung und der Zuflucht zu den natürlichen Fruchtbarkeitszyklen ist 'mit zwei sich ausschließenden Vorstellungen von Person und menschlicher Sexualität verknüpft' (FC 32)."

Zölibat

Zur priesterlichen Ehelosigkeit sagte Dieser, er habe die Sorge, dass man im Falle einer Abschaffung des Zölibats "etwas sehr Wertvolles" verliere: ""enn der Zölibat gelingt, ist das für das Priestertum ein großer Gewinn. Für mein Leben ist das so."

"Es klingt immer so, als hätten sich vertrocknete Prälaten im Mittelalter den Zölibat ausgedacht", erklärte der Bischof. "Aber er ist biblisch."

"Wenn ein Priesteramtskandidat bei der Diakonenweihe Gott in seinem Leben auf die Nummer eins setzt und für Jesus die Form der Ehelosigkeit wählt, dafür kann ich mich begeistern", sagte Dieser und konstatierte im selben Atemzug: "Aber auch, wenn ein schon verheirateter Mann später geweiht würde – da wäre ich offen, weil auch das biblisch ist. Wir brauchen Priester, wir haben zu wenige."

"Synodaler Weg"

Angesichts der vierten Synodalversammlung des "Synodalen Wegs", die von Donnerstag bis Samstag in Frankfurt stattfindet und eine Reihe von richtungsweisenden Texten verabschieden könnte, sagte Dieser: "Ich wünsche mir von den päpstlichen Stellen, dass sie sehen, welchem Problemstau wir uns stellen und wie konstruktiv wir das lösen wollen. Wenn wir immer nur gemahnt werden, wird das irgendwann ein bisschen ärgerlich. Da wäre ein Wort des Mutmachens aus Rom nötig."

"Wir dürfen die Weiterentwicklung der Lehre nicht einfach verweigern", betonte der Aachener Bischof. "Die Kommunikation und das Ringen um Veränderung muss weitergehen. Dazu ist der Synodale Weg da."

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