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Abt Nikodemus Schnabel: „Ich bin weder pro Israel noch pro Palästina, ich bin pro Mensch“

Abt Nikodemus Schnabel OSB

Nikodemus Schnabel OSB ist eine der profiliertesten Stimmen im Heiligen Land. Der Benediktiner-Mönch steht seit 2023 der deutschsprachigen Dormitio-Abtei in Jerusalem mit dem Priorat Tabgha am See Genezareth vor. Mit dem Hilfswerk „Kirche in Not“ hat er über seine Sicht auf den Gaza-Krieg und die Situation im Heiligen Land gesprochen. Das Interview – auch in der Mai-Ausgabe des Vatican-Magazins veröffentlicht – führte André Stiefenhofer, der Pressesprecher von „Kirche in Not“ Deutschland.

Abt Nikodemus, die Lage im Heiligen Land macht sprachlos. Zum einen im Hinblick auf den Terror und das Leid bei Israelis und Palästinensern. Zum anderen gibt es die Befürchtung, gerade im Hinblick auf die deutsche Geschichte, etwas Falsches zu sagen. Wie finden Sie die richtigen Worte?

Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung gegenüber Israel. Auf der anderen Seite gibt es auch Mitgefühl mit den Palästinensern, die aus humanitärer Sicht unfassbar leiden. Wir reden hier über kein Fußballspiel, wo die einen die Israelfahne und die anderen die Palästinafahne schwenken. Hier sterben Menschen. Ich bin weder pro Israel noch pro Palästina. Ich bin pro Mensch. Staaten sind menschengemacht. Es ist der Mensch, der von Gott geschaffen ist. Ich empfehle sehr, den Blick von der Politik zu den Biografien der Menschen zu lenken. So viele Biografien sind zerstört, es gibt so viel Leid, so viel Trauer.

Wie verortet sich die katholische Kirche im Heiligen Land in diesem Konflikt?

Wir Christen im Heiligen Land sind eine kleine Minderheit von ein bis zwei Prozent der Bevölkerung. Wir haben Opfer auf beiden Seiten zu beklagen. Die Hamas hat bei ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 auch vier Katholiken ermordet. Es handelt sich um drei Frauen und einen Mann, Arbeitsmigranten aus den Philippinen. Stand Februar wurden im Gaza-Streifen 27 Christen getötet. Das heißt, wir haben christliche Tote hier und da. Und für beide Seiten gilt: Weder die philippinischen Migranten noch die palästinensischen Christen in Gaza, die in ihren Kirchen Zuflucht gesucht haben, haben jemals eine Waffe in der Hand gehabt oder sich an Terrorplanungen beteiligt.

Viele Beobachter haben sich gefragt, warum die Christen nicht aus Gaza-Stadt in den Süden gegangen sind. Was wissen Sie darüber?

Das kann ich klar sagen: Der Süden des Gaza-Streifens ist eine absolute No-go-Area für Christen. Es gibt ja nicht nur die Hamas, es gibt noch schlimmere islamistische Gruppen, wie „Dschihad Islami“ zum Beispiel. Die haben ihren Sitz in Rafah im Süden. Deshalb haben die Christen gesagt: Lieber sterben wir in unseren eigenen Kirchen, wo wir täglich die Heilige Messe feiern können, als dort im Süden.

Sie sprechen aus unmittelbarem Erleben und aus einer pastoralen Perspektive. Wie erleben Sie die Debatte über diesen Krieg im deutschsprachigen Raum?

Ich finde es schon sehr interessant bis mutig, wenn Leute, die noch nie im Land waren, mir erklären, warum ich falsch liege oder auf welche Seite ich mich zu stellen habe. Ich lebe seit 20 Jahren im Heiligen Land. Ich habe Freunde auf beiden Seiten. Bevor ich Abt wurde, war ich Stellvertreter des Lateinischen Patriarchen für Migranten und Asylsuchende. Das heißt, die vier ermordeten Filipinos waren mir anvertraute Gläubige. Ich war auch schon mehrmals in Gaza. Die Zahl der Christen betrug vor dem Krieg etwa 1000. Es sind also für mich keine anonymen Zahlen, es sind konkrete Menschen.

Sie haben immer wieder deutlich gemacht, dass Sie klar unterscheiden zwischen Hamas und palästinensischer Zivilbevölkerung, auch zwischen Hamas und Palästinensischer Autonomiebehörde. Sind Sie sich sicher, dass die Hamas und ein möglicher „Staat Palästina“ nicht doch in weiten Teilen deckungsgleich werden?

Die letzten Wahlen in den Palästinensischen Gebieten waren 2006. Also tut man sich sehr leicht, zu sagen: Die Hamas wurde ja damals gewählt, sie ist deckungsgleich mit Palästina. Die Autonomiebehörde ist längst nicht mehr demokratisch legitimiert. Eine überwältigende Zahl von Menschen, die heute im Gaza-Streifen leben, haben nie in ihrem Leben gewählt. Wir wissen gar nicht, wie sich die Leute jetzt entscheiden würden. Und es ist auch ein großer Unmut gegen die Hamas zu spüren.

Auch in Israel sind viele Leute frustriert über die Regierung, weil sie wirklich zu sehr scharfen Tönen neigt. Was es bräuchte, und da bin ich ganz beim israelischen Schriftsteller Amos Oz, wäre eine „Enttabuisierung des Kompromisses“. Ich erlebe seit Jahren, dass sich beide Seiten dafür feiern lassen, keinen Millimeter nachgegeben zu haben. Allerdings gibt es mit dieser Politik der klaren Kante kein Zusammenleben.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, erleben Sie in Ihren Gesprächen mit den Menschen auf beiden Seiten, dass diese sehr realistisch sind, was die mögliche Zukunft angeht. Heißt das dann, dass die fehlende Kompromissbereitschaft ein Elitenproblem ist?

Ich habe das Gefühl, dass es auf beiden Seiten Verantwortliche gibt, die sehr tolerant gegenüber Radikalen sind. Die Palästinensische Autonomiebehörde tut sich sehr schwer, sich von der Hamas zu distanzieren. Und auf israelischer Seite gibt es Schwierigkeiten, sich gegen die Radikalen in den eigenen Reihen, sprich ultranationale religiöse Siedler, zu distanzieren. Ich habe das Gefühl, dass beide Seiten an diesen problematischen „Schmuddelkindern“ festhalten. Wenn dann doch einmal ein Kompromiss gelingen sollte, werden diese hervorgeholt und machen den Erfolg wieder zunichte. Das ist ein sehr zynisches Spiel. Ich habe das Gefühl, dass es Hemmungen gibt, die Probleme in den eigenen Reihen anzugehen: Dass die Israelis klar Nein sagen zu den Radikalen, weil sie das politische Klima vergiften. Und dass sich die palästinensische Seite ganz klar vom Terrorismus abgrenzt. Terror ist keine Sehnsucht nach Freiheit.

Das Interview wurde auch in der Mai-Ausgabe des Vatican-Magazins veröffentlicht.

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