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Die Krise der Katholischen Kirche in der Schweiz

Flagge der Schweiz

In Europa kehren immer mehr Menschen der Katholischen Kirche den Rücken zu. Nicht nur in Deutschland sind die Austrittszahlen schon seit Jahren beständig hoch (im letzten Jahr erreichte die Austrittswelle ein neues Rekord-Hoch), auch die Schweiz hat nun einen neuen Negativ-Rekord verzeichnet. 

Von den insgesamt 8,5 Millionen Einwohnern bekennen sich 3,1 Millionen Eidgenossen zur Katholischen Kirche. Am 19. November 2020 wurde bekanntgegeben, dass 2019 insgesamt 31.772 Mitglieder die Kirche verlassen haben. Dies ist eine Steigerung zum Vorjahr, als insgesamt 25.366 Katholiken ihren Austritt erklärt hatten.

Austritte abhängig vom Kirchensteuer-System

Laut dem Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) in St. Gallen unterscheidet sich die Austrittsquote innerhalb der verschiedenen Kantone. Wie das SPI mitteilte, seien dafür die unterschiedlichen Kirchensteuer-Systeme verantwortlich. 

So verzeichneten die Kantone Genf, Wallis, Neuenburg und Waadt "praktisch keine Austritte", schreibt Urs Winter-Pfändler in seinem Beitrag für das SPI. Der Autor wörtlich:

"In den genannten Kantonen der Westschweiz entfällt das Motiv des Kirchenaustrittes, um Steuern zu sparen. Rechnet man diese Kantone (NE, GE, VS, VD) aus der Statistik heraus, so ergibt sich eine durchschnittliche Austrittsquote von 1,4%. Dieser Wert ist ähnlich wie derjenige der umliegenden Länder (Deutschland: 1,2%, Österreich: 1,3%). Auch in diesen Ländern haben die Austrittszahlen in den vergangenen Jahren zugenommen."

Der Kanton Basel-Stadt hat mit 4,9% die höchste Austrittsquote, gefolgt von den Kantonen Aargau (2,2%) und Solothurn (2,1%). "Katholisch geprägte Landkantone", so schreibt Winter-Pfändler weiter, haben dagegen die niedrigste Austrittsquote, so zum Beispiel Appenzell-Innerrhoden (0,5%) oder der Kanton Jura (0,8%) oder Uri (0,9%).

Anhand des Kantons St. Gallen legt das SPI exemplarisch dar, dass sich "ein klarer Trend steigender Austrittszahlen beobachten" lasse (2019: 3.393 Personen), währenddessen die Eintrittszahlen auf konstant tiefem Niveau blieben (2019: 60 Personen).

Das Kirchensteuersystem in der Schweiz

Anders als in Deutschland, wo einem Katholiken die Kirchensteuer monatlich prozentual vom Gehalt abgezogen wird, ist es in der Schweiz grundsätzlich möglich, nicht nur von natürlichen Personen, sondern auch von juristischen Personen (Firmen, Vereinen) Kirchensteuer-Abgaben zu verlangen. Die konkrete Umsetzung ist in den insgesamt 26 Kantonen der Schweiz jeweils eigenständig geregelt. 

Die Zusammensetzung der Erträge gestaltet sich sehr unterschiedlich: Kirchensteuereinnahmen von natürlichen und/oder juristischen Personen, Entgelt für gesamtgesellschaftliche Leistungen, Entschädigungen für historische Rechtstitel, sonstige staatliche Zahlungen aller Art.

Weil die Kantone ihre Steuern unterschiedlich festlegen und berechnen, können die Kirchensteuersätze deshalb innerhalb eines Kantons unterschiedlich hoch ausfallen. Durch den über die jeweilige Kantonsverfassung definierten Rechtsstatus der Kirche ergeben sich Privilegien, die die Religionsgemeinschaften noch einmal von den Vereinen unterscheiden. So kann die Kirche über die Steuererklärung eine Kirchensteuer - gewissermaßen als "Mitgliedsbeitrag" - einfordern. Der Staat übernimmt somit das Einziehen der Steuer.

Im Kanton Waadt erhält die Kirche vom Staat jedoch Mittel aus dem allgemeinen Steuertopf und bildet somit eine Ausnahme. Auch im Kanton Wallis wird die Kirche durch die allgemeinen Steuern der Gemeindesteuern finanziert.

Die Kantone Genf und Neuenburg haben eine laizistische Verfassung, in der die Kirche zwar "öffentlich", nicht jedoch öffentlich-rechtlich anerkannt ist. Im Kanton Genf ist es der Kirche dennoch erlaubt, vom Staat gegen Entschädigung die Erhebung eines kirchlichen Beitrags zu verlangen, Neuenburg pflegt durch ein Konkordat dennoch eine enge Beziehung zur Kirche, die es möglich macht, sowohl für natürliche als auch für juristische Personen Kirchensteuern zu erheben. 

Von den Ausnahmen abgesehen, in denen sich die Abgaben des Staates an die Kirche aus dem allgemeinen Steuertopf speisen, sind die erhobenen Kirchensteuern von den Mitgliedern und von den juristischen Personen immer zu bezahlen. Lediglich in den Kantonen Genf, Neuenburg und Tessin ist die Bezahlung fakultativ, das heißt, die Höhe der zu zahlenden Summe kann vom Gläubigen selbst bestimmt werden.

Die Besonderheit an der Schweizer Kirchenstruktur liegt darin, dass die vom Staat getroffenen Aufteilungen (beispielsweise in die "römisch-katholische Landeskirche des Kantons Bern") nicht immer mit der von der Kirche vorgenommenen Kategorisierungen übereinstimmen (zum Beispiel die Diözese Basel beziehungsweise Bistumsregion St. Verena, welches unter anderem den Kanton Bern abdeckt). Dort, wo die Kirche als öffentlich-rechtliche Körperschaft registriert ist, ist sie aus Sicht des Staates demokratisch strukturiert, teilweise ähnlich dem Modell der evangelischen Landeskirchen.

Innerhalb der Schweizer Bistumslandschaft gibt es deshalb immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den Befürwortern des Modells der Landeskirchen, die für mehr Eigenständigkeit (und damit auch für eine größere Unabhängigkeit von Rom) plädieren und jenen Bistümern, die einen gesamtheitlicheren Ansatz mit größerer Anbindung an die Weltkirche verfolgen. So befürchten Kritiker des Landeskirchen-Modells eine zunehmende Abspaltung einzelner Diözesen vom Rest der weltweit geschlossen agierenden Katholischen Kirche.

Kirchenaustritt in der Schweiz

Möchte ein Schweizer aus der Kirche austreten, so betrifft dieser Austritt nicht die Diözese oder Pfarrei, sondern die entsprechende Kirchengemeinde. Diese gilt als "staatskirchenrechtliche Körperschaft" und ist kantonal organisiert. Der Kirchenaustritt gilt also folglich als Austritt aus dieser Körperschaft. Durch diesen Austritt entfällt die Pflicht, Kirchensteuer zahlen zu müssen, der Empfang der Sakramente ist jedoch weiterhin möglich - anders, als das momentan noch in Deutschland der Fall ist, wo ein Kirchenaustritt automatisch die Tatstrafe der Exkommunikation nach sich zieht.

So gelten beispielsweise seit dem 7. Oktober 2009 im Schweizer Bistum Chur die vom damaligen Bischof Vitus Huonder umgesetzten Richtlinien. Darin heißt es:

"Glied der Kirche wird eine Person durch die Taufe. Die Taufe ist als ein Sakrament ein Geschenk Gottes, etwas Bleibendes (vgl. CIC, can. 849). Gott zieht seine Zusage nicht zurück. Deshalb kennt die Kirche keinen 'Austritt'. Wer getauft ist, bleibt zeitlebens mit Christus verbunden und in der Kirche eingegliedert. Die Gläubigen genießen, solange sie voll in der Gemeinschaft der katholischen Kirche durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung stehen (vgl. can. 205), alle Grundrechte. Diese sind jedoch mit der Erfüllung von Grundpflichten verbunden (vgl. can. 208-223)."

Weiter heißt es, dass zu den erwähnten "Grundpflichten" unter anderem die "materielle Mitverantwortung für die Kirche" gehört. Dies ist schon im Kirchenrecht, dem "Codex Iuris Canonici" (CIC), festgelegt, wo es heißt: "Die Gläubigen sind verpflichtet, für die Erfordernisse der Kirche Beiträge zu leisten, damit ihr die Mittel zur Verfügung stehen, die für den Gottesdienst, die Werke des Apostolats und der Caritas sowie für einen angemessenen Unterhalt der in ihrem Dienst Stehenden notwendig sind" (CIC can. 222 § 1). Die Kirchensteuer konkretisiere demnach die Beitragspflicht.

Weil die Taufe ein "unauslöschliches Siegel" bleibt und auch durch einen formellen Kirchenaustritt nicht "rückgängig" gemacht wird, ist es möglich, aus der Kirche auszutreten und dennoch katholisch zu bleiben. Die Richtlinien des Bistums Chur regeln ausdrücklich, dass es möglich ist, sich durch einen Kirchenaustritt der Kirchensteuerpflicht zu entziehen und dennoch weiterhin als Mitglied der Katholischen Kirche die Sakramente zu empfangen unter der Voraussetzung, dass die Beitragspflicht anderweitig erfüllt wird. Unter Nummer 4 heißt es dazu wörtlich:

"Gemäß bundesgerichtlicher Rechtsprechung (Bundesgerichtsentscheid vom 16. November 2007) ist es aus staatlicher Sicht zulässig, aus den staatskirchenrechtlichen Institutionen (Kirchgemeinde, kantonale Körperschaft) auszutreten und gleichzeitig zu erklären, dennoch katholisch bleiben zu wollen. Durch einen solchen Austritt, der aufgrund der erwähnten geltenden Praxis den Charakter einer Ausnahme hat, erlischt zwar die Pflicht zur Leistung der Kirchensteuer. Der Austritt entbindet jedoch nicht davon, die kirchliche Beitragspflicht in einer anderen Form zu konkretisieren."

Erklärt ein Mitglied der Kirchengemeinde seinen Austritt, darf diese als staatskirchenrechtliche Organisation jedoch nicht die Gründe für den Austritt erfahren, da dieses Vorgehen nicht vom Grundrecht der Religionsfreiheit gedeckt ist. Die Körperschaft soll anschließend aber den zuständigen Pfarrer informieren, der wiederum versuchen kann, ein seelsorgerisches Gespräch mit dem Ausgetretenen aufzunehmen. Die Richtlinien in Chur besagen:

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"Können die bestehenden Schwierigkeiten, die zum Austritt geführt haben, [in diesem Gespräch] nicht überwunden werden und beharrt die Person darauf auszutreten, nimmt die Kirchgemeinde den Austritt zur Kenntnis, ohne sich gegenüber der betroffenen Person über ihren kirchenrechtlichen Status zu äussern (vgl. Schreiben von Bischof Amédée Grab vom 7. Juli 2006)."

Auch in anderen Bistümern der Schweiz ist es ohne Weiteres möglich ist, aus der öffentlich-rechtlichen Körperschaft auszutreten. Dies wird dann als Austritt aus einer staatlichen Institution gewertet und führt zu keinen zwingenden kirchenrechtlichen Konsequenzen.

Kirche in Deutschland: Auf Kirchenaustritt folgt Exkommunikation

Die deutsche Bischofskonferenz lehnt ein solches Modell bislang ab. Ein Kirchenaustritt wird von den deutschen Bischöfen automatisch als Verstoß gegen die Pflicht zur Kirchengemeinschaft gewertet. Im "Allgemeinen Dekret zum Kirchenaustritt" der Bischofskonferenz vom 20. September 2012 heißt es:

"Wer vor der zuständigen zivilen Behörde aus welchen Gründen auch immer seinen Kirchenaustritt erklärt, verstößt damit gegen die Pflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren (can. 209 § 1 CIC), und gegen die Pflicht, seinen finanziellen Beitrag dazu zu leisten, dass die Kirche ihre Aufgaben erfüllen kann (can. 222 § 1 CIC i. V. m. c. 1263 CIC)".

Kirchenrechtler kritisieren, dass im deutschen Modell die möglichen Motive für einen Kirchenaustritt nicht berücksichtigt werden und auch ein Kirchenaustritt aus Gewissensgründen wie ein schismatischer Akt gewertet wird.

Dies sei bedenklich, so Experten, da eine Vielzahl deutscher Katholiken beispielsweise auch die kirchensteuerliche Finanzierung des als "Reformprozess" deklarierten "Synodalen Weges" ablehnen oder sich weigern, umstrittene Verbände wie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) oder den Bund der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) mit ihren Steuerabgaben zu finanzieren, gerade weil sie sich um die Lehre der Kirche sorgen und nicht, weil sie sich von ihr abwenden wollen.

Die Tatstrafe der Exkommunikation, die momentan noch unterschiedslos auf alle Ausgetretene angewandt wird, ist rechtswidrig, solange die Beweggründe nicht geklärt sind.

Aus diesem Grund ist ein Gespräch vorgeschrieben, in dem geklärt werden soll, "ob häretische und/oder apostatische Motive [beim Kirchenaustritt] eine Rolle gespielt haben", so der Kirchenrechtler Gero Weishaupt in einem Gespräch mit CNA Deutsch. Er betont: "Ohne dieses vorgeschriebene und für den Eintritt der Tatstrafe obligatorische (conditio sine qua non) Gespräch bei einer kirchlichen Behörde tritt die Tatstrafe nicht ein."

Erst nach erfolgtem Eintritt der Tatstrafe der Exkommunikation sei der Ausgetretenen dazu verpflichtet, die angedrohten Strafen auf sich anzuwenden und sich entsprechend zu verhalten. Von da an ist er auch vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen. Der Kirchenrechtler Weishaupt betont jedoch:

"Das berechtigt aber noch nicht den Pfarrer oder eine andere Amtsperson, die Strafen des Allgemeinen Dekretes im äußeren Rechtsbereich anzuwenden. Es ist hier strikt zwischen Gewissenbereich und dem äußeren Rechtsbereich zu unterscheiden. Eine Anwendung der Strafen im äußeren Rechtsbereich wäre ohne amtliche Feststellung des Eintritts der Exkommunikation als Tatstrafe unrechtmäßig."

(K)ein "Synodaler Weg" für die Schweiz?

Um auf die Rekord-Austrittszahlen und die Kirchenkrise zu reagieren, hat die Schweizer Bischofskonferenz unterdessen einen "Prozess" in Aussicht gestellt, der eine "Erneuerung der Kirche" herbeiführen soll.

Beobachter bezeichnen die Situation innerhalb der Katholischen Kirche in der Schweiz als extrem angespannt. Immer wieder flammen kirchenpolitische Grabenkämpfe auf, die teilweise ganze Diözesen zu spalten drohen.

Erst kürzlich hat der Konflikt um die Bischofsnachfolge im Bistum Chur international für Aufsehen gesorgt, als sich das Domkapitel weigerte, eine Vorschlagsliste des Papstes für den Nachfolger des emeritierten Bischofs Vitus Huonder anzuerkennen (CNA Deutsch hat ausführlich berichtet). CNA Deutsch erfuhr auch aus dem Umfeld des Bistums, dass die Domkapitulare die vorgeschlagenen Kandidaten unter anderem für "zu wenig eng mit der römisch-katholischen Kirche verbunden" hielten und zudem eine Einmischung von anderen Bistümern vermuteten. In einem internen Protokoll war sogar die Rede von einer "feindlichen Übernahme des Bistums Chur durch die Bischöfe von Basel, St. Gallen und den Abt von Einsiedeln".

Nun gab die Schweizer Bischofskonferenz bekannt, dass man einen "Prozess zur Erneuerung der Kirche" plane, bei dem das "Charisma des Zuhörens" im Mittelpunkt stehen soll. Ein Startpunkt oder ein Zeitrahmen wurde noch nicht genannt.

Der Vorsitzende der Schweizer Bischofskonferenz, Bischof Felix Gmür, stellte jedoch klar, dass dieser "Prozess" sich deutlich vom sogenannten "Synodalen Weg" in Deutschland unterscheiden soll. Gmür wörtlich:

"Wir vermeiden die Begriffe 'synodal' oder 'Synode'."

Die Synode sei ein Rechtsinstrument, das vielen Regeln unterliege, erläuterte der Vorsitzende der Bischofskonferenz weiter. Wie das Nachrichtenportal "kath.ch" berichtet, wolle man "keine Synode oder Pseudosynode veranstalten, diese Gefahr bestehe in Deutschland". Damit spielte Gmür Beobachtern zufolge auf die Tatsache an, dass der "Synodale Weg", der von den deutschen Bischöfen aktiv mitinitiiert wurde, keinerlei Rechtswirkung besitzt und die Bischöfe am Ende auch nicht an die sogenannten "Beschlüsse" der dortigen Gremien gebunden sind (mehr Infos hier).

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