Wien, 07 August, 2021 / 9:28 AM
Viel Aufmerksamkeit hat diese Woche der Vorschlag eines führenden Experten für Prävention sexueller Gewalt in der Kirche gesorgt, eine Art "Kirchlicher Gefängnisse" für Missbrauchstäter einzuführen. Neben einer Begriffsklärung ist jedoch der Kontext des Vorschlags aus katholischer Sicht entscheidend: Streckt sich die Kirche damit nach der Decke der eigenen Maßgaben und Ansprüche?
Der Psychologe und Jesuitenpater Hans Zollner ist Leiter des römischen Kinderschutzzentrums, dem Center for Child Protection (CCP), an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Im Interview mit dem österreichischen Rundfunk ORF sagte der Experte: "Wir wissen aus Studien, dass ein hoher Anteil der Missbrauchstäter ein ziemlich hohes Risiko hat, wieder straffällig zu werden, also wieder zu missbrauchen, obwohl sie im Gefängnis waren, sie Therapie gemacht haben und andere Auflagen gemacht wurden".
Der Begriff eines "Kirchliches Gefängnisses" klingt scharf und sorgte für Reaktionen: Der Theologe Paul Zulehner kritisierte gegenüber den "Salzburger Nachrichten" am Dienstag das Konzept als "völlig irreführend". Mit dem Laisieren von Klerikern gebe die Kirche die Verantwortung für Priester nur weiter, dann müsse sich der Staat überlegen, wie er die Gesellschaft am besten vor einem Triebtäter schütze. Der Pastoraltheologe sagte weiter, dass die Isolation von Triebtätern grundsätzlich notwendig sei: "Egal ob Kleriker oder nicht, für die ganze Gesellschaft" müsse diese rechtliche Möglichkeit geschaffen werden.
Was Pater Zollner jedoch mit dem provozierenden Begriff beschreibt, ist kein "Klerikerknast" und beinhaltet die therapeutische Perspektive: Es geht um ein "betreutes Wohnen mit Kontrollen" für Kleriker, die sexuellen Missbrauch begangen haben, damit diese nicht erneut Minderjährige und junge Erwachsene angreifen können.
Diese Institutionen, wie sie in den USA bereits seit Jahren entwickelt wurden, sollen auch nicht das "normale" Gefängnis ersetzen: Erst nach Absitzen einer Haftstrafe soll damit sichergestellt werden, dass die Täter nicht erneut Verbrechen begehen, die auch und gerade aus katholischer Sicht schwere Sünden und Straftaten sind.
Besonders in Ländern wie Deutschland sei dies sinnvoll, erklärte Zollner dem ORF. Mit anderen Worten: In säkularisierten Gesellschaften, in denen bestimmte gesellschaftliche Aufgaben aus den Händen der Familie oder örtlichen Gemeinde in Institutionen überführt worden sind, weil genug Spezialisten vorhanden sind, um die Logistik zu stemmen.
"Ich glaube, dass es in anderen Weltgegenden, wo die gemeinschaftliche Verantwortung stärker im Vordergrund steht, unter Umständen auch Pfarrgemeinden oder geistliche Gemeinschaften anderer Art einen Weg aufzeigen könnten, wie man Missbrauchstäter kontrolliert und es ihnen so schwer als möglich macht, dass sie wieder missbrauchen", fuhr der Experte fort.
Entscheidend sei dabei jedoch die Bereitschaft der Verbrecher, ihre Taten zu bereuen und sich kontrollieren zu lassen, betonte der Pater. Das könne man nicht erzwingen.
Angesichts der seit Jahren stürzenden Dominosteine der Kirchenkrise ist die Prävention weiterer Verbrechen ein wesentlicher Schritt. Aber es ist nur ein Schritt auf einem sehr langen Weg, zu dem auch Buße und Umkehr gehören müssen.
Einen zweiten Schritt beschrieb Michael Prüller, der Sprecher der Erzdiözese Wien, gegenüber den "Salzburger Nachrichten" als vollzogen, zumindest im eigenen Erzbistum: Bereits heute würden klerikale Triebtäter "nicht mehr in der Seelsorge eingesetzt, weder mit Kindern noch mit Jugendlichen". Wer seiner Neigungen nicht Herr wird, oder werden will, kann etwa im Archiv einer Tätigkeit nachgehen, so Prüller weiter. Was für die Erzdiözese Wien gelten mag, ist ein Punkt. Andernorts werden auch heute Priester überführt und sogar einzelne Bischöfe bezichtigt, etwa junge Männer, darunter Seminaristen, sexuell genötigt und missbraucht zu haben.
Ein dritter Schritt ist das Kirchenrecht; genauer: seine Anwendung. Papst Franziskus hat dazu das Regelwerk Vos Estix Lux Mundi eingeführt. Dies gilt auch für die deutschen Personen und Strukturen, samt der Bischöfe, die eingeräumt haben, Fehler im Umgang mit Missbrauchstätern unter ihrer Verantwortung gemacht zu haben.
Ein weiterer Schritt ist jedoch der fundamentale Umgang mit dem eigenen Glauben, und damit verknüpft die Frage, wie man Scham und Demut bei Tätern erwecken kann, wofür nicht nur moderne Therapien eine Lösung sein können. Dramatisch auf den Punkt hat dies der Priester und renommierte Archäologe Stefan Heid angesichts der Enthülltungen im Fall des notorischen Theodore McCarrick gebracht. McCarrick, der niemals auch nur zum Priester geweiht hätte werden dürfen, konnte ein mächtiger Bischof werden und schließlich sogar als einflußreicher Kardinal Karriere machen. Bis heute zeigt der in den Laienstand versetzte Verbrecher keine Reue oder Einsicht, soll sich aber nun in einem neuen Verfahren vor Gericht in den USA seinen Taten stellen.
AC Wimmer ist Chefredakteur von CNA Deutsch.
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