Pater Bargil Pixner OSB wäre gestern, am 23. März, 100 Jahre alt geworden. Das darf und soll aber auch heute nicht vergessen werden, in der ihm eigenen schönen Schusseligkeit. Am Anfang dieses Jahrtausends hat er es in nur zwei Jahren geschafft, unser Freund zu werden. Noch größer aber ist sein Verdienst als Großvater der 20 Filme über die 20 Geheimnisse des Rosenkranzes, die wir in den letzten Jahren für den Sender EWTN produzieren durften – und mit der Muttergottes selbst war er im Grunde der Urheber des Buches „HEILIGES LAND – Auf dem Königsweg aller Pilgerreisen“, das quasi zum Script dieser Filme geworden ist. 

Als wir am Aschermittwoch des Jahres 2002 Jerusalem verließen, durften wir Bargil mit unserem Auto ein letztes Mal über die wundervolle Allon-Road im Frühlingsleuchten vom Zionsberg nach Tabgha am See Genezareth mitnehmen, von einem Fixstern seines Lebens zum anderen, wo wir uns über der Eremoshöhle - auf „seinem“Berg der Seligpreisungen - von ihm verabschiedeten. Auf dem Schiff von Haifa nach Athen kam dann sein letzter Anruf auf meinem Handy an, kurz bevor unser Frachter den Radius des israelischen Telefonnetzes verließ. Als wir Bargil nach Ostern dann am 6. April noch einmal von Rom aus noch einmal anrufen wollten, hörten wir, dass er einen Tag zuvor gestorben sei. Danach schrieb ich für ihn am 12.  April 2002 meinen ersten Nachruf für DIE WELT, an dem ich auch heute kaum etwas für diese letzte Würdigung zu ändern habe, die damals noch unter dem Schatten der Intifada verfasst werden musste und deshalb „AM LETZTEN CHECKPOINT“ hieß, den er nun schon so lange überwunden hat, um sich freigiebig wie immer als unser Fürsprecher einzusetzen. Das war schon damals klar, als ich noch schrieb: 

«Auf jemanden wie Bargil Pixner hat Petrus sicher schon lange gewartet. Hier ist endlich wieder einmal jemand an seinem letzten Checkpoint angekommen, den er nur mit einem Kopfnicken durchzuwinken brauchte. „Sohn der Freude“ bedeutete der Vorname des Benediktinerpaters auf Aramäisch. Den hatte er jedoch nicht etwa von jüdischen Eltern in Jaffa, sondern durch Zufall erhalten, wie Gott sich mit seinem Künstlernamen auch gern nennt. Seine Eltern, ein Meßnerehepaar aus Südtirol, hatten ihren ersten Sohn vor über 80 Jahren bei Meran auf den Namen Virgil taufen ließ, nach einem Salzburger heiligen Bischof aus dem 8. Jahrhundert. Einem Beamten auf dem Einwohnermeldeamt Jerusalems war dieser Name aber zu kompliziert, weshalb er „Bargil“ bei seiner Einbürgerung in das Register schrieb: Sohn der Freude. Diesen Namen hat Bargil deshalb gleich beibehalten, als er in der Benediktiner-Abtei auf dem Zionsberg seine ewigen Mönchs-Gelübde ablegte, bei denen seine Mitbrüder ihre alten Namen normalerweise abstreifen wie einen alten Rock. 

Zu der Zeit hatte Bargil Pixner schon zwei Leben hinter sich, mindestens. Dennoch ist er erst danach wohl wirklich zu jenem „Sohn der Freude“ geworden, als der er nun in das Gedächtnis seiner letzten Heimatstadt eingehen wird. Das ist das christliche Jerusalem, ein fast schon vergessener Ort, wo er einer der friedlichsten Bürger in einer der friedlosesten Städte der Erde werden sollte. Hier wurde er zu einem modernen Heinrich Schliemann des Zionsberges, der als Priester aber auch das Nordufer des Genezareth-Sees als ein „fünftes Evangelium“ zu entdecken verstand, mit dem er die ersten vier Evangelien auf einzigartige Weise auszulegen wusste. Wer beispielsweise vor gut 20 Jahren auf einem einsamen Hügel über Tabgha am See Genezareth auf den Gedanken verfallen konnte, dass wohl nur hier, wenn überhaupt irgendwo, der Ort der Bergpredigt gewesen sein müsse, fand Jahre später genau dort einen aufgestellten Stein, der sagte: „Hier war es!“ Das hieß: Bargil Pixner war inzwischen da gewesen – freilich nicht nur mit dem Sensus eines aufgewühlten Pilgers, sondern dazu mit starken Argumenten: in diesem Fall mit dem frühesten Pilgerbericht der Egeria, die schon im 4. Jahrhundert den damals hoch verehrten Ort der Bergpredigt exakt über der Eremos-Höhle lokalisierte (die man nach dieser Angabe erst jetzt neu entdeckte, versteckt im Abhang des gleichen Hügels, als jenen Ort, in den Jesus sich nach dem Zeugnis der Schrift wohl am liebsten zum einsamen Gebet zurückzog). Es gibt in Israel  kaum einen schöneren Ort. 

Denn Bargil Pixner lebte nie nur ganz in unserer Zeit. Ebenso wie er über mehrere Leben verfügte – eins im todesmutigen Widerspruch zu Hitler (und Virgil Pixners offen erklärter Freundschaft zum Volk der Juden im Jahr 1944!) und eines in einem Lepradorf in den Philippinen – so verfügte er auch über mehrere Heimatorte. Ganz und gar zu Hause war er schließlich in Jerusalem geworden, nicht heute freilich, sondern im ersten Jahrhundert, in fast schon märchenhafter Vertrautheit mit Jesus und der Urgemeinde, aus der er sich bis zum letzten Atemzug die Freiheit immer neuer Ansichten auf die Gründungsereignisse der westlichen Welt nahm. Davon werden unzählige Anregungen noch Generationen inspirieren  – neben den Anekdoten seiner vielen Freunde, die zu sammeln er eine ganz eigentümliche Begabung besaß. Von einer Reihe von Büchern werden die "Wege des Messias und Stätten der Urkirche" (zusammen mit Rainer Riesner) der wohl wichtigste Titel bleiben. 

In seiner Nachbarschaft erzählte man sich in der armenischen Gemeinde lange Zeit gern folgenden Witz. Weil Bargil Pixner hier immerzu etwas Neues entdeckte und ausgrub – gestern das bei Flavius Josephus erwähnte Tor der Essener, heute die Grundsteine der ersten „Kirche der Apostel“ (aus  Quadersteinen des zerstörten jüdischen Tempels!) und vorgestern eine guterhaltene Mikvah der Muttergottes (unter der Hagia-Maria-Sion-Basilika) – schickte der Abt des Konvents seinen unruhigen Mitbruder schließlich zum Ausruhen in die Niederlassung der Benediktiner an den See Genezareth. Kaum war Pater Pixner jedoch da, erreichte den Abt folgendes Telegramm: „Habe Betsaida entdeckt! Bargil!“ – Heute erzählt diesen Witz schon lange keiner mehr, seit ohne Zweifel ist, dass er auch 1981 wieder einen Volltreffer gelandet hatte, als er unter dem Gelächter vieler Kollegen in das Gestrüpp neben der Jordanmündung einen Erinnerungsstein an das biblische Betsaida in den Boden rammte, wo das antike Dorf inzwischen fast vollständig ausgegraben ist, aus dem die Apostel Andreas, Petrus, Jakobus und Johannes stammen. 

Bargil Pixner ist an einem Freitag der Osterwoche neben der Entschlafungsbasilika Mariens friedlich entschlafen, wo er ein Brückenbauer der christlich-jüdischen Aussöhnung geworden ist und schließlich ein Motor der beispiellosen Ökumene der Christenheit Jerusalems. Vor allem in Amerika bedauern und betrauern seinen Tod viele mehr als eine abgebrannte Bibliothek, weil heute wohl keiner mehr so sehr mit den Ortstraditionen der Stadt vertraut ist wie dieser Mönch, für den der Weg vom irdischen zum himmlischen Jerusalem schließlich nicht mehr weit gewesen sein kann. Doch wer ihn in der ersten Stadt kennenlernen durfte, mag kaum daran zweifeln, dass er inzwischen wohl auch im himmlischen Jerusalem wieder unterwegs sein wird, um dort nicht weniger als hier nach verschütteten Toren dieser letzten und schönsten aller Städte zu graben und freizulegen.»

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