„Es gibt wohl keinen Mitbruder des Heiligen aus Assisi, der mit ihm so vertraut und verbunden war wie Bruder Leo.“ – Mit diesen Worten gibt Pater Gottfried Egger OFM zu Beginn seines neuen Buches „Bruder Leo, schreibe …!“ bereits die Wichtigkeit der Person des unbekannten oder vergessenen Mitbruders des heiligen Franziskus vor, der ihn als persönlicher Sekretär, Beichtvater und Vertrauter begleitete. In dem Buch geht es um das Leben des Priesters „Bruder Leo“, um seine Freundschaft mit dem heiligen Franziskus und um den großen seraphischen Heiligen selbst. „Wie kaum ein anderer Bruder war er daher in die innersten Geheimnisse des Heiligen aus Assisi eingeweiht.“

„Viele Briefe und Dokumente hat der Kalligraph und Priester Bruder Leo für seinen Ordensgründer Franziskus geschrieben.“ Obwohl Leo auch aus Assisi stammte, ist nicht bezeugt, dass er ein „Gefährte aus der Jugendzeit des Heiligen“ gewesen ist, denn er schloss sich erst nach 1209, also nach der Approbation der ersten Regel durch Papst Innozenz III., Franziskus und seiner Bewegung an.

Gottfried Egger kann, wie andere Autoren vor ihm, keine „lückenlose biographische Skizze“ von Bruder Leo vorlegen, doch seine akribische Arbeit lässt ein Bildnis des Gefährten des Poverello aus Assisi vor den Augen der Leser entstehen, welches der Wirklichkeit sehr nahe zu kommen scheint.

Bruder Leo weilte für kürzere, aber auch für längere Zeiten an Franziskus Seite. Er war dann in seiner unmittelbaren Nähe und dabei oft der Einzige. Als dieser auf dem Berg La Verna ein vierzigtägiges Fasten zu Ehren des heiligen Erzengels Michael hielt, konnte er in dieser Bergeinsamkeit „den leidenden und ringenden Franziskus aus nächster Nähe“ erleben.

Der Berg La Verna ist der Schicksalsberg im Leben von Franziskus. Er befindet sich etwa 120 Kilometer nördlich von Assisi. Im August 1224 zog Franziskus wieder dort hinauf in die Einsamkeit. Er war zwar erst 42 Jahre alt, aber sehr krank. Die steilen Pfade zu erklimmen war ihm nur auf dem Rücken eines Esels möglich. Obwohl er völlig erschöpft ist und zudem noch von Sorgen und Entbehrungen geplagt, versucht er all dies an diesem Ort mit Gott auszumachen.

Bruder Leo sah, wie sich sein Meister „tagelang in das Leiden und Sterben Jesu hineinversenkte. Er sah den leidenden und ringenden Franziskus. Von Zeit zu Zeit nahm er ihm die Beichte ab. Er litt darunter, den Heiligen so leiden zu sehen.“

Hier geschah das Wunder der Stigmatisierung. „Der Heilige versenkte sich so sehr in diese Erlöserliebe, dass er durch diese Liebe und dieses Mitleid ganz in Jesus verwandelt wurde.“ Ein Seraph kam auf ihn zu als wunderbare, aber furchterregende Erscheinung. Diese Erscheinung hinterließ ein wunderbares Bild. „Franziskus, der ganz in Christus eingetaucht war, begann an seinem Leib die Wundmale des Herrn zu bekommen.“

„Gleich nachdem der hl. Franziskus die Wundmale empfangen hatte, pflegte der Bruder den Ordensgründer und half ihm bei der Fortbewegung. Er begleitete ihn nach Assisi zurück und blieb dann praktisch immer an seiner Seite, bis zum Tod des Poverello am 3. Oktober 1226.“

Nach dem Heimgang seines geliebten Freundes und Meisters fand Bruder Leo „einen Bezugspunkt, ja eine Mitte in der ‚Pflanze des hl. Franziskus‘, in Schwester Klara. Gerade in ihr sah er so etwas wie die gelebte Treue zu dem, was Franziskus selbst gelebt und für seinen Orden gewollt hatte. Bruder Leo fand in Schwester Klara die praktizierte und geliebte Spiritualität des Ordensgründers wieder.“

So blieben Bruder Leo und die hl. Klara „freundschaftlich innig“ miteinander verbunden. „Die enge Beziehung zu den Klarissen zeigt sich auch darin, dass Bruder Leo das berühmte und auch literaturgeschichtlich kostbare ‚Franziskusbrevier‘, in das er wichtige Anmerkungen eingefügt hatte, 1263 den Klarissen übergab, die es bis heute in ihrem Mutterkloster in Assisi aufbewahren.“

All diese Vorgänge und Ereignisse werden vom Autor berichtet. „Bruder Leo überlebte den Ordensgründer um 45 Jahre. Er war stets Zeuge und Apologet von Franziskus Leben und Zeugnis. So schrieb Leo Ereignisse aus dem Leben des Heiligen nieder, die in verschiedensten franziskanischen Quellen überliefert sind. Den Brüdern späterer Generationen erzählte er oft mit grossem Eifer vom Poverello und sprach über die Herzensanliegen des Ordensgründers.“

„Bruder Leo hat das Charisma des hl. Franziskus im Tiefsten gelebt und für die Nachwelt wahrhaft und überzeugend verkörpert.“

Bruder Leo, schreibe . . . was die wahre Freude ist!

Bruder Leo war mit Bruder Franziskus unterwegs und sie unterhielten sich. Leo stellte Franziskus die Frage: „Vater, ich bitte dich im Namen Gottes, sag mir doch, worin nun die vollkommene Freude liegt.“

Der heilige Franziskus antwortete ihm:

Wenn wir nach Santa Maria degli Angeli kommen, durchnässt vom Regen, vor Kälte steif gefroren, bedeckt mit Schmutz und geplagt von Hunger, und wir klopfen an der Pforte der Niederlassung und der Pförtner kommt zornig heraus und sagt: „Wer seid ihr?“ Wir aber sagen: „Wir sind zwei eurer Brüder.“ Und er antwortet: „Ihr sagt nicht die Wahrheit. Zwei Räuber seid ihr, die in betrügerischer Absicht durch die Welt ziehen und die Almosen der Armen rauben. Geht fort!“ Und er öffnet uns nicht, sondern lässt uns draussen stehen in Schnee und Regen, kalt und hungrig bis in die Nacht. Wenn wir dann so grosses Unrecht, solche Grausamkeit und solche Zurückweisungen geduldig ertragen, ohne Aufregung und ohne über ihn zu murren; wenn wir demütig und wohlwollend denken, dass dieser Pförtner uns wirklich kennt und dass Gott ihn gegen uns sprechen lässt: O Bruder Leo, schreibe, dass darin die vollkommene Freude liegt.

Und wenn wir dann nicht aufhören anzuklopfen, kommt er zornig heraus und jagt uns mit Schimpf und Ohrfeigen fort wie nichtsnutzige Lumpen, indem er sagt: „Packt euch fort von hier, elende Gauner! Geht zum Hospital, denn hier werdet ihr nicht essen und übernachten!“ Wenn wir das geduldig und mit Fröhlichkeit und gütiger Liebe ertragen: O Bruder Leo, schreibe, dass darin die vollkommene Freude besteht.

Und wenn wir dann gezwungen durch Hunger, Kälte und die Nacht immer noch klopfen und rufen und um der Liebe Gottes willen unter Tränen bitten, er möge uns doch öffnen und einlassen, dieser aber noch mehr verärgert sagt: „Das sind doch nichtsnutzige Lumpen! Ich werde ihnen heimzahlen, wie sie es verdienen.“ Und er kommt heraus mit einem Knüppel, packt uns bei der Kapuze, stösst uns zu Boden, wirft uns in den Schnee und versetzt uns mit jenem Stock einen Hieb nach dem andern: Wenn wir das alles geduldig und mit Fröhlichkeit ertragen, indem wir an die Leiden Christi, des Gebenedeiten denken, die wir um seiner Liebe willen ertragen müssen, o Bruder Leo, schreibe, dass darin die vollkommene Freude besteht.

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Gottfried Egger OFM: „Bruder Leo, schreibe …!“ Ein Leben in Freundschaft mit Bruder Franziskus als dessen persönlicher Sekretär, Beichtvater und vertrautester Mitbruder; EOS-Verlag 2023; 184 Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen; 19,95 Euro; ISBN: 978-3830681816

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