20. November 2019
Osnabrücks Bischof Dr. Franz-Josef Bode äußerte jüngst die verschiedentlich begrüßte Idee, dass auch das alte Europa eine Synode nötig habe – dem Beispiel Amazoniens folgend. Ich glaube: Wir brauchen keine wundersame Synodenvermehrung, sondern einfach mehr Freude an Gott, mehr Liebe zu Seiner Kirche und mehr Wachstum im Glauben. Die letzte europäische Bischofssynode war zudem gefühlt erst gestern.
Ungleich klimafreundlicher erscheint es also, nicht erneut in synodale Betriebsamkeit zu verfallen, die dann allzu leicht in traditionalistische wie postmoderne Ideenflucht, endlose Konferenzen und unnötige Flugreisen mündet, sondern sorgfältig zu lesen, was am 28. Juni 2003 Papst Johannes Paul II. den Klerikern und Weltchristen in Europa nahelegte. Vor etwas mehr als fünfzehn Jahren veröffentlichte er das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Ecclesia in Europa" – im Anschluss an die letzte Bischofsversammlung auf unserem so oft glaubensmüden Kontinent. Darum könnten wir heute vielleicht über eine besonders zeitgemäße Inkulturation nachdenken, fern von Amazonien, hier in Europa – nämlich über die "Inkulturation des Evangeliums". Johannes Paul II. schreibt vieles Bedenkenswerte, vor allem aber empfiehlt er, das "gesellschaftliche Leben zu evangelisieren".
Das Kennzeichen katholischer Weltoffenheit heute besteht auch nicht darin, den Glauben beschämt zu verstecken, die Kreuze aus den Amtsstuben zu entfernen oder das Credo der Kirche durch ein Bekenntnis zur einzig wahren Agenda der Kirchenkritik und zum absolut gültigen Relativismus der Moderne zu ersetzen. Der heilige Johannes Paul II. erkannte klarsichtig die Ideologien seiner Zeit und äußerte sich auch leidenschaftlich gegen den Konsumismus. So war ihm bewusst, dass auch Kirche und Theologie – saturiert, behäbig und müde – von einer Art Virus befallen werden können. Zu den größten Versuchungen dieser Zeit gehören Lauheit, Biederkeit und Dekadenz, und diese tückischen Verlockungen reichen weit in die Kirche hinein. Oder ist in der römisch-katholischen Kirche heute noch die "Verkündigung Jesu Christi" zentral?
Natürlich, Papst Franziskus spricht ständig davon. Darum empfahl er dringend in seinem Brief an die deutschen Katholiken die Neuevangelisierung als wichtigstes Ziel des "Synodalen Weges". Auch Johannes Paul II. sprach 2003, mit Blick auf Europa, von der "Evangelisierung der Kultur". Gezeigt werden müsse, "daß es auch heute in diesem Europa möglich ist, das Evangelium in seiner Fülle als Wegweisung zu leben, die dem Dasein Sinn verleiht". Er forderte nicht eine ins Beliebige sich verflüchtigende Kreativität, die dann als "Pastoral" etikettiert wird. Stattdessen schrieb er: "Zu diesem Zweck muß die Pastoral die Aufgabe übernehmen, eine christliche Geisteshaltung im alltäglichen Leben zu formen: in der Familie, in der Schule, in der sozialen Kommunikation, in der Welt der Kultur, der Arbeit und der Wirtschaft, in der Politik, in der Freizeit, in Gesundheit und in Krankheit."
Johannes Paul II. erwähnt die "kulturelle Fruchtbarkeit des Christentums" in historischer Perspektive. Auf diesen Wegen müsse auch heute ein "Zugangs des Evangeliums zur Wirklichkeit und zum Menschen" hinweisen. Ebenso fordert der Papst eine konstruktive Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, eine Abkehr vom Positivismus und jeglichen Formen einer bloßen Wissenschaftsgläubigkeit. Er bekennt sich zum Naturrecht. Die Kirche also muss ihre Lehre nicht zeitbedingten Existenz- und Beziehungsweisen anpassen, sondern die "sittlichen Kriterien anbieten, die der Mensch als in seine Natur eingeschrieben besitzt".
Besonders wendet sich Johannes Paul II. an alle gläubigen Katholiken, die zur Lehre bestellt sind, ob als Lehrkräfte an Schulen oder Universitäten: "Durch ihren »Dienst des Denkens« geben sie die Werte eines durch zweitausend Jahre humanistischer und christlicher Erfahrung bereicherten kulturellen Erbes an die jungen Generationen weiter." Er wirbt für einen neuen "Humanismus christlicher Inspiration" und für die "Neuevangelisierung". Auch im "Dialog mit der Welt der Kunst" können "neue Ausdrucksformen des Glaubens entstehen": "Die Kirche braucht nämlich die Kunst, die Literatur, die Musik, die Malerei, die Bildhauerei und die Architektur, weil »sie die Welt des Geistes, des Unsichtbaren, die Welt Gottes wahrnehmbar, ja, so weit als möglich, faszinierend machen soll« und weil die künstlerische Schönheit, gleichsam als Widerschein des Geistes Gottes, Schlüssel zum Mysterium ist, Einladung, das in Jesus von Nazaret sichtbar gewordene Angesicht Gottes zu ergründen."
Johannes Paul II. empfahl dem Kontinent einen "qualitativen Sprung" im Blick auf sein christliches Erbe und ein "erneuertes Hören auf das Evangelium Christi": "Mit der Vollmacht, die sie von ihrem Herrn erhält, wiederholt die Kirche vor dem Europa von heute: Europa des dritten Jahrtausends, »laß die Hände nicht sinken!« (Zef 3, 16); verliere nicht den Mut, passe dich nicht Denk- und Lebensweisen an, die keine Zukunft haben, da sie sich nicht auf die unerschütterliche Gewißheit des Wortes Gottes stützen!« ... »Kehre du selbst um! Sei du selbst! Entdecke wieder deine Ursprünge. Belebe deine Wurzeln!« Du hast im Laufe der Jahrhunderte den Schatz des christlichen Glaubens empfangen. Dieser begründet dein soziales Leben auf den Prinzipien des Evangeliums, und seine Spuren sind in den Künsten, in der Literatur, im Denken und in der Kultur deiner Nationen wahrnehmbar. Doch dieses Erbe gehört nicht nur der Vergangenheit an; es ist ein Zukunftsplan zum Weitergeben an die künftigen Generationen, weil es der Ursprung des Lebens der Menschen und Völker ist, die miteinander den europäischen Kontinent geschmiedet haben. Fürchte dich nicht! Das Evangelium ist nicht gegen dich, sondern es ist auf deiner Seite. ... Hab Vertrauen! Im Evangelium, das Jesus ist, wirst du die feste und dauerhafte Hoffnung finden, nach der du dich sehnst. Es ist eine Hoffnung, die auf den Sieg Christi über die Sünde und den Tod gegründet ist. Er hat gewollt, daß dieser Sieg dir gehört, zu deinem Heil und deiner Freude. Sei gewiß: Das Evangelium der Hoffnung bereitet keine Enttäuschung! In den Wechselfällen deiner Geschichte von gestern und heute ist es das Licht, das leuchtet und dir den Weg weist; es ist die Kraft, die dich in Prüfungen aufrechterhält; es ist die Prophezeiung einer neuen Welt; es ist der Hinweis auf einen Neuanfang; es ist die Einladung an alle – Glaubende und Nichtglaubende –, neue Wege einzuschlagen, die in das »Europa des Geistes« einmünden ..."
Auch Papst Franziskus erinnerte in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament am 25. November 2014 eindrucksvoll an die christlichen Wurzeln Europas: "Ein anonymer Autor des 2. Jahrhunderts schrieb, dass »die Christen in der Welt das sind, was die Seele im Leib ist«. Die Aufgabe der Seele ist es, den Leib aufrecht zu erhalten, sein Gewissen und sein geschichtliches Gedächtnis zu sein. Und eine zweitausendjährige Geschichte verbindet Europa mit dem Christentum. ... . Diese Geschichte ist zum großen Teil erst noch zu schreiben. Sie ist unsere Gegenwart und auch unsere Zukunft. Sie ist unsere Identität."
Möglicherweise steht dem alten Europa der "qualitative Sprung", von dem der heilige Johannes Paul II. sprach, noch bevor? Vielleicht denkt der eine oder andere von Ihnen nun: "Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?" Wie mag das gehen? Vielleicht einfach so: Das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus im Alltag bezeugen, in unverbrüchlicher, liebender Treue zu Seiner Kirche und ihrer Lehre zu stehen – mit einem dankbaren, frohen und freundlichen Gesicht dem Nächsten zugewandt, fest im Glauben verwurzelt und gerade darum auch weltoffen.
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