Das Hochamt zum Weihnachtsfest hat in der Kirche der schmerzhaften Gottesmutter am Campo Santo Teutonico direkt neben dem Petersdom Kardinal Kurt Koch gefeiert, der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. CNA Deutsch dokumentiert die Weihnachtspredigt des Schweizer Kurienkardinals mit freundlicher Genehmigung.

"Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt; und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit" sagt Johannes am Anfang seines Evangeliums. In diesem Spitzensatz verdichtet der Evangelist gleichsm  das Weihnachtsgeheimnis, und er bringt damit zum Ausdruck: Wir können die Herrlichkeit des Sohnes Gottes nur deshalb wahrnehmen, weil das Wort Gottes Fleisch geworden und unter uns gewohnt hat. Dabei handelt es sich freilich nicht einfach um eine Aussage, die die Vergangenheit betrifft. Das Wort und damit Gott selbst will auch heute unter uns Menschen wohnen.

Wo Gott wohnt

Was das überraschende Wort vom Wohnen Gottes unter uns Menschen für unser Leben bedeutet und in unserem Leben bewirken kann, dies geht uns auf, wenn wir bedenken, welche elementare Bedeutung in unserem Leben die eigene Wohnung hat. Sie gehört zweifellos zu jenen Einrichtungen, auf die wir Menschen am allerwenigsten verzichten würden. Die eigene Wohnung ermöglicht einen Lebensraum des Privaten und Intimen, in dem man sich zu Hause fühlen kann. Wie sehr wir die Wohnung unser "Eigen" nennen, zeigt sich bereits daran, dass wir nicht einfach alle Menschen hereinlassen, sondern die Türe unserer Wohnung nur jenen Menschen öffnen, mit denen wir vertraut sind oder vertraut werden möchten. Mit Recht investieren wir Menschen viel dafür, dass unsere Wohnung wirklich bewohnbar ist.

Angesichts der elementaren Bedeutung der eigenen Wohnung stellt sich die Frage, ob auch Gott eine Wohnung hat und wo denn Gott wohnt. Vielleicht hört sich dies zunächst wie eine typische Kinderfrage an, die aus kindlicher Neugierde heraus gestellt wird. Denn Kinder wollen bekanntlich alles wissen, und zwar genau. Tiefer gesehen sind aber auch wir erwachsenen Menschen von dieser Frage bewegt, zumal an Weihnachten. Es ist geradezu das Geheimnis der Heiligen Weihnacht, die uns diese Frage stellen lässt. Weihnachten zeigt uns zunächst, dass Gott durchaus im Himmel wohnt. So verkündet es uns das grosse himmlische Heer von Engeln, die in der Heiligen Nacht Gott loben: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe". Die Engel fügen jedoch sofort hinzu: "und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade". Gott wohnt zwar im Himmel; an Weihnachten und seit Weihnachten will Gott aber mit seinem Frieden auf Erden bei uns Menschen wohnen. Seine angestammte Heimat ist durchaus der Himmel, seine Wahlheimat jedoch die Erde.

Weihnachten öffnet uns so den Blick in die innerste Herzmitte des christlichen Glaubens, die der bedeutende Theologe Hans Urs von Balthasar mit den eindringlichen Worten umschrieben hat: "Das Tiefste am Christentum ist die Liebe Gottes zur Erde. Dass Gott in seinem Himmel reich ist, wissen andere Religionen auch. Dass er zusammen mit seinen Geschöpfen arm sein wollte, dass er in seinem Himmel an seiner Welt leiden wollte, ja gelitten hat und durch seine Menschwerdung sich instand setzte, dieses sein Leiden der Liebe seinen Geschöpfen zu beweisen, das ist das Unerhörte bisher." In der Tat ist es unerhört, dass ER, der erhabene, unendliche, ewige und unfassbar grosse Gott in seinem Sohn selbst Mensch wird, um als Mensch unter Menschen wohnen zu können. So nahe will Gott uns an Weihnachten kommen und sein, dass er selbst seine Wohnung unter uns Menschen aufschlägt, ja unter uns "campiert", wie es im griechischen Urtext bei Johannes heisst. Damit rückt uns Gott gleichsam auf unseren Leib und wird unser unmittelbarer Nachbar. Er spricht uns sein "Du" zu und lädt uns ein, auch ihm "Du" zu sagen.

Dies ist das unerhörte Geheimnis von Weihnachten. Damit freilich ist die sehr ernste Frage an uns gestellt, ob wir uns an dieser unmittelbaren Nachbarschaft Gottes freuen oder ob wir Gott nicht doch lieber distanzierter und erhabener hätten. Sind wir Christen wirklich dankbar dafür, dass Gott uns so nahekommt und sich so klein macht wie ein Kind in der Krippe? Oder denken wir nicht doch insgeheim, dass es viel besser wäre, wenn Gott nicht so weit zu uns heruntersteigen und sich nicht so konkret auf uns einlassen würde, dass er selbst einer von uns wird? Vor diese Frage stellt uns das Weihnachtsfest, und wir sind herausgefordert, ehrlich Farbe zu bekennen.

In Demut für Gott bewohnbar werden

Hand aufs Herz: Wünschen nicht auch wir Christen so oft einen Gott, der sich nicht klein macht, sondern der groß und über unsere Alltagswelt erhaben ist? Vielleicht erblicken wir darin sogar die einzig adäquate Einstellung zu Gott und rühmen uns einer besonderen Demut im Glauben. Denn je weiter Gott von uns Menschen entfernt ist, desto erhabener erscheint er uns und desto demütiger kommen wir uns vor. Vor der Weihnachtskrippe werden wir uns aber dessen bewußt, dass es sich dabei um eine Einstellung zu Gott handelt, die nur scheinbar die Ehrenbezeichnung Demut verdient, und dass sich eine solche scheinbare Demut Gott gegenüber unter der Hand in Hochmut verwandelt, der es Gott weder zutraut noch gestattet, näher an uns heran zu kommen, als wir es wünschen. Solchen Hochmut können wir aber nur überwinden mit der glaubenden und demütigen Anerkennung der Demut Gottes, der so groß ist, dass er sich ganz klein wie ein Kind machen kann und der sich zu uns Menschen herunter beugt, indem er Mensch wird.

Wer Gott begegnen will, muss in der Tat zu ihm aufschauen. An Weihnachten muss er aber ebenso lernen, sich selbst zu bücken. Denn Gott selbst hat sich zu uns Menschen heruntergebückt, als er Mensch unter Menschen werden und mitten unter uns wohnen wollte. Die wahre Haltung Gott gegenüber kann deshalb nur die echte Demut sein, die die Wohnung Gottes mitten unter uns Menschen nicht nur akzeptiert, sondern dafür dankbar ist, dass an Weihnachten Gott uns so nahekommt, wie es näher gar nicht mehr geht. Um dies erkennen und wahrnehmen zu können, brauchen wir die Augen des Glaubens, die das Große des Geheimnisses Gottes im ganz Kleinen des Kindes in der Krippe zu sehen vermögen. Denn auch uns Menschen heute wird kein anderes Zeichen gegeben als dasjenige, das damals den Hirten gegeben worden ist: "Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt." 

Ein Mensch, der in radikaler Weise in solcher Dankbarkeit gelebt hat, ist Maria. In ihr ist das Weihnachtsgeheimnis der Wohnung Gottes unter uns Menschen ganz konkret geworden. In und durch Maria ist das Wort Gottes, ist Christus in unsere Welt gekommen. Maria ist die vornehmste Wohnung Gottes in unserer Welt geworden, wie ihr der Erzengel Gabriel verheißen hat, indem er sie mit den Worten angesprochen hat: "Freue dich, du Gandenvolle, der Herr ist mit Dir." Der Erzengel hat damit die alttestamentliche Verheißung Gottes an die Adresse Israels, der Tochter Zion, aufgegriffen, dass Gott als Retter kommen wird, und er hat diese Verheißung nun Maria zugesprochen, indem er sie mit der Tochter Zion gleichgesetzt hat. Dies wird noch dadurch verdeutlicht, dass der Erzengel verheisßt, dass der Heilige Geist die Empfängnis des Sohnes Gottes bewirken wird. Wenn Lukas für das Kommen des Heiligen Geistes auf Maria das Wort "überschattet" verwendet, dann bezieht er sich damit auf die alttestamentlichen Berichte von der Heiligen Wolke, die über dem Zelt der Begegnung steht und damit die Einwohnung Gottes anzeigt. Maria wird uns deshalb vor Augen gestellt als das neue Heilige Zelt und der neue Tempel, in denen Gott wohnt. Denn Maria hat so gelebt, dass sie für Gott ganz bewohnbar und zur Wohnung Gottes in der Welt geworden ist. Maria hat ihren eigenen Leib dem Sohne Gottes dadurch bereitet, dass sie ihn als Wohnung für seine Ankunft verfügbar gemacht hat. Maria ist das menschliche Zelt für die Einwohnung des in unsere Welt kommenden und unter uns Menschen wohnenden Gottes. 

Marianische und eucharistische Wohnung Gottes

Wo wohnt Gott? Diese im ersten Hinhören neugierige Kinderfrage hat an Weihnachten eine wunderschöne Antwort erhalten: Zunächst wohnt Gott in einem ganz konkreten Menschen, nämlich in Maria, der demütigen Tochter Zion. Wie Gott in Maria eine bewohnbare Wohnung erhalten hat, so möchte Gott auch in uns Menschen heute wohnen. Was in Maria vor zweitausend Jahren geschehen ist, dies will sich auch heute in jedem Christen ereignen. Damit auch wir für Gott bewohnbar werden, kann es freilich nicht genügen, dass wir an Weihnachten bloß eine Erinnerung an ein Geschehen vor zweitausend Jahren sehen, das wir gleichsam nur von außen mit einem rein historischen Blick betrachten könnten. Weihnachten will sich vielmehr auch heute an uns und vor allem in uns ereignen, wie es Angelus Silesius gedichtet hat: "Wär’ Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in Dir, Du wärst noch ewiglich verloren." Auch in uns möchte Gott an Weihnachten Wohnung nehmen. Dazu brauchen wir die Grundhaltung der Demut, die unser Herz öffnet und es für das Kommen des Herrn bewohnbar macht. Dann erst kann sich wirklich Weihnachten ereignen.

Weihnachten will auch jetzt geschehen, wenn wir Eucharistie feiern. Wie das Wort Gottes selbst Fleisch angenommen und Mensch unter Menschen geworden ist, so schenkt das Kind in der Krippe uns heute seine besondere Nähe im neuen Bethlehem, das genau übersetzt "Haus des Brotes" heisst. Dieses neue Bethlehem ist die Eucharistie, in der Christus sich selbst in einem kleinen Stücklein Brot, in der unscheinbaren Gestalt der Hostie, schenkt. Im Geheimnis des verwandelten Brotes legt sich Christus selbst in unsere Hände und vor allem in unsere Herzen, damit wir ihn in uns aufnehmen und in uns wohnen lassen.

Als der heilige Franz von Assisi im Jahre 1223 in Greccio die Weihnachtskrippe gebaut und über ihr die Eucharistie hat feiern lassen, in der er als Diakon das Weihnachtsevangelium mit grosser Freude gesungen hat, hat er seine tiefe Glaubensüberzeugung zum Ausdruck gebracht: Weihnachten und Eucharistie, das historische Bethlehem, wo der Gottessohn geboren worden ist, und das eucharistische Bethlehem, wo wir das Brot des ewigen Lebens empfangen, gehören unlösbar zusammen. Die Menschwerdung Gottes im Kind in der Krippe und die Brotwerdung Christi in der Eucharistie sind die zwei Seiten des einen Weihnachtsgeheimnisses. Es begegnet uns immer dann, wenn wir die Eucharistie feiern.

In der Heiligen Eucharistie sind wir eingeladen, selbst Krippe zu werden, um den eucharistischen Herrn zu empfangen und ihn in uns wohnen zu lassen. An Weihnachten dürfen wir in besonders ehrfürchtiger Weise Eucharistie – Beth-Lechem: Haus des Brotes – feiern und uns darüber freuen, dass Gott mitten unter uns Menschen wohnen will. In der Eucharistie erfüllt sich in konkreter und dichter Weise das Geheimnis von Weihnachten, wie es der Evangelist Johannes besingt: "Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt; und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit." Amen.

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