Die Geschichte der Exegese birgt auch viele "Holzwege". Nahezu unübersehbar viele Jesus-Bilder sind entstanden. Der Philosoph Karl Jaspers ordnete Jesus Christus den – wie er dies nannte – maßgebenden Menschen zu. Er betrachtet ihn als eine Persönlichkeit besonderer Art, prägend und bedeutsam wie Sokrates, Konfuzius oder Buddha.

Was religionsgeschichtlich passend und weltlich respektvoll klingt, zeigt näher betrachtet doch, dass die Ordnungsschemata, die wir zur Verfügung haben, für Jesus Christus nicht ausreichend sind. Die Theologie leistet manchmal Beiträge dazu, wenn sie irrlichternden Rekonstruktionsversuchen vertraut, die dann mit dem "nachösterlichen Glauben" verknüpft werden. Benedikt XVI. spricht darum von "Holzwegen": "Wo sollte eigentlich der nachösterliche Glaube hergekommen sein, wenn der Jesus vor Ostern keine Grundlage dazu bot? Mit solchen Rekonstruktionen übernimmt sich die Wissenschaft." (Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg im Breisgau 2007, 350)

Immer wieder gab und gibt es auch im Raum der Kirche Bestrebungen, Jesus Christus auf ein menschliches Maß zu verkürzen, den Herrn für kirchenpolitische Absichten zu instrumentalisieren oder für konstruktivistische Theorien zu missbrauchen. Christus hat die Jünger gefragt, für wen sie ihn halten. Auch wir stehen neu vor der Frage: Für wen halten wir diesen Jesus von Nazareth? Sind auch wir bisweilen versucht, ihn als beispielhaft guten Menschen oder als Weisheitslehrer anzusehen? Oder würden wir ihn den Propheten zuordnen? Wir sprechen das Credo, und wir empfangen die Sakramente. Doch die Versuchungen des Relativismus sind weitreichend. Gegenwärtig bleibt mir ein protestantischer Hotelier aus Schleswig-Holstein, der die Bibel für ein gutes, lehrreiches Buch hielt. Zugleich fand er östliche Weisheitslehren tiefgründig und auch Buddha bewundernswürdig.

Die Jünger des Herrn sagen aber nicht zu Christus: "Du bist ein weiser Mann so wie viele andere auch." Oder: "Du bist so wichtig wie Jesaja oder Sacharja." Sie erkannten, so Benedikt, dass er "mehr war als einer der Propheten": "In großen Augenblicken spürten die Jünger erschüttert: Das ist Gott selbst. All das konnten sie nicht zu einer fertigen Antwort zusammensetzen. Sie gebrauchten – zu Recht – die Verheißungsworte des Alten Bundes: Christus – der Gesalbte, Sohn Gottes, Herr. Es sind die Kernworte, in denen sich ihr Bekenntnis konzentrierte, das doch immer noch tastend unterwegs blieb."  (ebd., 351) Unterwegs zu Christus bleiben auch wir als pilgernde Kirche, verbunden mit der Weggemeinschaft der Gläubigen aller Zeiten und Orte, mit unseren Vorfahren und mit den Heiligen, mit unseren Schwestern und Brüdern im Glauben. Wir denken auch an das Bekenntnis des Thomas, der nach der Berührung der Wundmale des Auferstandenen sagt: "Mein Herr und mein Gott!" (Joh 20,28) Können wir uns ihm anschließen?

Wenn wir einander von unserem Leben im Glauben erzählen, so werden oft Wegmarken, besondere Momente und Erfahrungen deutlich. Der Glaube an Jesus Christus ist nicht das Ergebnis vertieften Nachdenkens. Vor der Größe dieses Wortes, das der heilige Thomas nach der Begegnung mit dem Herrn sagt, mögen wir erschaudern. Wir bleiben, so Benedikt XVI., "unterwegs mit diesem Wort": "Es ist so groß, dass wir es nie fertig erfasst haben, und es bleibt uns immer voraus. Ihre ganze Geschichte hindurch pilgert die Kirche immer neu in dieses Wort hinein, das uns nur in der Berührung mit den Wunden Jesu und in der Begegnung mit dem Auferstandenen fassbar werden kann und uns dann zur Sendung wird." (ebd., 351) Dieses Wort übersteigt weltliche Kategorien und Denkmodelle. Ein schönes Zeichen ist, dass so viele einfach gläubige Menschen von innen her in Berührung gekommen sind mit Christus und Zeugnis davon gaben. Heilige wie Bruder Konrad, Theresia vom Kinde Jesus und Bernadette Soubirous sind unsere Weggefährten. Dankbar sind wir für ihren Beistand, für ihr Mitgehen auf unseren oft nicht einfachen Wegen. Wir dürfen im Gebet auf ihre Fürsprache hoffen, und wir bedürfen dieser Fürsprache so sehr. Auch die Theologie birgt gefährliche Verlockungen, die eine tiefe Entfremdung von Gott anzeigen – wenn Jesus-Bilder erstellt werden, die das Antlitz des Herrn verdecken.

Die Erfahrung der Jünger, die Benedikt XVI. beschreibt, zeigt den hohen Moment an – wenn sie von innen her spüren: Das ist Gott selbst, es ist der Herr. Aus dem Staunen erwächst vielleicht ein tiefes Schweigen, mitnichten ein großes Mitteilungsbedürfnis. Besonnenheit, Zurückhaltung und Umsicht scheinen auch heute angemessen zu sein, wenn von Privatoffenbarungen oder inneren Erfahrungen Auskunft gegeben wird. Wenn wir das Credo sprechen oder singen, dann bekennen wir unseren Glauben – und wahrscheinlich wissen wir zugleich, dass wir in diesen Glauben unser ganzes Leben lang hineinpilgern und hineinwachsen werden. Das letzte Amen sprechen wir nicht selbst. Es wird uns zugesprochen. Wir dürfen hoffen, dass mit diesem Amen Gott selbst uns zu sich aufnimmt in das himmlische Vaterhaus.

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