Die größte Verfolgung der Kirche komme nicht von den äußeren Feinden, sondern erwachse aus der Sünde in der Kirche, sagte Papst Benedikt XVI. bei seinem Flug im Mai 2010 nach Fatima mit Blick auf die weltweiten Missbrauchsfälle durch katholische Priester, die nach und nach offenbar wurden und bis heute die Fundamente der Kirche existenziell bedrohen. Diese Verbrechen, und nichts anderes ist ein sexueller Missbrauch, zerstören das Leben tausender Menschen für immer. Viele Verantwortliche in der Kirche haben nicht nur Jahrzehnte lang weggesehen, sondern wurden auch zu Komplizen der Täter.

Erst unter Papst Benedikt XVI. fand ein Umdenken statt. Benedikt ließ über 400 betroffene Geistliche aus dem Priesteramt entfernen und legte in seinem achtjährigen Pontifikat fast 100 Bischöfen den Rücktritt nahe. Diese Linie fährt Papst Franziskus fort, etwa mit dem Paukenschlag, den früheren Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, aus dem Kardinalsstand zu entlassen und ihn unter "Hausarrest" zu stellen. Sowas gab es zuletzt vor 90 Jahren.

Dennoch bleiben viele Fragen ungeklärt. Wer im amerikanischen Klerus wusste um die Verfehlungen und Verbrechen des Washingtoner Kardinals? Und wie glaubwürdig ist die rhetorisch beschworene Umkehr, wenn man sich daran erinnert, dass gerade der Täter McCarrick in den frühen 2000er Jahren die "Null-Toleranz-Linie" der US-Bischöfe mit formulierte?

Für die katholische Kirche zeigt sich einmal mehr, dass jede Verlogenheit, jede Vertuschung irgendwann ans Licht kommt. Die verborgenen Leichen im Keller vieler Priester, Ordensleute und kirchlicher Angestellten fallen der ganzen Kirche heute wie ein schwerer Stein auf die Füße. Es zeigt sich auch, dass vor allem eine weltweite klerikale Homoszene (90 Prozent der Missbrauchsfälle wurden von homosexuellen Priestern verübt) ein verlogenes Doppelleben führt.

Papst Benedikt XVI. sprach angesichts der Missbrauchsverbrechen in der Kirche schon 2010 davon, dass das "Gewand der Kirche zerrissen" sei, "durch die Schuld der Priester".

Die Zeit der Ausreden ist vorbei. Wer meint er könne und müsse die Kirche dadurch schützen, dass er auf Missbrauchsfälle in anderen Institutionen hinweist, wer von Einzelfällen spricht, wer die Öffentlichkeit beschuldigt, unfair gegen die Kirche vorzugehen und nur eine mediale Kampagne zu fahren, der zeigt, dass er nichts begriffen hat.

Die Schuld ist gewaltig. Es gibt nur einen Weg, den bereits Papst Benedikt XVI. eingeschlagen hat: Die Kirche muss Buße tun, die Reinigung annehmen, sie muss die Umkehr, die sie predigt, selber neu lernen. Sie muss auch die Täter in den eigenen Reihen bestrafen und den Opfern helfen. Sie darf die öffentliche Demütigung nicht zurückweisen, sondern muss sie annehmen als Anruf zur Wahrheit und zur Erneuerung. Und sie muss sich fragen, was sie falsch gemacht hat, dass solches geschehen konnte. Nur die Wahrheit rettet, nichts darf verborgen bleiben.

Dass all diese Verbrechen letztlich auch die Priester treffen, die ihren Dienst Jahrzehnte lang vorbildlich und aufopferungsvoll geleistet haben und es weiterhin tun, erinnert dagegen an die Märtyrer. Diese Geistlichen leiden wirklich unschuldig um ihrer Treue zur Kirche willen. Statt des verdienten Dankes widerfahren ihnen Spott, Hass und Verdächtigungen. Sie sind das bisher übersehene zweite Opfer ihrer verbrecherischen Mitbrüder.

Bernhard Müller ist Chefredakteur des "PUR Magazin", in dessen Ausgabe August / September 2018 der Kommentar zuerst erschien. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung.

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