Ein hochrangiger Mitarbeiter der Glaubenskongregation sagte, dass im Vatikan ein weit verbreiteter Eindruck bestehe, dass die deutschen Bischöfe unter der Leitung von Erzbischof Kardinal Reinhard Marx beim "Synodalen Weg" gegenüber den Interventionen des Vatikans weitgehend gleichgültig seien, wie CNA Deutsch im September 2019 berichtete. 

Ein Dissens zwischen dem Vatikan und der Mehrheit in der deutschen Bischofskonferenz wurde also von Anfang an deutlich. "Warum hat der Synodale Weg den Brief von Papst Franziskus nicht ernster genommen und, wie es sich für eine Synode gehört, die kritischen Fragen im Licht des Evangeliums betrachtet?" Das fragte kritisch Kardinal Walter Kasper, der emeritierte Präsident des Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen, im Interview mit dem "Passauer Bistumsblatt".

LINK-TIPP: Teil Eins der Serie kann hier gelesen werden.

Der deutsche Prozess gebe "in der Öffentlichkeit wahrlich kein gutes Bild. Ich mache mir große Sorgen, bin jedoch mit einem abschließenden Gesamturteil vorsichtig", so Kasper laut Bericht von CNA Deutsch.

Ob der deutsche "Synodale Weg" ihm den Schlaf raube, wollte Ende August 2021 ein Journalist von Papst Franziskus wissen. Als Antwort verwies der Heilige Vater auf seinen Brief "An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland": "Ich habe einen Monat lang daran gearbeitet, und ihn persönlich auf Spanisch geschrieben, der dann ins Deutsche übersetzt wurde". Er habe in den vielen Bischöfen, mit denen er gesprochen habe, "keinen schlechten Willen" feststellen können. Aber "sie berücksichtigen nicht einige Dinge, die ich in dem Brief anspreche." Diese Worte des Papstes sind eindeutig.

Deutliche Kritik äußerte auch der ehemalige deutsche Kurienkardinal Paul Josef Cordes. Hier "verschwimmt der Rang der Glaubensdimension", so Kardinal Cordes in einem umfangreichen Aufsatz. Nach Ansicht des Kardinals unterwirft das deutsche Synodenstatut die Glaubenswahrheiten der Abstimmung der synodalen Zusammenkunft und unterlasse den Hinweis auf die Entscheidungen des höchsten kirchlichen Lehramts.

In der Tat sind die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils eindeutig. Sie weisen ganz klar den Laien die Aufgabe der "Weltgestaltung" zu, also das Apostolat zum Beispiel in Arbeitswelt, Familie, Gesellschaft und Politik. Die Bischöfe hingegen sind verantwortlich für Sitten- und Glaubenslehre. Diese klar abgegrenzte Zuständigkeit durchzieht die Konzilsbeschlüsse in der Konstitution über die Kirche "Lumen gentium", in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" und im Dekret über das Apostolat der Laien "Apostolicam actuositatem". Am bekanntesten ist der Satz in Lumen Gentium (33): "Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann." 

Sorge und Kritik aus dem Vatikan

Diese Aufgabenteilung wurde bisher in Theorie und Praxis in der breiten Öffentlichkeit niemals ernsthaft infrage gestellt. Seit 55 Jahren. Nur die Initiatoren des Synodalen Weges in Deutschland sehen das jetzt anders. Sie haben ein Gremium geschaffen, das den grundlegenden Aussagen des Konzils widerspricht. 

Seine Sorge äußerte der Papst bei der Generalaudienz am 25. November 2020: "Manchmal bin ich sehr traurig, wenn ich eine Gemeinschaft sehe, die guten Willens ist, aber in die falsche Richtung geht, weil sie glaubt, der Kirche mit Versammlungen zu helfen, als wäre sie eine politische Partei. Aber, die Mehrheit, die Minderheit, was halten Sie von diesem, jenem, dem anderen ... Und das ist wie eine Synode, ein synodaler Weg, den wir einschlagen müssen .... Ich frage mich: Wo ist der Heilige Geist dort? Wo ist das Gebet? Wo gibt es Gemeinschaftsliebe? Wo ist die Eucharistie?" Ohne diese "vier Koordinaten", warnte der Papst, "wird die Kirche zu einer menschlichen Gesellschaft, zu einer politischen Partei". Weiter sagte Franziskus: "Die Kirche ist kein Markt; die Kirche ist keine Gruppe von Unternehmern, die dieses neue Unternehmen vorantreiben. Die Kirche ist das Werk des Heiligen Geistes, den Jesus uns gesandt hat, um uns zu versammeln."

Die höfliche, aber unüberhörbare Sorge und Kritik aus dem Vatikan setzte sich fort. So erinnerte Papst Franziskus an die vom Konzil festgehaltene Aufgabenteilung: "Das Konzil ist das Lehramt der Kirche. Entweder ist man bei der Kirche und folgt daher dem Konzil, und wenn man dem Konzil nicht folgt oder es auf seine eigene Weise interpretiert, wie man will, ist man nicht bei der Kirche. In diesem Punkt müssen wir anspruchsvoll und streng sein", sagte Papst Franziskus am 30. Januar 2021 bei einer Audienz mit Katechisten in Rom. 

Ob das ein Seitenhieb auf den "Synodalen Weg" in Deutschland war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die vorausgegangenen Äußerungen aus dem Vatikan können darauf hindeuten.

Die Worte von Papst Franziskus

Aufhorchen lässt das Grußwort des Apostolischen Nuntius am 23. Februar 2021: Zum Auftakt der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischofskonferenz rief der Apostolische Nuntius als Vertreter des Papstes in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, die versammelten Bischöfe dazu auf, die "lebendige Tradition der Kirche" zu wahren und wies auf die "Sorge des Papstes um das rechte Verständnis von Synodalität" hin. "Auch die katholische Kirche in Deutschland befindet sich in einer Krise", betonte Eterovic in seinem Grußwort.

Ebenso in seinem Grußwort zum Auftakt der Herbstvollversammlung der deutschen Bischofskonferenz ermahnte er am 20. September 2021 die deutschen Bischöfe, fest verbunden in der Einheit der katholischen Kirche zu bleiben. Er hob die bekannte Antwort des Papstes an einen spanischen Journalisten hervor, ob ihm der Synodale Weg in Deutschland den Schlaf raube. Der Nuntius zitierte ausführlich die Antwort des Papstes (siehe oben), der berichtete, dass er persönlich einen Monat lang an dem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland gearbeitet habe. Darin habe er alles zum Ausdruck gebracht, was er (der Papst) über die deutsche Synode denke. Die deutschen Bischöfe hätten "manches von dem nicht berücksichtigt, was ich in dem Brief als notwendig zu beachten erkläre", so der "Botschafter des Papstes”.

Die Bedenken aus Rom erscheinen nicht unbegründet. Dazu gehört die personelle Zusammensetzung des Synodalen Weges: 121 von insgesamt 229 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind Laien. 68 Bischöfe und Weihbischöfe gehören ihm an, außerdem weitere 36 Priester und vier Diakone. 

Über die Glaubensinhalte steht nur einem Konzil die Autorität zu; Konzilien aber bestehen in 2000-jähriger Tradition nur aus Bischöfen, die neben einer fundierten theologischen Ausbildung eine besondere Weihe empfangen haben. Sie reihen sich ein in die Nachfolge der Apostel, die nicht per demokratischer Wahl bestimmt, sondern von Jesus persönlich berufen wurden. Und die bei ihrer Weihe versprechen, "das von den Aposteln überlieferte Glaubensgut, das immer und überall in der Kirche bewahrt wurde, rein und unverkürzt weiterzugeben".

Verständnisfragen  

Über die Qualifizierung einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Synodalen Weges berichtete das Online-Portal "katholisch.de”. Es interviewte eine 22-jährige Sozialarbeit-Studentin, die nach ihrer Mitarbeit befragt wurde und unter anderem antwortete: "Ich fand es ehrlich gesagt ziemlich schwierig, mich inhaltlich darauf vorzubereiten. Es war mir nicht möglich, alle Texte, die eingereicht wurden, zu lesen. Es waren sehr viele und sehr lange Texte und der Synodale Weg ist nicht mein Hauptberuf. Ich war im Praxissemester, habe nebenbei gearbeitet und einen Umzug gestemmt. Daher konnte ich die Texte nur überfliegen und ich habe auf die Expertise von vielen Menschen gehofft und mich mit anderen ausgetauscht und Expertisen eingeholt. … Gerade bei den Kommentierungen hatte ich nicht die Zeit und nicht die Muße dazu, mitzukommentieren. Und ich glaube, das ging vielen anderen auch so. Das liegt nicht daran, dass wir nicht willig gewesen wären, sondern einfach daran, dass das quasi unsere Freizeit ist, die wir hier gerade hergeben und im normalen Alltag nicht so viel Zeit dafür ist." 

Diese Äußerung zeigt, welche unterschiedliche Voraussetzungen die Teilnehmenden mitbringen, deren Versammlung für sich beansprucht, über weltweit gültige Lehraussagen der katholischen Kirche mitbestimmen oder sie zumindest beeinflussen zu können.

Ob die realisierte Gesprächskultur beim "Synodalen Weg" den vom Papst aufgezeigten Erfordernissen entspricht, muss aufgrund vorhandener Schilderungen aus dem Teilnehmerkreis angezweifelt werden. So schilderte eine junge Frau: "De facto signalisieren manche Teilnehmer mit in die Luft fliegenden roten oder grünen Karten vom BDKJ, durch Applaus oder Buh‐Rufe, was sie von Wortbeiträgen halten." 

Sieht so ein "Synodos", ein gemeinsamer Weg unter der Führung des Heiligen Geistes, aus?

Bemerkenswert ist, dass bisher – auch nach zwei Vollversammlungen – nur in wenigen Halbsätzen in den 16 Beschlussvorlagen des aktuellen "Synodalen Weges" auf die vor 50 Jahren tagende "Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland" mit ihren 18 Beschlusstexten Bezug genommen wird.

Die einzigen Ausnahmen machen der Textentwurf zum Thema "Sexualität", wo immerhin aus einem Beschluss der Würzburger Synode zitiert wird, und ein Hinweis im Beschlussentwurf "Priesterliche Existenz", wo mit einem Satz erwähnt wird, dass bereits die Würzburger Synode das Thema Machtkontrolle behandelt hat. Das ist alles.

Offenbar sehen sich die Initiatoren und Meinungsführer kaum in der Tradition der Würzburger Synode. Immerhin handelte es sich um die erste Synode dieser Art mit Beteiligung der Laien. Karl Lehmann hatte damals auf "sehr schwierige theologische und rechtliche Probleme" beim Stimmrecht der Laien hingewiesen. Auch die fehlende Zuständigkeit einer Regionalsynode für weltkirchliche Themen war in Würzburg den Teilnehmern bewusst; sie haben sich an die mit Rom vereinbarten Regeln gehalten.

Anders jetzt der aktuelle Synodale Weg, der die Konflikte mit dem gültigen Kirchenrecht ignoriert, obwohl er von Rom aus darauf hingewiesen wurde. Erzbischof Reinhard Kardinal Marx erklärte daraufhin, der Synodale Weg sei "ein Prozess eigener Art" und könne daher nicht an den kirchenrechtlichen Vorgaben für Partikularkonzilien gemessen werden. Eine theologische Begründung als Antwort auf die – damals wie heute – vorgebrachten Einwände blieb allerdings aus. 

Vielmehr wird auf der Homepage des Synodalen Weges hervorgehoben: "Der Synodale Weg ist kein (kirchenrechtlich) definiertes Format, sondern eigener Art (sui generis). … Die Verbindlichkeit der Erkenntnisse eines solchen Weges verantworten alle diejenigen, die offiziell an ihm beteiligt sind. Die Verbindlichkeit in der Umsetzung kommt je nach Thema dem Apostolischen Stuhl und/oder dem Ortsbischof zu. … Warum keine Synode: Eine Synode ist ein vom Kirchenrecht her klar definiertes Format, in dem von der Themensetzung bis zur Zusammensetzung der Teilnehmenden und deren Kompetenzen alles geregelt ist. Eine Synode bedarf der Zustimmung durch den Heiligen Stuhl, die oft erst nach einem längerfristigen Verfahren erteilt werden kann. Das verlangsamt das notwendige Tempo bei der Behandlung der anstehenden Fragen."

Mit anderen Worten ausgedrückt: Der Synodale Weg befindet sich außerhalb des Kirchenrechtes, weil er die allgemein gültigen Voraussetzungen nicht erfüllt. Für einen regulären Weg haben sich die Initiatoren bewusst nicht entschieden. Diese Sichtweise erklärt auch die geringen Bezüge auf die Würzburger Synode. 

Eine kuriose Situation

Die wichtige Tatsache, dass keine kirchenrechtlich anerkannte Mitwirkungsform gewählt wurde, findet in den zahlreichen Beratungstexten keine Erwähnung, nur auf der Homepage. Dort klingt lediglich an, dass ein kirchenrechtlich anerkannter Modus eine längere Vorlaufzeit benötigen würde. Ob diese Vermutung zutrifft, bleibt offen. Jedenfalls haben die zuständigen Stellen des Vatikans auf das Regelwerk des Synodalen Weges sehr rasch reagiert und innerhalb von Wochen eine umfangreiche ablehnende Stellungnahme abgegeben. Es ist deshalb auch möglich, dass eine Absprache mit dem Vatikan – anders als vor 50 Jahren – vermieden wurde.

Wie ist eine solche Selbstermächtigung für einen "Synodalen Weg", der es ablehnt, als kirchliche Synode zu arbeiten, zu beurteilen? Ist dies überhaupt zulässig und gültig? Wissen die Öffentlichkeit und die Mitwirkenden überhaupt von dieser offenen Frage? Eine Antwort dazu wird in den bisherigen Beschlusstexten nicht gegeben, im Gegenteil: Es erfolgt keine Auseinandersetzung mit diesem Kernproblem.

So entsteht eine kuriose Situation: Es werden "verbindliche Beschlüsse" vorbereitet, die eine wesentliche Umgestaltung der katholischen Kirche erwarten, u. a. eine wesentliche Beschneidung der Kompetenzen von Pfarrern und Bischöfen sowie eine Umschreibung der kirchlichen Sexuallehre auf neue, in der katholischen Theologie bisher nicht anerkannte Weise. 

Dafür treffen sich bereits rund ein Jahr lang 229 Mitwirkende des "Synodalen Weges" in Arbeitsgruppen und Vollversammlungen, arbeiten nach aktuellem Stand 16 Beschlussentwürfe aus, die lediglich eine Selbstbindung der Beteiligten bewirken können. Ein Synodaler Weg, der keine Synode ist – ein Vorgang, der Erstaunen hervorruft, außerhalb der Beteiligten befremdet und als kurios empfunden wird.

Bisher in der Serie von Martin Grünewald veröffentlicht:

Die Fortsetzung lesen Sie am morgigen 30. Dezember ab 7 Uhr bei CNA Deutsch.  

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