18 September, 2018 / 8:30 AM
Seit einigen Jahren fahre ich jährlich zum "Marsch fürs Leben" nach Berlin. Ja, die Zahl der Teilnehmer ist seit den letzten Jahren gestiegen und das ist auch gut so. Es ist wichtig, dass möglichst viele Menschen Gesicht zeigen und der Politik klarmachen, dass die schwächsten Glieder der Gesellschaft mehr Schutz brauchen. Und dennoch wird man das Gefühl nicht los, einen Kampf gegen Windmühlen zu führen.
Doch wenn man jedes Jahr aufs Neue die erschreckend hohen Abtreibungszahlen hört und sich bewusst macht, wie viele Menschen allein wieder in diesem Jahr bereits im Mutterleib ihr Leben lassen mussten, fällt es einem irgendwann schwer, nicht komplett auszurasten oder in Resignation zu verfallen.
Deshalb kann ich alle verstehen, die sich aus diesem Grund erst gar nicht auf den Weg nach Berlin machen. Ich kann jene verstehen, die von der "Welt da draußen" dermaßen die Nase voll haben, dass sie sich lieber in die Wagenburg ihrer gleichgesinnten Freunde zurückziehen, um dort ein Leben in ungestörter Harmonie zu führen, ohne sich dauernd rechtfertigen zu müssen. Ich kann jeden verstehen, der einfach keinen Bock mehr hat, zum "Marsch fürs Leben" zu fahren.
Irgendwie ist es ja auch immer dasselbe. Man gurkt erst einmal ewig durch die Gegend, bis man in Berlin ankommt. Man hört bei der Kundgebung Geschichten von Betroffenen, die einem wirklich nahegehen und bewusst machen, welches Leid eine Abtreibung verursacht. Man lässt sich von Gegendemonstranten anbrüllen und beschimpfen. Dann fährt man nachhause muss hinterher in der Zeitung lesen, wie man lächerlich gemacht oder in eine faschistische Ecke gestellt wird, in der jene, die das Leben schützen wollen, doch erst recht nichts verloren haben.
Doch diejenigen, die an diesen Missständen konkret etwas ändern könnten, kriegen von all dem nichts mit. Soll das ewig so weitergehen?
"Marsch fürs Leben" vs. Bundesliga
Manchmal frage ich mich, ob es nicht sinnvoller wäre, ich würde mir stattdessen am betreffenden Samstagnachmittag zuhause die Bundesliga ansehen und mir dabei gemütlich ein Bier reinpfeifen. Ich selber habe ja begriffen, welches Unheil Abtreibung anrichtet, ich persönlich würde ja nie zulassen, dass meine Frau oder meine Tochter abtreibt. Und was die anderen angeht, kann ich doch eh nichts ändern. Wenn ich für die Betroffenen zuhause ein Gebet spreche tue ich doch mindestens genauso viel für sie wie jene, die in Berlin beim Abschlussgottesdienst beten. Nur, dass ich mir im Gegensatz zu ihnen den Spießrutenlauf durch die Stadt erspare.
Im Laufe der Jahre ist mir klar geworden, dass es mit dem "Marsch fürs Leben" nicht getan ist. Lebensschutz ist mehr als einmal im Jahr zu demonstrieren. Früher habe ich mich oft gefragt, wieso so viele meiner Glaubensgeschwister zuhause bleiben können, während in Berlin die Post abgeht. Sätze wie "Wir haben Familie zuhause, da kann man nicht mal eben am Samstag nach Berlin fahren", habe ich oft als Ausrede abgetan. Vielleicht weil ich dachte, sie würden das Anliegen nicht ernst genug nehmen.
Heute sehe ich das ein wenig anders. Nicht jeder, der am 22. September zuhause bleiben wird, ist ein Feigling.
Zwischen Frust und Hoffnung
Ich gebe zu, dass es frustrierend sein kann, jedes Jahr in Berlin die gleichen Parolen zu hören. Sie sind eigentlich für die "Welt da draußen" bestimmt, damit die Menschen endlich wachgerüttelt werden und damit aufhören, sich gegenseitig Leid zuzufügen. Doch oft, so scheint es zumindest, rufen wir sie uns nur selber zu. Weil die "Welt da draußen" uns einfach nicht hören will. Wir applaudieren jenen, die unter Tränen von ihren Erfahrungen berichten und jetzt auf unserer Seite sind. Wir laufen stumm an den Gegendemonstranten vorbei, die "Fickt euch" rufen und die Tötung von Kindern im Mutterleib als Menschenrecht deklarieren möchten. Wir sammeln uns zum Gottesdienst und beten für alle, die verletzt und getötet wurden, während hinter den Absperrungen das Pfeifkonzert ertönt. Und wenn wir nächstes Jahr dieselben hasserfüllten Gesichter wiedersehen, stellen wir fest: Bewirkt haben wir fast nichts.
Doch wenn am 22. September der Schiedsrichter das Spiel meines Herzensvereins gegen den FC Augsburg anpfeift, werde ich nichts davon mitkriegen, weil ich in diesem Moment stumm durch die Straßen Berlins gehe um Gesicht zu zeigen für das Lebensrecht aller Menschen. Gemeinsam mit einigen Tausend Menschen, die sich aus den verschiedenen Ecken Deutschlands ebenfalls auf den Weg zum "Marsch für das Leben" gemacht haben. Ich werde wieder geschockt sein von den persönlichen Zeugnissen, den neuen Abtreibungszahlen und den hasserfüllten Gesichtern der Gegendemonstranten.
Doch ich werde die Hoffnung einfach nicht aufgeben, dass sich eines Tages doch noch etwas ändern wird. Wenn ich all die fröhlichen Menschen sehe, die ebenfalls gekommen sind, wird mir klar, dass Berlin vielleicht der Beginn einer Willkommenskultur ist, die auch die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft nicht ausschließt. Und diese Hoffnung werde ich mir nicht nehmen lassen.
(Die Geschichte geht unten weiter)
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Der "Marsch fürs Leben" in Berlin findet jedes Jahr im September statt. Organisator ist der Bundesverband Lebensrecht (BVL), unter dessen Dach verschiedene Lebensrechtsorganisationen aus Deutschland den "Marsch fürs Leben" koordinieren. Letztes Jahr nahmen mehr als 7.500 Menschen daran teil. Für alle, die selbst nicht mitgehen können, bietet die "Jugend für das Leben Deutschland" die Aktion "Geh du für mich" an. Dort können Interessierte durch ihre Spende anderen Jugendlichen eine Teilnahme beim "Marsch fürs Leben" ermöglichen. Der katholische Fernsehsender EWTN.TV wird auch in diesem Jahr einen Großteil der Veranstaltung live übertragen.
(Hinweis: Dieser Artikel ist eine aktualisierte Fassung des am 10. September 2017 erstmalig veröffentlichten Beitrags.)
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