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Feindbild Benedikt?

Papst Benedikt XVI. im Petersdom am 26. April 2008

„Wir sind Papst!“ titelte Deutschlands bekannteste Boulevardzeitung am 20. April 2005, nach der Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Stellvertreter Christi. Am Abend zuvor hatten die Kardinäle, geführt vom Heiligen Geist, mit sehr großer Mehrheit den deutschen Präfekten der Glaubenskongregation ihr Votum gegeben. Auch in Deutschland herrschte eine dankbare Euphorie des Augenblicks für die Wahl des bedeutenden, weltweit hochgeschätzten und nur hierzulande umstrittenen Theologen. Unvergessen ist und bleibt auch – und das kann man in diesen Tagen nicht genug betonen – sein energisches Einschreiten als Glaubenspräfekt gegen die Vertuschung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Oder ist das heute alles vergessen? 

Das Münchner Rechtsgutachten, das in der letzten Woche publiziert wurde, bewegt und erregt Gläubige wie Ungläubige. Niemand bestreitet schuldhaftes Versagen von Verantwortlichen in der Institution Kirche, also von vielen Amts- und Würdenträgern im Umgang mit den schändlichen Delikten. Oder? Niemand fordert etwa eine Verschärfung des Strafrechtes oder die Aufhebung der Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch. So etwas hätte ich sofort begrüßt. Aber alle Mächtigen und Wortmächtigen schweigen dazu. Oder haben Sie solche Statements von der Bundesregierung, von Kirchenvertretern oder Laienfunktionären gehört? Gefordert wird stattdessen die Durchsetzung der Agenda des „Synodalen Weges“. Der emeritierte Papst Benedikt wird zum Sündenbock für den Missbrauchsskandal überhaupt, ja zum Feindbild stilisiert, und das nicht nur in vielen Medien. 

Ein befreundeter polnischer Priester fragte mich vor wenigen Tagen sehr besorgt: „Gibt es nur noch deutsche Bischöfe – oder auch noch katholische Bischöfe?“ Ich verwies ihn umgehend auf die Predigt von Bischof Dr. Rudolf Voderholzer zu seinem Weihejubiläum. Dafür war er sehr dankbar – und auch Ihnen allen möchte ich diese Worte zur Lektüre ans Herz legen: „Ja, man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kirche, und noch einmal personalisiert, Papst Benedikt, zum Sündenbock für ein gesamtgesellschaftliches Problem gemacht wird, ein Blitzableiter, auf dem alles abgeladen wird, damit man sich ansonsten nicht mehr damit befassen muss. …  Ich habe auch nichts gegen eine Aufarbeitung durch den Staat. Nur wenn es dazu kommt, wird deutlich werden, dass dort die Hausaufgaben noch lange nicht gemacht sind. Wo sind denn die Maßnahmen zur Aufarbeitung dieses Problems etwa im schulischen Bereich oder beim Sport. Da ist die Kirche doch meilenweit voraus!“ Voderholzer spricht erneut von der „Instrumentalisierung des Missbrauchs“ in der Kirche. Zugleich muss bedacht sein: Ein Rechtsgutachten ist mitnichten ein Gerichtsurteil. Mittlerweile hat sich Benedikt XVI. selbst noch einmal erklärt und eine Aussage korrigiert

Der „Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz“ spricht nun als Reaktion auf das Münchner Gutachten und die Empörungswellen in einer Erklärung von einem „umfassenden kirchlichen Kulturwandel“ und „systemischen Konsequenzen“: „Wir brauchen Erneuerung. Ein wesentlicher Baustein dazu ist der Synodale Weg, den wir seit 2019 mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und vielen weiteren Vertreterinnen und Vertretern des kirchlichen Lebens gehen, um Möglichkeiten zu finden, systemische Ursachen von Missbrauch künftig auch durch strukturelle Veränderungen zu verhindern.“ 

Noch einmal: Es geht darum, Straftaten aufzuklären – oder? Die Rede von „systemischen Ursachen“ bleibt nebulös. Am vergangenen Sonntag sagte Bischof Voderholzer völlig zu Recht: „Die Empörung über den Missbrauch ist das Feuer, auf dem die Suppe des synodalen Weges gekocht wird.“ 

Für seine theologische Klarheit, für seine begründeten Unterscheidungen und für seinen kirchlichen Scharfblick sind gläubige Katholiken in ganz Deutschland dankbar. Benedikt XVI. betet, verborgen vor der Welt, für die Kirche – und er tut dies besonders für die Opfer des sexuellen Missbrauchs. Ich bin mir sicher, dass er auch nun für alle betet, die Anstoß an ihm nehmen, die sich über ihn empören und ihn verhöhnen. In der Kirche sind nach meiner Wahrnehmung zentrifugale Kräfte am Werk. Was könnten wir alle, Kleriker wie Weltchristen, in diesen Zeiten Besseres tun als beten? 

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.  

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