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Die "Synodalkerze" brennt. Und jetzt? Ein Aufschrei der Lämmer für die Hirten

Leuchtende Kerze
Bernhard Meuser

Die "Synodalkerze" brennt. Der Kardinal und die SPD-Politikerin, Reinhard Marx und Karin Kortmann, machen es feierlich. Zum Ersten Advent und zum Startschuss des "Synodalen Weges" zünden sie im Münchener Liebfrauendom gemeinsam eine Kerze an. Es sollte wohl das große Pressebild für einen Neuanfang der Katholischen Kirche in Deutschland werden. Gibt es so etwas wie sakrales Marketing? Bestimmt. Es riecht nach Plätzchen und Tannenzweigen, nach endlich, endlich gut! Kleriker und Laien, ein Mann und eine Frau, ein Herz und eine Seele, vor allem: eine Kerze. So soll die Kirche sein.

Ich mochte mir das gar nicht anschauen, denn ich habe mehr als ein paar Anfragen an diese Haupt- und Staatsaktion der deutschen Kirche. Erstens bin ich Vater von drei Kindern, denen ich kaum mehr erklären kann, warum sie noch in dieser Kirche bleiben sollen, deren Leitungsebene immer neue Nachrichten von Doppelmoral, Misswirtschaft, Missbrauch und Vertuschung produziert.

Zweitens engagiere ich mich mit vielen anderen für die Neuevangelisierung – das heißt: Mein Herz brennt dafür, die nächste Generation für Jesus und die Kirche zu begeistern – und ich lese gerade, dass man 5 Minuten vor 12 auch noch den letzten Versuch abschmetterte, dem Wunsch von Papst Franziskus zu entsprechen. Er wollte, dass pastorale Bekehrung und Neuevangelisierung Fokus der synodalen Bemühungen sein sollten. Gestrichen. Stört.

Und drittens bin ich einer von denen, für die der ganze Zauber inszeniert wurde: Ich bin ein Betroffener. Von was bitte? Haben Sie auch schon vergessen, um was es einmal gehen sollte, vor vielen Monaten, ganz zu Anfang der Krise? Um Missbrauch, Vergewaltigung, eine Kette von Verbrechen in der Kirche, um Komplizenschaft, Vertuschung, die ganzen Geschichten aus der untersten Schublade. Ich bin ein Betroffener und kann ein sehr konkretes Lied davon singen. Oft wundere ich mich, warum ich noch katholisch bin. Aber ich vermeide es mittlerweile von mir als "Opfer" zu sprechen; ich ertrage die falsche Opferrhetorik nicht, während auf unseren Schulhöfen der Ruf "Du Opfer!" allen anderen Schimpfworten den Rang abgelaufen hat. Tag für Tag steigen frische Blasen aus dem Sumpf auf; sie platzen unter immer neuen Bekundungen kirchlicher Vertreter. Wo ist denn ein Personalverantwortlicher, ein Generalvikar, ein Bischof, ein Kardinal aus freien Stücken zurückgetreten? Oder habe ich etwas übersehen? In der SPD finden sie kaum jemand, der noch zurücktreten könnte, weil er nicht schon zurückgetreten ist. Überall gibt es so etwas wie politische Verantwortung. In der Kirche nicht?

Ich nehme sie mir mal, die "kühne Redefreiheit", zu der Papst Franziskus eingeladen hat und spreche mal von den Gefühlen, die jemand hat, den es lebensgeschichtlich fast aus der Bahn gehauen hätte, weil er irgendwann nach der Pubertät zum Objekt der Begierde eines homosexuellen Priesters wurde. Ich meine nicht die Gefühle in Hinsicht auf diese alte Geschichte. Ich meine die Gefühle, die einer wie ich jetzt hat, wenn er sich neugierig anschaut, was diese Kirche unternimmt, um künftigen Missbrauch zu unterbinden, um Vertrauen wiederzugewinnen, Prozesse der Reinigung in Gang zu setzen. Ehrlich gesagt habe ich mir verwundert die Augen gerieben, als die Missbrauchsstudie erschien und – bevor sie jemand lesen konnte – schon die Nachricht lanciert wurde, das sei alles sehr, sehr schlimm, aber glücklicherweise habe das nichts mit dem Zölibat und nichts mit Homosexualität zu tun.

Durch sexuelle Gewalt verliert man vielleicht seine Unschuld, nicht aber seinen Verstand. Das mit dem Zölibat stimmt schon. Aber während in der allgemeinen Bevölkerung Missbrauch zu 75 Prozent weibliche Opfer betrifft und zu 25 Prozent männliche Opfer, weisen alle Studien zur katholischen Kirche auf den Umstand hin, dass 80 Prozent der Opfer männlich sind und 20 Prozent weiblich.

Sagen wir es nüchtern: Wer die Vorstellung hat, es gäbe im Klerus der katholischen Kirche derzeit eine Normalverteilung – will sagen: Es müssten im Durchschnitt der Kleriker etwa durchschnittlich viele homosexuelle Menschen geben – gibt sich der ersten Illusion hin. Es gibt viele, die ins Amt gekommen sind und da nicht hingehören.

Was nicht heißt, dass es nicht heiligmäßige schwule Priester gibt, die in der Kirche einen wertvollen Dienst leisten. Sie sind nicht gemeint, denn auch sie sind Opfer, weil sie nur zu leicht in einen Topf mit den Tätern geworfen werden. Trotzdem muss man das Fass aufmachen, denn geht um den Schutz von Kindern und Jugendlichen!

Die zweite Illusion besteht in der Meinung, das sei nur im Vatikan so. Es gibt gewiss Unterschiede in den verschiedenen Ortskirchen, aber tendenziell dürfte die katholische Kirche in vielen Ländern davon betroffen sein.

Die dritte Illusion besteht in der Annahme, diese spezielle Verteilung tangiere die moralische Integrität der Kirche nicht. Es sind ja nicht nur Frédéric Martel und seine Rechercheure, die sich für das Buch "Sodom" im grauen Umfeld des Vatikans und bis in die einschlägigen Clubs umgetan haben und fündig wurden. Keine Woche vergeht, in der nicht wieder ein Kleriker traurigen Stoff für die Yellow Press liefert. Man mag es nicht mehr lesen.

Die vierte Illusion besteht in der Annahme, der Umstand eines sukzessive mit immer mehr homosexuellen Priestern durchsetztem Klerus habe nichts mit Missbrauch zu tun. Martel – Soziologe, Atheist, schwul, nicht irgendein homophober Fundamentalist – darf die Kirche, die ihrer Nachtseite nicht ins Auge sehen möchte, vorführen: "Hinter den meisten Missbrauchsfällen stehen Priester und Bischöfe, die die Täter aufgrund ihrer eigenen homosexuellen Orientierung schützen, weil sie Angst vor der Entdeckung und einem Skandal haben. Eben jenes Klima, in dem Geheimnisse kultiviert wurden und gediehen, das notwendig war, um den hohen Anteil an Schwulen in der katholischen Kirche zu verschweigen, hat die Verbrechen und das Vertuschen von sexuellem Missbrauch möglich gemacht."

Ich glaube das nicht, halte es für überzogen und möchte auch keine Werbung für dieses in vieler Hinsicht schreckliche Buch machen. Aber es bleiben doch Fragen, die sich kaum jemand in der Führungsebene der Kirche zu stellen scheint. Wie konnte der Klerus, der noch vor wenigen Jahrzehnten höchstes Vertrauen in der Bevölkerung genoss, so im Ansehen absinken, das die Leute heute meinen, sie müssten ihre Kinder davor in Sicherheit bringen? Wie konnten immer mehr problematische Leute ins Amt kommen? Welche Maßnahmen werden ergriffen, damit das Priesteramt nicht dauerhaft zu einer Fluchtburg von Triebtätern wird?

Ja, es ist peinlich, sich damit auseinanderzusetzen. Ja, es erfordert Mut. Ja, man wird Prügel dafür kassieren. Aber wann reden Bischöfe endlich über die Realität – über weggedrückte Homosexualität im Klerus, die in einer Bandbreite von heimlichen Beziehungen über Unzucht bis Knabenschändung dann doch ausgelebt wird? Wann reden sie mit Opfern ephebophiler Täter, um zu erfahren, was ihre Nachsicht mit den gefallenen Mitbrüdern in der Biographie lebenslang Geschädigter bewirkt? Das – und nichts Anderes – ist der Kern der Vertrauenskrise in die Kirche.

Weil all das ausbleibt, kann ich im Entschluss zum "Synodalen Weg" nur taktische Finesse und ein Lehrstück institutioneller Verdrängung sehen. Man möchte über etwas Anderes reden, möchte die eigentliche Baustelle vergessen machen. Irgendwas an Reform soll passieren, aber bitte an einer ganz, ganz anderen Ecke, etwas, das Lärm macht, das positive Nachrichten von Kirche erzeugt, etwas, bei dem die Leute sagen: Na, sie tut doch was! Der Witz ist: Sie tut zum eigentlichen Thema gerade nichts, außer vor Betroffenheit zu triefen und sich einer peinlichen Debatte um die Höhe von Abfindungen (sic!) hinzugeben. Sie kehrt weiter unter den Teppich.

Als Betroffener kann ich dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer nur zustimmen, wenn er die Organisatoren und Betreiber des "Synodalen Weges" mit dem schwerwiegenden Verdacht der "Instrumentalisierung des Missbrauchs" konfrontiert. Ich teile sein Misstrauen, wo er vermutet, "dass an der Wiege des Synodalen Prozesses eine Unaufrichtigkeit steht." Nun darf ein jeder sein Süppchen darauf kochen. Frauen dürfen vom Priesteramt träumen. Lustaffine von der Lockerung der Sitten. Laien von der Macht. Priester vom Ende des Zölibats.

Schöne Themen, über die man füglich streiten kann, solange Rom keine besondere Meinung dazu hat. Gerade gehen die drei Notae Ecclesiae – die zentralen Wesensbestimmungen der Kirche – mit Krachen über die Wupper, deren erste "Einheit" ist. Wo ist sie noch, wenn die einen die letzte Rettung in einer genderaffinen Kirche sehen, "in der Pluralität und Diversität gewünscht und erlaubt sind", und eben diese Vorstellung bei anderen Brechreiz und Nachtgebete auslöst? Wo ist die "Heiligkeit" geblieben, die niemand mehr einer Kirche abnimmt, die sich schamlos dem Zeitgeist anbiedert? Und wo bleibt die "Katholizität", wenn sich einige Bischöfe und Synodalen eisern zuschwören, die Weltkirche zu vergessen und notfalls einen deutschen Sonderweg einzuschlagen, an dem die Welt gefälligst genesen möge?

(Die Geschichte geht unten weiter)

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So zanken die Kirchenangestellten vor sich hin. Nach einem Jahr redet niemand mehr vom Missbrauch. Bingo! Nur: Es redet auch niemand mehr von der Kirche. Draußen – jenseits der Box, in der sich der synodale Apparat für die nächsten Jahre selbstreflexiv zu verbunkern gedenkt – geht die Glaube vor die Hunde, weil man ihn denen nicht mehr abnimmt, die ihn vertreten. Unsere Kinder gehen. So viele sind schon weg. Und die wenigen Jugendlichen, die noch zur Kirche gehen, kommen ins Grübeln oder sind auf dem Sprung. So viele, die Gott suchen, wenden sich gerade mit Abscheu von einer Kirche – besser gesagt: einer Kirchenleitung – ab, der es nicht um Erneuerung an Haupt und Gliedern, sondern vor allem um eines geht: ihren strukturellen Selbsterhalt und ihre gesellschaftliche Reputation. Vielleicht sollten die Protagonisten und Betreiber des "Synodalen Weges" doch noch einmal in der Rede von Kardinal Bergoglio im Vorkonklave lesen. Oder in "Evangelii gaudium". Oder gleich in der Bibel.

Zuerst veröffentlicht im Vatican-Magazin. Erschienen bei CNA Deutsch mit freundlicher Genehmigung.

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