Vatikanstadt - Mittwoch, 29. Mai 2019, 11:15 Uhr.
Ein ehemaliger Sekretär von Theodore McCarrick hat einen Bericht veröffentlicht, der offenbar lange Zitate aus der Korrespondenz zwischen dem ehemaligen Kardinal und verschiedenen Kirchenvertretern enthält.
Die Zitate, die Monsignore Anthony Figueiredo veröffentlicht hat, enthalten offenbar schriftliche Eingeständnisse McCarricks über sein Fehlverhalten und die ihm auferlegten Sanktionen. Sie bestätigen auch spätere Berichte über den Umgang des Vatikans mit dem ehemaligen Kardinal. Aber einige Vertreter des Vatikans sagen, dass Figueiredos Bericht nicht die Vorgehensweise und das Verhalten McCarricks restlos erklären.
Msgr. Anthony Figueiredo von der Erzdiözese Newark hat am 28. Mai eine Website veröffentlicht, "The Figueiredo Report", die augenscheinlich Auszüge aus der privaten Korrespondenz zwischen McCarrick, dem Priester und verschiedenen anderen Amtsträgern der Kirche enthält.
Der 88-jährige McCarrick wurde im Februar aus dem Klerikerstand entlassen, nachdem er für schuldig befunden wurde, sowohl sexuelle Belästigung im Beichtstuhl begangen als auch Minderjährige wie Erwachsene sexuell missbraucht zu haben - mit dem "erschwerenden Faktor" des Machtmissbrauchs.
Über die Inhalte von Figueiredos Veröffentlichung berichteten am gestrigen Dienstag – dem gleichen Tag, an dem Papst Franziskus in einem Interview abstritt, über McCarrick informiert gewesen zu sein – "CBS News" und die Nachrichtenseite "Crux".
Auf der Website des Priesters sind bislang weder der vollständige Text der Korrespondenz noch Fotografien der Briefe veröffentlicht worden. "Ich präsentiere Fakten aus der Korrespondenz, die ich für relevant halte, was McCarrick betrifft", schreibt dazu sein ehemaliger Sekretär.
"Diese Fakten zeigen deutlich, dass hochrangige Prälaten wahrscheinlich von McCarricks Verhalten wussten, und von den ihm während des Pontifikats von Benedikt XVI. auferlegten Sanktionen. Sie zeigen auch deutlich, dass diese Sanktionen nicht einmal vor dem Pontifikat von Franziskus durchgesetzt wurden", behauptet der Bericht von Figueiredo.
"Es ist nicht meine Aufgabe zu beurteilen, inwieweit der Fehler darin besteht, dass zu Beginn keine kirchenrechtlichen Strafen statt bloßer Sanktionen verhängt wurden, oder ob der Fehler bei anderen Kirchenvertretern liegt, die es später versäumt haben, McCarricks Verhalten und die Unangemessenheit seiner fortgesetzten öffentlichen Tätigkeit aufzudecken, sondern diese vielmehr sogar gefördert haben", schreibt der Priester weiter.
In einem der veröffentlichten mutmaßlichen Passagen aus einem Brief von McCarrick an den vatikanischen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone vom September 2008 schreibt McCarrick, er sei "In einem bestimmten Fall schuld an einem unglücklichen Mangel an Urteilsvermögen" gewesen.
"Ich habe meine Priester und Seminaristen immer als Teil meiner Familie betrachtet, und so wie ich mit meinen Cousins und Onkeln und anderen Verwandten ein Bett geteilt habe, ohne darüber nachzudenken, ob dies falsch war, hatte ich dies gelegentlich getan, wenn das diözesane Sommerhaus überfüllt war. Auf keinen Fall waren Minderjährige beteiligt, sondern Männer in den Zwanzigern und Dreißigern."
Allerdings bestreitet der veröffentlichte Absatz sexuelle Handlungen. Er habe "nie sexuelle Beziehungen zu jemandem gehabt, Mann, Frau oder Kind, noch habe ich jemals solche Handlungen gefordert", so der später wegen Missbrauchs aus dem Priesterstand entlassene McCarrick an Bertone.
Die Angaben des Monsignores, der früher Spiritual am Päpstlichen Nordamerikanischen Kolleg in Rom war, bestätigen augenscheinlich die Aussagen des ehemaligen Apostolischen Nuntius an die Vereinigten Staaten, Erzbischof Carlo Maria Vigano, dass McCarrick 2008 angewiesen wurde, das erzbischöfliche Priesterseminar, in dem er gelebt hatte, zu verlassen.
Quellen, die bei einem Treffen 2008 zwischen dem damaligen Nuntius, Erzbischof Pietro Sambi, und McCarrick anwesend waren, teilten CNA im August 2018 mit, dass der ehemalige Kardinal des Seminars verwiesen worden sei.
Figueiredo zufolge schrieb McCarrick nach diesem Treffen an Sambi: "Nachdem ich den Brief von Kardinal Re gelesen und ihn mit meinem Erzbischof geteilt habe, verspreche ich erneut, dass ich immer versuchen werde, ein guter Diener der Kirche zu sein, auch wenn ich ihre Wünsche in meinem Leben nicht verstehe. Natürlich bin ich bereit, den Willen des Heiligen Vaters bezüglich meiner Person zu akzeptieren."
Und laut Figueiredo fügte McCarrick in seinem Schreiben an den Nuntius hinzu: "Ich könnte eine Wohnung in einer der Pfarreien der Erzdiözese Washington finden. Der Erzbischof ist bereit, dafür in jedem Bereich zu sorgen, den der Heilige Stuhl wünscht".
"Zusammenfassend werde ich in Zukunft keine Verpflichtungen wahrnehmen, keine öffentlichen Auftritte oder Vorträge, ohne die ausdrückliche Genehmigung des Apostolischen Nuntius oder des Heiligen Stuhls."
Nachdem er des Priesterseminars verwiesen wurde, bezog McCarrick Anfang 2009 speziell für ihn renovierte Räumlichkeiten in der Pfarrei St. Thomas der Apostel im Woodley Park, einem gehobenen Viertel im Zentrum Washingtons.
Im August sagte ein Priester gegenüber CNA, der in den Jahren 2008 / 2009 in der Pfarrei wohnte, ihm sei gesagt worden, dass es McCarrick "nicht mehr erlaubt" sei, im Seminar zu leben, und dass Kardinal Wuerl den Umzug "angeordnet" habe, aber er betonte, dass er keine direkte Kenntnis von diesen Umständen habe.
Im August 2018 gab Monsignore Figueiredo öffentliche Erklärungen zur Unterstützung von Vigano ab.
"Ich kenne ihn persönlich", sagte Figueiredo damals. "Ich kenne ihn als einen Mann von großer Integrität, der bis ins Mark ehrlich ist."
Die Auszüge aus Figueiredos Korrespondenz scheinen auch Berichte zu bestätigen, wonach McCarrick während der Pontifikate von Benedikt XVI. und Franziskus eine laufende, wenn auch manchmal inoffizielle Rolle bei vatikanischen diplomatischen Bemühungen spielte, insbesondere in China.
Quellen in der Kongregation für die Bischöfe in Rom berichteten CNA jedoch, dass Figueiredos Auszüge nur einen "teilweisen" Kontext für McCarricks offensichtliche Fähigkeit bieten, die ihm auferlegten Sanktionen zu umgehen.
"McCarrick war sehr geschickt darin, auszunutzen, wenn die linke Hand nicht wusste, was die rechte Hand tat", so ein Angehöriger der Kongregation für die Bischöfe.
McCarrick sei es gelungen, sich widersprüchliche Anweisungen geben zu lassen, und dann diese als Schlupflöcher zu verwenden.
Ein anderer Amtsträger aus dem Umfeld der Kongregation sagte, dass McCarrick auch geschickt ausgenutzt habe, dass die Kurie klare Ansagen vermeide.
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"Er sprach und schrieb über die Notwendigkeit, sich zurückhalten zu müssen, dass er den Wohnsitz wechseln müsse, aber er sagte nie ausdrücklich, warum. Wer das wusste, der brauchte es nicht ausbuchstabiert zu bekommen, und wer es nicht wusste, aber vermutete, der war klug genug, nicht zu fragen", erklärte er.
Derselbe Kurienmitarbeiter sagte gegenüber CNA, dass auch dieses Verhalten McCarricks Teil einer Untersuchung ist, die derzeit von der Kongregation für die Bischöfe unter der Leitung von Papst Franziskus durchgeführt wird.
"Der Mann hat die Kommunikation mit den Bischöfen, dem Staat, dem Heiligen Vater, den Diözesen und allen anderen völlig durcheinander gebracht", sagte er. "Wenn jemand nach ihm sehen wollte, konnte man drei verschiedene Dinge an drei verschiedenen Stellen erfahren."
CNA hat von führenden Quellen in Rom erfahren, dass die Erzdiözese Washington bereits eine Überprüfung der gesamten persönlichen Korrespondenz von McCarrick abgeschlossen und die Ergebnisse an Rom weitergeleitet hat.
Ein Sprecher der Erzdiözese Washington lehnte es ab, sich zu dieser Überprüfung zu äußern.
Der Sprecher sagte CNA, dass "Kardinal Wuerl bereits gesagt hat - und er wiederholt dies erneut -, dass ihm keine Sanktionen oder Einschränkungen im Zusammenhang mit der Vorwürfe von Missbrauch oder unangemessener Aktivität durch Theodore McCarrick bekannt waren. Ausgehend von den Beschreibungen aus dem [Medienbericht] deutet keines der heute veröffentlichten Dokumente explizit darauf hin, dass Kardinal Wuerl ein solches Wissen hatte."
Figueiredo, der in den 90er Jahren ein Jahr lang als Priestersekretär von McCarrick tätig war, bezeichnete McCarrick einst als " geistlichen Ziehvater ". Er sagte gegenüber "CBS News", dass die Enthüllungen über McCarrick dazu geführt hätten, dass er einen Rückfall in den Alkoholismus erlitten habe.
Figueiredo war im Oktober 2018 in einen Autounfall außerhalb Londons verwickelt. Dabei fuhr er in das Fahrzeug einer zu schwangeren Frau. Ein sichtlich betrunkener Figueiredo hielt nach dem Unfall zunächst an, beging dann jedoch Fahrerflucht. Er wurde von der Polizei gestellt und räumte seine Schuld ein. Wegen Trunkenheit am Steuer erhielt der Priester ein 18-monatiges Fahrverbot.
Von November 2017 bis zum 27. Oktober 2018 arbeitete Figueiredo auch Teilzeit als Mitarbeiter für das EWTN News Vatican Bureau. CNA Deutsch ist ein Service von EWTN News.
Laut Quellen in der Erzdiözese Newark, wo Figueiredo als diözesaner Priester inkardiniert ist, sagten gegenüber CNA, dass der Priester erst gebeten und dann angewiesen wurde, nach seinem Verkehrsunfall im vergangenen Jahr in die Erzdiözese zurückzukehren.
Figueiredo habe diesen wiederholten Anweisungen jedoch nicht Folge geleistet, hieß es. Er habe auch abgelehnt, sich mit seinem Erzbischof, Kardinal Joseph Tobin, zu treffen. Stattdessen sei er – ohne kirchliche Aufgabe – in Rom geblieben, hieß es.
"Es gab Kontakt zwischen ihm und dem Kardinal, aber der hat wenig gebracht."
Laut einem Bericht der "CBS News" vom 28. Mai hat Figueiredo nach eigenen Angaben seinen Alkoholismus überwunden und seit Monaten versucht, Medien für die Veröffentlichung seines McCarrick-Reports zu gewinnen. Der Sender nennt nicht, welche Medien der Priester kontaktiert hat.
Tatsächlich hat sich Figueiredo im November 2018 an CNA und andere EWTN News-Medien gewandt mit dem Hinweis, er sei im Besitz von Korrespondenz im Fall McCarrick. Der Priester war jedoch nicht bereit, Zugang zu den Originaldokumenten zu gewähren, lediglich Auszüge aus diesen, und sein Angebot wurde abgelehnt.
Am 28. Mai berichtete "Crux", dass der Redaktion Originale der Korrespondenz von Figueiredo zur Verfügung gestellt worden seien, und diese von einem "Cyber-Sicherheitsexperten" beglaubigt wurden.
Auch wenn Figueiredo bis dato nicht die vollständige Korrespondenz der Öffentlichkeit zugängig gemacht hat, behauptet der Priester, dass er von Papst Franziskus dazu inspiriert worden sei, mit den Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen.
"Papst Franziskus selbst hat die ganze Kirche gebeten, transparent zu sein. Das ist der Grund, warum ich mich moralisch verpflichtet fühle, diese Korrespondenz zu veröffentlichen."
Dieser Bericht ist eine übersetzte und redigierte Fassung eines Artikels der CNA Deutsch-Schwesteragentur CNA.
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