München - Mittwoch, 16. Dezember 2020, 10:10 Uhr.
2020 war für viele Christen ein schwieriges Jahr. Corona, Terror, Krieg – und zunehmende Verfolgung. Am 26. Dezember begeht die katholische Kirche in Deutschland den Gebetstag für verfolgte und bedrängte Christen. Florian Ripka, Geschäftsführer des päpstlichen Hilfswerks "Kirche in Not" Deutschland, zieht aus diesem Anlass Bilanz zu Brennpunkten der Verfolgung, dem Einsatz für Religionsfreiheit, aber auch zu Lichtblicken und geleisteten Hilfen. Die Fragen stellte Tobias Lehner.
Herr Ripka, "Kirche in Not" hat 2019 als eines der "blutigsten Jahre für Christen" geschildert. Hat sich diese Situation 2020 weiter verschärft?
Corona und die Folgen haben mancherorts das geschwächte Menschenrecht auf Religionsfreiheit noch weiter "infiziert". Viele bedrängte Christen haben in dieser Zeit ein "unblutiges Martyrium" durchlitten – zunehmende Perspektivlosigkeit und Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung. Zu diesem unblutigen Martyrium kommen aber auch tödliche Übergriffe an Christen hinzu. Vor allem Afrika ist 2020 erneut zu einem Kontinent der Märtyrer geworden.
Sie haben die Corona-Pandemie schon angesprochen. Welche Auswirkungen hatte sie auf notleidende Christen?
Die humanitäre Lage hat sich weiter verschärft. In zahlreichen Regionen, wo Christen zu den untersten gesellschaftlichen Schichten zählen, standen sie wegen der Schließungen von heute auf morgen ohne Lohn und Brot da. Wir von "Kirche in Not" haben ein Nothilfeprogramm gestartet, um die vielen kreativen und aufopferungsvollen Dienste von Priestern, Ordensleuten und Laien zu unterstützen. Ein großes Projekt waren auch Lebensmittelpakete für notleidende Christen in Pakistan.
Um welche Weltregion machen Sie sich bei "Kirche in Not" derzeit am meisten Sorgen?
Dramatisch ist die Lage in den Ländern der afrikanischen Sahelzone, wie zum Beispiel in Burkina Faso. Dort lief das Zusammenleben zwischen den Christen und Muslimen weitgehend reibungsfrei. Seit einigen Jahren ist dieses Gleichgewicht gestört. Islamistische Söldner aus dem Ausland fallen in die Länder ein, verüben einen Anschlag nach dem anderen.
Katastrophal ist die Lage aber auch in anderen afrikanischen Regionen. In Mosambik, wo die Provinz Cabo Delgado von Terroristen überrannt wird, suchen hunderttausende Menschen Zuflucht in der Provinzhauptstadt Pemba. Wenn auch andere Organisationen aus Sicherheitsgründen ihre Mitarbeiter abziehen: Die Kirche ist da und sorgt sich um die Menschen.
Was weiß man über die Hintermänner und Beweggründe dieser Attacken?
Mittlerweile berufen sich viele Gruppen auf den "Islamischen Staat" oder ähnliche Terrorgruppen. Es geht um die Oberhoheit über ganze Regionen, Ausbeutung der Bodenschätze, um organisierte Kriminalität. Es geht aber auch um Religion. Beobachter vermuten, es solle ein "Krieg der Religionen entfesselt" werden. Das ist die perfide Strategie der Dschihadisten – nicht nur in Afrika.
Ein Fokus der Hilfe von "Kirche in Not" lag in den vergangenen Jahren auf dem Nahen Osten. Die Eroberungszüge des IS in der Region scheinen vorbei, in Syrien schweigen in weiten Teilen des Landes die Waffen. Ist das ein Hoffnungszeichen für die Christen dort?
Ja, es gibt hoffnungsvolle Signale aus dem Nahen Osten: In der Ninive-Ebene im Irak sind gut die Hälfte der christlichen Familien in ihre Dörfer zurückgekehrt. Auch in Syrien wird wiederaufgebaut. Nun kommt das große Aber: Viele Christen fühlen sich nach wie vor unsicher und verlassen ihre Heimat. Hinzu kommen Inflation und die Sanktionen des Auslands, die selbst alltägliche Güter unerschwinglich machen. Und auch die Gefahr des Dschihadismus ist nicht gebannt; die politische Lage ist unsicher. Hinzu kommt die Politik-, Wirtschafts- und Bankenkrise im Libanon. Über dieses Land liefen zahlreiche Hilfen für Syrien oder den Irak. Und nun ist der Libanon durch die Explosion von Beirut noch weiter in die Katastrophe gerutscht.
Wie ist die Lage in Beirut, nachdem dort am 4. August über 2700 Tonnen Ammoniumnitrat in die Luft flogen, und wie hilft "Kirche in Not"?
Wir waren sofort zur Stelle und haben Nothilfepakete für 2500 Familien bereitgestellt. Aktuell geht es um die notdürftige Instandsetzung zahlreicher Gebäude und Kirchen im christlichen Viertel von Beirut. Das liegt wenige Kilometer vom Explosionsort im Hafen entfernt und ist deshalb mit am schwersten betroffen. Der Libanon hat die größte christliche Gemeinde im Nahen Osten. Auch hier stehen gerade die jungen Menschen vor der Entscheidung: gehen oder bleiben? Helfen wir nicht, ist das Schicksal der jahrtausendealten christlichen Präsenz besiegelt.
In einem Bericht von "Kirche in Not" zur Lage der verfolgten Christen steht: "Asien droht der neue Brennpunkt der Christenverfolgung zu werden." Was bedeutet das konkret?
Der dschihadistische Terror frisst sich auch in Ländern wie Sri Lanka oder auf den Südphilippinen immer weiter vorwärts. Aber auch nationalistische Bewegungen und autoritäre Regierungssysteme machen im asiatischen Raum vielen Christen das Leben schwer. Für beide ist das Christentum ein schädlicher Einfluss aus dem Ausland, der Vorherrschaften zu untergraben droht im einen Fall der herrschenden Partei oder Klasse, im anderen die vermeintliche religiöse Geschlossenheit der Nation.
Pakistan ist gemessen an der Einwohnerzahl das drittgrößte muslimische Land, der Anteil der Christen liegt bei knapp zwei Prozent. Der Fall der zum Tode verurteilten Christin Asia Bibi und ihr Freispruch hatte viel Aufmerksamkeit auf die Lage der Christen in dem Land gelenkt. Hilft eine solche Berichterstattung Ihrem Einsatz?
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Die große Anteilnahme am Schicksal von Asia Bibi war ein wichtiges Streiflicht auf die Lage der religiösen Minderheiten in Pakistan. Gleichzeitig darf man nicht vergessen: Es gibt noch zahlreiche "Asia Bibis" in den pakistanischen Gefängnissen.
Eine weitere Entwicklung in Pakistan macht uns Sorge: Menschenrechtsorganisationen zufolge werden jährlich rund 1000 christliche und hinduistische Mädchen verschleppt, zwangsverheiratet und zur Konversion gezwungen. "Kirche in Not" unterstützt die Familien, die juristisch gegen solche Taten vorgehen. Und das hat auch Erfolg wie der jüngste Fall der 13-jährigen Katholikin Arzoo Raja zeigt: Sie wurde nach richterlicher Anordnung aus den Fängen ihres Entführers befreit. Auch die pakistanische Regierung hat sich in diesen und weitere Fälle eingeschaltet. Das ist ein gutes und hoffnungsvolles Signal.
Die Menschenrechtslage in China ist mit Blick auf die Situation in Hongkong wieder stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Auch innerkirchlich wird über den Umgang mit der kommunistischen Führung gerungen. Wie wirkt sich das auf die Katholiken in China aus?
Neben vorsichtigen Annäherungen stellen wir leider auch fest, dass das Regime die Daumenschrauben für Religionsgemeinschaften an manchen Stellen weiter anzieht. Das läuft vielfach unter dem Kampfbegriff "Sinisierung", also einer Anpassung der kirchlichen Lehre und Tradition an die "chinesische Kultur" – so wie sie die kommunistische Partei Chinas versteht.
Lassen Sie uns auf eine Weltregion blicken, in der man Probleme für Christen gar nicht vermuten würde: nach Lateinamerika. Dort ist zu hören von ermordeten Priester oder von in Brand gesetzten Kirche wie im Herbst 2020 in Santiago de Chile. Was sind die Gründe dafür in einem Erdteil, den wir katholisch nennen?
Es gibt verschiedene Faktoren und Auslöser. Gemeinsam ist allen: Die Kirche redet, wo sie nach dem Willen der Regierung oder anderer gesellschaftlicher Gruppen schweigen sollte. Das gilt in Venezuela, in Mexiko oder in Nicaragua, wo Priester bedroht, unter Druck gesetzt oder von Kriminellen ermordet werden, weil sie Stellung Beziehung und den Ärmsten helfen. Bei den jüngsten Unruhen in Chile handelt es sich um fanatisierte Gruppen, die das Recht auf Demonstration missbrauchen, um gegen das vorzugehen, was anderen Menschen heilig ist. Nichts rechtfertigt Angriffe auf Kirchen oder gegen den Glauben, um soziale, ethnische oder wirtschaftliche Gerechtigkeit zu verteidigen.
Auch das sogenannte "christliche Europa" wurde 2020 erneut von islamistischen Anschlägen erschüttert, zum Beispiel in Nizza oder in Wien. Was beobachten Sie mit Blick auf die Religionsfreiheit in der westlichen Welt?
Es ist beschämend und schockierend, das der Vandalismus auf Gotteshäuser in Frankreich, Italien, Deutschland aber auch den USA zunimmt. Es ist unverantwortlich, wenn unter dem Begriff einer falsch verstanden "Meinungsfreiheit" Symbole des Glaubens oder religiöse Überzeugungen in den Schmutz gezogen werden.
Wir bei "Kirche in Not" haben das Gefühl, dass Christen in Europa heutzutage einem radikalen und tiefgehenden Angriff ausgesetzt sind, der sich an zwei Fronten vollzieht: die eine will die christlichen Wurzeln zerstören und eine rein individualistische Gesellschaft ohne Gott schaffen.
Die zweite Entwicklung haben wir in Nizza und Wien einmal mehr erlebt: Sie besteht in dem Versuch, einzelne Menschen zu radikalisieren und ein fundamentalistisches System durchzusetzen, indem sie Terror und Gewalt sät und den Namen Gottes und die Religion missbraucht. Wir müssen auf diese Entwicklungen eine christliche Antwort geben. Und die kann nicht in Aggression oder dem Aufhetzen von religiösen Gruppen bestehen. Wir erleben bei unseren Projektpartnern in 140 Ländern, dass gelebte Nächstenliebe und geistliche Nähe viel mehr erreichen.
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