Kardinal Woelki entlastet, entbindet Verantwortliche von Aufgaben

"Unabhängige Untersuchung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln" vorgestellt – Keine Pflichtverletzungen von Kardinal Woelki

Der Kölner Dom.
Rudolf Gehrig / CNA Deutsch

Nach der Vorstellung des Gercke-Berichts am heutigen Donnerstag hat Kardinal Rainer Maria Woelki in einem ersten Schritt den Kölner Weihbischof und ehemaligen Generalvikar Dominikus Schwaderlapp sowie Günter Assenmacher von ihren Pflichten entbunden.

Dem unabhängigen Untersuchungsbericht zufolge hat sich Kardinal Woelki selbst – der seit 2014 Erzbischof von Köln ist – keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht. 

Bei der Pressekonferenz im Maternushaus wurde dem Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki das Gutachten von Rechtsanwalt Björn Gercke überreicht, der seit Ende Oktober 2020 damit beauftragt war, die einschlägigen Akten des Diözesanarchivs zu untersuchen (CNA Deutsch hat berichtet).

In der Untersuchung sollte überprüft werden, ob die Vorgehensweise der damaligen Diözesanverantwortlichen jeweils im Einklang mit den Vorgaben des kirchlichen Rechts und Selbstverständnisses sowie des staatlichen Rechts stand.

Die gesamt Studie ist mit dem heutigen Vorstellungstermin auch online einsehbar – im Gegensatz zu anderen Studien, etwa der des Erzbistums München und Freising, die seit 2010 vorliegt.

Bis zum kommenden Dienstag, dem 23. März, möchte Kardinal Woelki und auch der Betroffenenbeirat das Gercke-Gutachten studieren und anschließend weitere Konsequenzen ankündigen.

Im Raum stehen dabei auch personelle Entscheidungen, das Erzbistum Köln hat für Dienstag deshalb um 10.00 Uhr eine weitere Pressekonferenz anberaumt, die ebenfalls vom katholischen Fernsehsender EWTN.TV übertragen wird. 

Bei der Präsentation wies Gercke darauf hin, dass die Befragten freiwillig an der Untersuchung mitgewirkt haben, teilweise mit Rechtsbeistand. Basis für die Untersuchungen waren die Akten des Erzbistums.

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"Wir haben erhebliche Mängel bei der Aktenführung festgestellt", so Gercke. Im Laufe der Begutachtung mussten mehrfach Akten nachgereicht wurden, die Mitarbeiter des Erzbistums seien dabei allerdings sehr kooperativ gewesen, hob der Rechtsanwalt hervor. 

Insgesamt konnte man 236 Aktenvorgänge aus dem Zeitraum von 1975 bis 2018 untersuchen.

57 Prozent der Betroffenen, die Opfer von Missbrauch wurden, sind männlich, erklärte Gercke. 38 Prozent der Betroffenen sind Frauen, 5 Prozent gaben kein Geschlecht bei an bei den Befragungen.

Von allen Verdachtsfällen konnte man 31,8 Prozent sexuellen Übergriffen zuordnen, 15,3 Prozent der Fälle umfassen den Tatvorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs.

Die Mehrheit der Missbrauchsverdachtsfälle haben sich nach Angaben der Kanzlei im Kontext von privaten Treffen ereignet (26 Prozent), 18 Prozent bei der Kinder- und Jugendbetreuung, 12 Prozent im Kontext der Schule und 11 Prozent bei der Internat- und Heimunterbringung.

Weiter habe man festgestellt, so Gercke weiter, dass es ab dem Aufkommen der Missbrauchskrise im Jahr 2010 in der Missbrauchsaufarbeitung eine stärkere Sensibilisierung gegeben habe. Von da an seien die Fälle konsequenter gemeldet worden.

Die Juristin Kerstin Stirner ergänzte, habe die  große Welle an Missbrauchsmeldungen 2010 auch eine "Überforderung" bei den Verantwortungsträgern ausgelöst. Diese seien zum damaligen Zeitpunkt nicht ausreichend geschult gewesen. Zudem fehlten oftmals "interne und externe Kontrollmechanismen". 

Stirner erläuterte, dass die Kanzlei bei der Bewertung "fünf Pflichtenkreise" angewandt habe: Aufklärungspflicht, Anzeige- und Informationspflicht, Sanktionierungspflicht, Verhinderungspflicht sowie Opferfürsorge. 

Offizial Günter Assenmacher ist besonders in den Fokus geraten. Assenmacher sah "seine Rolle als eher reaktiv an", so Stirner. In 24 Aktenvorgängen sei "mindestens ein eindeutiger Pflichtverstoß festzustellen". Es sei jedoch nicht immer eindeutig gewesen, ob das Fehlverhalten aufgrund eines Irrtums zustande gekommen sei, oder bewusst.

Die Staatsanwaltschaft in Köln sei stets auf dem Laufenden gebleiben, "um die Ermittlungsergebnisse nach weltlichem Recht zu prüfen".

Auf den heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße entfallen elf Pflichtverletzungen in neun Aktenvorgängen: Der ehemaligen Personalchef und Generalvikar in Köln hat laut Untersuchung ingesamt sechs Mal bei der Aufklärung und zwei Mal bei der Opferfürsorge sowie drei Mal bei der Meldung nicht korrekt gehandelt. Keine der Pflichtverletzungen habe zu einer Strafvereitelung geführt, so Professor Gercke.

Ein Drittel aller Pflichtverletzungen wird dem ehemaligen Kardinal-Erzbischof Joachim Meisner zur Last gelegt: In 14 Vorgängen kam es dabei zu 24 Pflichtverletzungen. Auf seinen Vorgänger Kardinal Joseph Höffner fallen acht Pflichtverletzungen in sechs Vorgängen – davon sechs Mal mangelnde Aufklärung und zwei Mal fehlende Opferfürsorge.

Weihbischöfe sind im Gutachten nicht beim Namen genannt, erklärten die Experten: Sie "verfügen über keine Entscheidungskompetenzen", haben allenfalls "beratende Funktion"; dennoch eine "tragende Rolle", weil sie ein "Bindeglied" zur Bistumsleitung sind und sie eventuell bei Visitationen von Missbrauchsfällen erfahren haben.

In 212 Fällen keine Pflichtverletzung , sei jedoch "nicht mit Sicherheit feststellbar" gewesen, da man sich letztlich nur auf die "äußerst mangelhaften Akten" stützen konnte.

Ein Entscheidungsträger hat gewissen Spielraum bei der Entscheidungsfindung – so Gercke. Er habe jedoch "eine strengere Sichtweise" bei der Beurteilung angelegt. "Soll der Aufklärung und der Verbesserung dienen, nicht der Verurteilung", betonte der Professor. 

Wie das Erzbistum Köln bereits in einer Pressemitteilung vom 27. November 2020 angekündigt hat, wird das erste Gutachten von "Westpfahl Spilker Wastl" auch für Betroffene, Journalisten und weitere Interessierte zur Einsichtnahme bereitliegen. Am Mittwochabend teilte das Erzbistum mit, dass eine Einsichtnahme vom 25. März bis einschließlich 1. April 2021 möglich ist.

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Für die Einsichtnahme ist jeweils ein Zeitraum von bis zu 1,5 Stunden vorgesehen. In jedem Zeitfenster stehen aufgrund einer Verfügung des Gesundheitsamts maximal 10 Plätze zeitgleich zur Verfügung. Auf jedem Platz liegen gedruckte Exemplare der beiden Gutachten von Gercke & Wollschläger sowie Westpfahl-Spilker-Wastl aus. Das Gutachten der Münchner Kanzlei WSW kann – im Gegensatz zur Arbeit von Björn Gercke – wegen der äußerungsrechtlichen Bedenken nicht veröffentlicht und zum Download online gestellt werden, heißt es in der Erklärung. Deshalb ist die Einsichtnahme ausschließlich persönlich im Maternushaus möglich.

Das Erzbistum Köln wies in seiner Erklärung am Mittwochabend darauf hin, dass das Gutachten der Kanzlei "Westpfahl-Spilker-Wastl" nach Einschätzung "mehrerer äußerungsrechtlich spezialisierter Presserechtskanzleien diverse äußerungsrechtliche Mängel aufweist, so dass eine Veröffentlichung des Gutachtens rechtswidrig in Rechte Betroffener eingreifen würde und unzulässig ist".

Daher sind schriftliche Notizen darf sich jeder Besucher machen, Abschriften sind aber nicht gestattet. Eine Berichterstattung über die Inhalte der Gutachten ist damit möglich, jedoch keine Kopie oder direkte Zitierung des Gutachtens WSW, da dies wegen der äußerungsrechtlichen Bedenken unzulässig ist und nicht vervielfältigt werden darf. Deshalb dürfen keine Mobilfunkgeräte oder Kameras mit an den Platz genommen werden. Diese müssen bei der (kostenfreien und bewachten) Garderobe abgegeben werden.

In den vergangenen Monaten hatte die Entscheidung des Kardinals, das erste Gutachten, das von der Kanzlei "Westpfahl Spilker Wastl" erstellt wurde, wegen "methodischer Mängel" nicht zu veröffentlichen, für Kritik und Unruhe gesorgt (CNA Deutsch hat berichtet). Medienvertreter hatten Woelki daraufhin zum Rücktritt aufgefordert. Die Entscheidung Woelkis, das Gutachten von "Westpfahl Spilker Wastl" wegen offenbar gravierender Mängel nicht zu veröffentlichen - unter anderem sollen nach Auskunft von Insidern aus dem Umfeld des Bistums personenschutzrechtliche Überlegungen bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt haben - führte unter anderem zu Forderungen eines Rücktritts des Kölner Erzbischofs.

Tatsächlich haben nun sowohl der Vatikan als auch die unabhängigen Experten Woelki bescheinigt, keine Pflichten verletzt zu haben. 

Die komplette Pressekonferenz mit anschließender EWTN-Sondersendung:

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